Coole Figuren mag es in der Rhein-Neckar–Region einige geben. Kultfiguren dagegen sind rar. Seit Freitag 16.11.2012 hat die Region Eine weniger. Bruno Ganz verstarb vergangenen Freitag im Alter von 64 Jahren nach einem Krankenhausaufenthalt. Ganz war über die Grenzen der Region hinaus bekannt als „Humphry Bogart der Bundesliga“, als eloquenter und kostümierter Stadionsprecher des SV Waldhof Mannheim. In den 90er Jahre betrieb er das Szenelokal „Yesterday“ in der Mannheimer Neckarstadt. Bis zu seinem unerwarteten Tod widmete er sich leidenschaftlich seinem neuen, ganz besonderen Musikklub, dem „Laufenberg“ in Ludwigshafen.
Raue Schale und ein weicher Kern. Ein Original mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Ein geborener Entertainer, der sein Publikum respektierte: als DJ, als Stadionsprecher und als Gastronom. In Ludwigshafen wollte er noch einmal einen Musikklub etablieren. 2003 war die große Eröffnung des „Laufenberg“ (Raschigstraße 100). Viel Herzblut und große Teile seiner Ersparnisse investierte er in die angenehme Einrichtung, die vielen Devotionalien bekannter Künstler und in eine enorme und technisch anspruchsvolle Soundanlage. Doch Ludwigshafen ist nicht die Mannheimer Neckarstadt. Trotz eines einmaligen Musikangebots konnte Ganz nicht mehr an die erfolgreichen Zeiten des „Yesterday“ anknüpfen. Er gab aber nie auf. Kurz vor seinem Tod schmiedete er neue Pläne wie er mit seiner immensen Musiksammlung die Menschen begeistern könnte.
Von Leda und Ems ging es an Rhein und Neckar
Aus dem ostfriesischen Leer kam Bruno Ganz in den späten 60er Jahren in die Kurpfalz. Mit seiner Jugendliebe zog es ihn von der Küste weg. Die jungen Leute suchten das Großstadtleben. Doch nicht etwa das ganz wilde Großstadtleben. Bodenständig hatten beide ihre Ausbildungen bei der Sparkasse und der AOK abgeschlossen. Doch in der neuen Heimat hielt die Beziehung leider nicht. Die Liebe ging, und Bruno Ganz fand drei neue: Seine Ehefrau, die Musik und den Fußball.
Unter der Woche baute sich Ganz seine neue Existenz auf – bei der hiesigen AOK, später bei Boehringer in Mannheim. An den Wochenenden zog es den jungen Ostfriesen in die Diskotheken der Quadratestadt. Als er sich eines Samstagabends ein Lied beim DJ im „Barbarella“ (damals: Breite Straße) wünschte („Let’s work together“ von Canned Heat), bot dieser ihm an, seinen Wunsch selbst anzusagen. Seine Moderation war wohl so eindrucksvoll, dass der Betreiber des Klubs den jungen Bruno als neuen DJ verpflichtete. So waren die Zeiten damals. Nicht eine Endlosschleife mit 140 „Beats per Minute“ waren die Herausforderung an den Plattenspielern. Vor der Erfindung des Crossfaders war der DJ umso mehr auch Unterhalter, er war für die Stimmung, die gute Laune zuständig. Er hatte den Laden zu rocken und auf diese Weise zuverlässig Abend für Abend voll zu machen. Die Begrüßung von „DJ Teddy“ an die Gäste lautete: „Willkommen in der Hölle – hier spricht der Teufel“.
Bruno Ganz wurde zum Aushängeschild des „Barbarella“ und später auch des „Blow Up“ in den S-Quadraten. Über 15 Jahre arbeitete er neben seinem Beruf parallel auch die Wochenenden durch – nicht nur in Mannheimer Klubs wie dem „Marco Polo“, auch in Ludwigshafen im „Chamanna“ oder im „Quo Vadis“ in Viernheim.
In den Diskotheken habe er gelernt auf das Publikum zu reagieren. „Man muss sich vorher genau informieren und wissen, was die Leute wollen und erwarten“, sagte er in seinem letzten Interview im September 2012. Und das zeichnete ihn auch später als Stadionsprecher aus. Er war der erste Stadionsprecher, der die Sprecherkabine verließ und vom Rasen aus mit den Zuschauern kommunizierte, sie motivierte oder in hektischen Situationen beschwichtigend auf die Fans erfolgreich einwirkte. Er wusste was die Fans wollten und was sie dachten. Nicht nur über die Fans des SVW, er machte sich immer auch Gedanken über die Fans der Gastmannschaften.
Nach seiner Heirat schaltete er in den Diskotheken einen Gang zurück. Wie es in solchen Fällen auch oft üblich ist. Man(n) wird etwas ruhiger. Bei Boehringer stieg er weiter auf, hatte eine gut bezahlte Stelle im Vertriebsinnendienst. Auch dort habe er Leute bei Laune halten müssen. Seine Talente setze er ein, wo er konnte. Seine Liebe zur Musik kam auch seinen Kollegen und seinen Kunden zugute. „Ich kam auf die Idee, Musikkassetten zu verschenken. Als kleines Dankeschön für die Leute im Außendienst, aber auch für Sprechstundenhilfen in Arztpraxen. 50 Kassettenrekorder hatte ich bei mir zuhause parallel geschaltet“, berichtete Ganz.
Ein Ostfriese beim Waldhof
Als Ostfriese hatte Bruno Ganz bei vielen Waldhöfern zunächst einen schweren Stand. Die Anfänge waren holprig, die Fans mussten erst mühsam für ihn eingenommen werden. Doch zunächst musste Bruno Ganz seinen Weg überhaupt erst zum Waldhof finden. Er mochte Fußball, ging gerne ins Stadion. Jedoch, in seinem Freundeskreis waren überwiegend FCK-Fans.
So fuhr Ganz auch einige Male mit auf den „Betze“, hatte aber allein schon wegen seines Mannheimer Kennzeichens einige schlechte Erfahrungen machen müssen. Er schloss recht schnell mit dem FCK ab und begann Spiele des SVW zu besuchen. „Das Stadion war nur 2 Kilometer von meiner Wohnung entfernt“ , erinnerte sich Ganz. Das war kurz vor Anbruch der „glanzvollen Ära“, kurz vor dem Aufstieg in die 1. Bundesliga Anfang der 80er Jahre. Bis er Stadionsprecher werden sollte, mussten aber noch fast 10 Jahre vergehen. Durch persönlichen Kontakt zum damaligen Trainer Günter Sebert und eine Empfehlung wurde Ganz der Stadionsprecher im alten Stadion am Alsenweg. Kurz zuvor musste sich der SVW wieder aus der 1. Bundesliga verabschieden. Motivation und gute Laune für die Fans waren also sehr gefragt zu jener Zeit.
Er hatte es zunächst nicht leicht. Nicht nur die „alten Fans“, auch die Zeitungen seien zunächst gegen ihn gewesen. Gerade über die Anfangszeit berichtete er ausführlich und lebhaft. Es waren prägende Jahre. Jahre mit Experimenten und Jahre auf die er immer mit Stolz und Freude zurückblickte. Und auch mit Wehmut. Denn freiwillig habe er damals als Stadionsprecher nicht aufgehört. Ein Jahr durfte er im neuen Carl-Benz-Stadion noch für Stimmung sorgen. Dann, ja dann sei er „abgesägt worden“.
Der Humphry Bogart der Bundesliga
Als Ostfriese mit einem gehörigen Dickschädel wollte er es sich und anderen nicht leicht machen: „Wie weit kann ich gehen?“, „Welche Musik und welche Sprüche kommen gut an und machen haarscharf vor der Schmerzgrenze halt?“. Das waren die Fragen, die sich Ganz beantworten musste. Er habe viel gelernt. Zum Beispiel seien Fußballer schlechte Verlierer. Er selbst sei das nie gewesen, erzählte Ganz. Verständnis für den Gegner, dass gar „der Bessere“ gewonnen habe, so was kann man als Stadionsprecher gleich vergessen. Wenn Verständnis, dann muss Diplomatie eingesetzt werden.
Auch bei der Musik wurde experimentiert. „Je t’aime“ von Jane Birkin & Serge Gainsbourg hatte eindeutig im Stadion nichts zu suchen. Spaß muss sein, aber bitte nicht so, musste Ganz lernen. Bei Niederlagen war nach einiger Zeit Reinhard Fendrich die beste Wahl: „Es tut so weh, wenn man verliert“. So fühlten die Fans, so musste die Musik sein. Musik und Mutterwitz, vorlaute Sprüche, Fußballwissen, ein Herz und ein Ohr für die Fans waren das eine. Hinzu kam das irre Outfit. Blaue Schuhe, schwarze Hose, ein Hut und ein Mantel in den Vereinsfarben machten ihn zum „Humphry Bogart der Bundesliga“, wie es einmal ein Kommentator bei Sat 1 ausdrückte. Auch nach seinem zwangsweisen Weggang aus der Sprecherkabine hielt Ganz dem Waldhof die Treue. Wenn es Zeit und Gesundheit zuließen, besuchte er die Heimspiele. Und er war stolz, wenn ältere Fans ihn erkannten. Sein letzter Besuch im Carl-Benz Stadion war am 21.07.2012 beim Spiel SV Waldhof gegen TSG Hoffenheim. In voller Montur, im Mittelkreis des Stadions, Bruno Ganz bei seiner „Zeremonie“, auf die er sich stets bestens vorbereitet hatte, wie er die „Sprache der Fans“ sprach, ihren Nerv traf und auch den Gastmannschaften respektvoll gegenübertrat: So sollte er seinen Freunden, Bekannten und Fans in Erinnerung bleiben.