Karlsruhe – Das Sozialgericht Karlsruhe hatte zu entscheiden, ob das Trinkgeld einer Friseurin als Einkommen gewertet wird.
Die alleinerziehende Mutter ist in Teilzeit als Friseurin beschäftigt. Sie verdient bei einer monatlichen Arbeitszeit von 60 Stunden einen Bruttolohn von 540 €. Nachdem sie Nachfragen des Jobcenters nach ihren Trinkgeldeinnahmen nicht beantwortet hatte, wurde ein geschätztes Trinkgeld von 60 € auf ihr Einkommen angerechnet. Zu Recht?
Das Jobcenter ging bei 60 Arbeitsstunden pro Monat und geschätzt einem Kunden pro Arbeitsstunde und 1 € Trinkgeld pro Kunde davon aus, dass bei der Klägerin ein monatliches Trinkgeld von 60 € anzunehmen sei. Das Trinkgeld wurde sodann als Einkommen angerechnet. Die Klage richtet sich gegen die Anrechnung des vermuteten Trinkgelds.
Das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe
Das Sozialgericht Karlsruhe (Urteil, Az. S 4 AS 2297/15) hat entschieden, dass Trinkgeldeinnahmen von Hartz IV-Leistungsbeziehern grundsätzlich nach § 11 a Abs. 5 SGB II nicht anzurechnen sind. Es konnte daher offengelassen werden, ob das Jobcenter überhaupt berechtigt war, eine Schätzung von Trinkgeldeinnahmen vorzunehmen.
Das Geben von Trinkgeld beruht nicht auf einer rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung, sondern stellt eine freiwillige Leistung dar, die eine besonders gelungene Dienstleistung honorieren und dem Dienstleistenden selbst zukommen soll. Wüsste der Kunde, dass das Trinkgeld im Ergebnis die Situation des Dienstleistenden nicht verbessert, weil sich im selben Umfang die Leistungen des Jobcenters vermindern, würde kaum noch Trinkgeld an die Betroffenen gezahlt werden.
Dies wäre nicht nur ungerecht im Vergleich zu den Kollegen, die mehr verdienen und zusätzlich ihr Trinkgeld behalten dürfen, sondern auch schädlich für die Motivation der betroffenen SGB II-Leistungsbezieher und ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Wegen Vorliegens einer unzumutbaren Härte hat daher die Anrechnung zu unterbleiben, sofern das Trinkgeld ca. 10 % der gewährten Hartz IV-Leistungen oder einen monatlichen Betrag von 60 € nicht übersteigt.
Die Kammer weist darauf hin, dass ihr in der langen Beschäftigung mit dem SGB II kein Fall erinnerlich ist, in dem bei einem Leistungsbezieher fiktives oder tatsächliches Trinkgeld angerechnet worden ist. Einschlägige Rechtsprechung ist nicht ersichtlich.
Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 30.03.2016 – S 4 AS 2297/15