Der kontrollierte Sinkflug der deutschen Medien

 

In Deutschland gilt immer noch unser Rechtsstaat. Das bedeutet in besonderen Maße, dass Täter, solange Sie nicht von einem ordentlichen Gericht verurteilt wurden, als unschuldig gelten. Ja, das ist wirklich so. In dubio pro reo

Unschuldig heisst: Es kann sein, dass es ein anderer gemacht hat. Schon oft kam vor Gericht etwas völlig anderes heraus, als vorher durch die Medien orakelt wurde. Es handelt sich hier um das wichtigste Grundprinzip eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Dass die grossen Vorverurteilungsmedien dieses Prinzip immer wieder für Quoten, Klicks und Auflagen ausser Kraft setzen dürfen, ist ungeheuerlich.

Die Medien

Abhängig von der Publikumsgunst haben die Medienhäuser Angst um Quote, Klicks und Auflagen. Der Mensch spielt keine Rolle mehr. Ganz besonders deutlich wurde dies beim Germanwings-Absturz in den französischen Alpen. Da wurden im Sekundentakt Nachrichten, oder vielmehr das, was die Journalisten dafür hielten, herausgehauen. Schliesslich musste man sich ja an der Front gegenseitig überbieten.

Und als mal kurze Flaute einzutreten drohte, bemühte man Prominente und holte sich ein Statement über das Unglück ein. Wie sinnleer solche News letzlich sind, muss jeder selbst für sich entscheiden.

Jedes noch so kleine Detail wurde zur Eilnachricht aufgeblasen. Stundenlang wurden die immer gleichen Fakten erzählt, verdreht und durch vermeintliche Experten gerüchtekonform aufbereitet.

Journalisten, wie auch die Führungsebene, also die Chefredakteure, sind ebenfalls an den Rechtsstaat und dessen Grundsätze gebunden.
Auch für Journalisten gilt die Unschuldsvermutung. Denn die Fakten aus den französischen Alpen waren natürlich nicht sensationell genug. Fassen wir diese Einzelteile mal zusammen.

Die objektiven Fakten

  1. Der Airbus startete mit Verspätung
  2. Der Airbus verliess seine Flugroute
  3. Der Airbus ging in einem kontrollierten Sinkflug
  4. Der Co-Pilot war vermutlich (nicht bewiesen) alleine im Cockpit
  5. Die Atmung war ruhig bis zum Crash
  6. Eine Person die nicht identifiziert werden konnte, klopfte von Aussen an die Cockpit-Tür
  7. Der Airbus raste mit ca. 800 km/h gegen die Bergwand
  8. Alle Passagiere und die Crew starben
  9. Die Absturzstelle liegt in einem unzugänglichen Gebiet
  10. Die Bergung wird Wochen dauern

Als Beispiel greife ich Punkt 4 der obigen Liste heraus. Den Voice-Recorder. Es ist keinesfalls bewiesen, ob der Co-Pilot wirklich alleine im Cockpit war. In den Medien heisst es dazu: "Die Auswertung des Voice-Recorders ergab …."

Nun empfehle ich jedem, der sich dafür interessiert, das Anhören einer solchen Aufzeichung. Das ist keine Aufzeichnung wie aus einem Studio oder aus dem eigenen Wohnzimmer. Da sind extreme Geräusche, laute Umgebung etc. zu hören. So dass auch da nicht mit absoluter Sicherheit eine Aussage getroffen werden kann.

Hier sind Voice-Recorder-Aufnahmen von vergangenen Unglücken.

Nach den Hausdurchsungen durch die Behörden bei dem Co-Piloten heisst es dann:

  1. Es gibt zerrissene ärztliche Attests
  2. Es gibt Hinweise auf frühere depressive Episoden
  3. Er musste seine Piloten-Laufbahn zeitweilig unterbrechen

Das sind Informationen, die bereits aus dem persönlichen, intimen Umfeld des ebenfalls ums Leben gekommenen Co-Piloten stammen. Und die Frage, ob das für die Öffentlichkeit interessant ist, wird nicht mehr gestellt. Früher waren solche Fakten als Teil der Ermittlungen zunächst nicht öffentlich. Damit schützte man die Privatsphäre von Betroffenen zu Recht. Heute werfen die Behörden gegenüber dem Mediendruck dieses Grundprinzip über Bord.

Nun haben die Journalisten trotzallem ein Problem. Aus diesen wenigen Fakten muss nun eine Story gezimmert werden, die die folgenden Elemente enthalten muss:

  • Emotion
  • Sensation
  • Mutmaßungen
  • Verdächtigungen
  • Pseudo-Wissenschaft

Erster, oder dich beissen die Hunde

… denn ansonsten ist der eigene Chefredakteur verärgert, weil es dann ein Konkurrenz-Medium bringt.
Ab jetzt gilt die Devise: Erster sein oder hinterher hecheln. Also wird munter drauflos orakelt. Und wenn nicht das Gegenteil knallhart bewiesen wird, dann wird wohl schon was dran sein. So denken viele der totschreibenden Zunft. Es geht nicht mehr um ordentlichen Journalismus. Es geht nur noch um den zeitlichen Vorteil. Journalisten-Schulen und Journalisten-Ausbildung sind bald nicht mehr notwendig. Müll schreiben kann fast Jeder.

Aus diesem Grund wurde die Geschichte mit den äusserst unklaren Fakten zu der Fantasy-Story hochgeschrieben, die wir nun seit Tagen lesen.

Die Journalisten-SEKs

Alle grossen Medien, TV, Print, Online haben durch Erfinden und Orakeln ihr Ziel erreicht. Der heilige Gral ist eingefahren worden: Die Quoten sind gestiegen, die Klicks haben zugenommen und die Auflage hat den benötigten kurzfristigen Schub erhalten.

Laut den Profis unserer durchtrainierten Journalisten-Spezialeinheiten mit dem Auftrag medial zu töten sehen die Fakten nun endlich wie gewünscht aus:

  1. Der volle Vorname und Nachname sind bekannt
  2. Die volle Adresse ist bekannt
  3. Sein Bild hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt
  4. Das Haus seiner Eltern und seiner Wohnung sind visuell bekannt
  5. Er hat Selbstmord begangen
  6. Er war ein Medikamenten-Junkie
  7. Es drohte bei Ihm Jobverlust

Kurz gesagt: Er ist ein irrer Killer. Damit sind die Journalisten-SEKs am Ziel.

Alle sind glücklich

  • Die Journalisten – Da ist sogar ein "Give-me-Five" mit dem Herrgott (pardon: Chefredakeur) drin.
  • Die Chefredakeure und Herausgeber, weil die Quoten, Klicks und Auflagen durch die Decke schossen.
  • Die Aktionäre und Beteiligten an den Medienhäuser
  • Die Werbepartner der Medien

Wirklich Alle? Nun wohl nicht so ganz …

  • Die Familie des Co-Piloten, die seither unter Polizeischutz steht, weil aufgebrachte, gehirnbefreite Zeitgenossen einen Schuldigen haben
  • So mancher Behördenvertreter, dem bei der Sache einfach ein ungutes Gefühl zurückbleibt
  • Die Wahrheit die gleich zu Beginn stirbt
  • Der Journalistenkodex, der nur noch an Medienstammtischen nach dem 5 Glas Whiskey existiert
  • Die Pressefreiheit, die durch die völlig falsche Auslegung zur medialen Terrorisierung missbraucht wird.
  • Die letzten Gehirnbesitzer, die offenen Auges und mit Entsetzen die mediale Hinrichtung einer ganzen Familie mit ansehen mussten.

Ganz wenige Medien haben in den letzten Stunden ein paar erhellende Momente gehabt und sich im Nachhinein und durch die Blume für Berichterstattung zum Nachteil des Co-Piloten und seiner Familie rechtfertigt. Zumindest diesen Kollegen war offenbar nicht ganz wohl in ihrer Haut. Ein letzter Funken Anstand …

Was bleibt?

Der deutsche Journalismus ist spätestens seit dem German-Wings-Absturz in einen kontrollierten Sinkflug gegangen.