Pfarrerin der Pauluskirchengemeinde Mainz in Ruhestand.

Verabschiedung Pfarrerin Renate Ellmenreich

Pfarrerin Renate Ellmenreich (Mitte) mit Propst Dr. Klaus-Volker Schütz und Pfarrer Hendrik Maskus (links), Pfarrerin Ilka Friedrich und Dekan Andreas Klodt (rechts)

Mainz – Zehn Jahre lang prägte Pfarrerin Renate Ellmenreich die Evangelische Pauluskirchengemeinde in Mainz.

Sie gestaltete den Wandel der Kirchengemeinde in der Neustadt – öffnete die Kirche für andere religiöse Gruppen und rief Projekte ins Leben, mit denen finanziell schwache Menschen in das Gemeindeleben inkludiert wurde. Nun wurde die engagierte Pfarrerin von Propst Dr. Klaus-Volker Schütz in einem feierlichen Gottesdienst in den Ruhestand verabschiedet.

„Pfarrerin Ellmenreich suchte sich schon immer die schwierigen Orte aus, um ihr Wirken zu entfalten. Ökumenisch zu denken und zu leben, gehört für sie dazu“,

lobte er die 64jährige,

„Wir danken sehr dafür, dass Sie die Pauluskirchengemeinde in den letzten Jahren mit so viel Schwung geprägt haben.“

Wo die Renate Ellmenreich schon überall ihr gutes Wirken hinterlassen hat, zeigt ein Blick auf ihr bewegte Leben. Renate Ellmenreich wuchs nördlich von Berlin auf einem Bauernhof auf. Sie kam aus einem christlich geprägten Elternhaus und studierte von 1968 bis 1973 Theologie an der Humboldt-Universität in Berlin. Ihre ersten Erfahrungen als Pfarrerin machte sie in Jena in einem Neubaugebiet im typischen DDR-Plattenbau-Ambiente. Bei dem Bau der Siedlung wurde an Kirche nicht gedacht. So feierte man Gottesdienste reihum in den Wohnungen. Das Vikariat absolvierte Ellmenreich in Thüringen, 1978 folgte die Ordination zur Pfarrerin.

Die erste Pfarrstelle hatte sie in Ost-Thüringen in Nöbdeniz inne: „Zu meiner Gemeinde gehörten damals sechs Dörfer mit drei Kirchen. Ich besaß weder ein Auto und zu Beginn noch nicht einmal ein Fahrrad. Da musste ich alles zu Fuß ablaufen – heutzutage unvorstellbar“, erinnert sie sich. Doch nicht nur diese Bedingungen machten ihr das Leben schwer. Da die Pfarrerin der oppositionellen Bewegung angehörte, wurden die Repressionen gegen sie stärker. Immer wieder machte ihr die Stasi das Leben schwer und mindestens einmal pro Woche wurde sie zum Verhör gebeten. Um diesem Druck zu entfliehen, stimmte Ellmenreich schließlich 1980 einer Umsiedlung in den Westen zu. So trat sie ihre erste West-Stelle im Frankfurter Frauengefängnis an. Danach war Ellmenreich 13 Jahre lang als Gemeindepfarrerin in Frankfurt-Nied tätig.

Nach der Wende ging sie wieder zurück nach Thüringen, um dort den Todesfall von Matthias Domaschk, dem bekannten Vertreter der DDR-Bürgerrechtsbewegung, der in Stasi U-Haft ums Leben kam, aufzuklären. Domaschk war lange Zeit ihr Lebensgefährte und Vater ihrer Tochter. Sechs Jahre lang arbeitete sie in der Stasi-Unterlagenbehörde und bereitete die Akten für Forschungsarbeiten und Anfragen auf.

Nach dieser Zeit mit den furchtbaren Stasi-Verbrechen brauchte Ellmenreich seelischen und räumlichen Abstand und beschloss, mit ihrem damaligen Mann über ein Projekt Basler-Mission nach Nigeria zu gehen. Ellmenreich leitete dort im Norden des Landes, nahe der Stadt Maiduguri, ein Alphabetisierungsprogramm für Frauen. Die Schulungen waren so erfolgreich, dass sie bald von selbst liefen und Pfarrerin Ellmenreich zusammen mit der Koordinatorin vor Ort, Rebecca Bitrus, mehr als 100 Grundschulen im strukturschwachen Norden aufbauen konnte. Nachdem ihr Mann in Nigeria starb, zog es Ellmenreich wieder zurück nach Deutschland und wurde 2005 neue Pfarrerin in der Pauluskirchengemeinde in Mainz.

Nachdenklich blickt die Theologin auf die letzten zehn Jahre zurück:

„Die Mainzer Neustadt hat sich sehr verändert und die Kirchengemeinde damit auch. Die klassische Gemeindearbeit, wie ich sie noch gelernt habe, findet hier kaum noch statt“,

erklärt sie.

„Wir haben hier kaum Familien, dafür aber viele Studenten, Alleinstehende und Menschen mit Migrationshintergrund. Die alle in den Blick zu nehmen, stellt ganz neue Herausforderungen an die Gemeinde.“

Herausforderungen, denen sich die lebenserfahrene Theologin gerne stellte. Mittlerweile feiern fünf verschiedene Gemeinden, von der afrikanischen über die chinesische bis hin zur Kirche in Aktion, ihren Gottesdienst in der Evangelischen Pauluskirche.

„Die deutsche Gemeinde musste sich öffnen. Das wird die Zukunft von vielen Kirchengemeinden sein“,

erklärt Ellmenreich.

„In Zeiten von halbleeren Kirchen müssen wir lernen, unsere Kirchen zu öffnen und sie mit denen zu teilen, die einen Ort für ihren Glauben suchen  – ideell und finanziell. Die herkömmliche Gemeinde kann davon nur profitieren, denn es macht das Leben bunter und lebendiger.“

Ein offenes Ohr für die Menschen in der Gemeinde zu haben, ist der Seelsorgerin besonders wichtig. Gerade weil die Paulusgemeinde in einem der sozialen Brennpunkte der Landeshauptstadt verankert ist, lag hier ein Schwerpunkt ihrer Arbeit.

„Es ist rührend, wie viele Anrufe und Besuchsbitten ich bekommen habe. Es gibt doch ein Urvertrauen der Menschen, dass sie mit ihren Sorgen zur Kirche kommen können. Viele, die sonst keinen Kontakt zur Kirche haben, nehmen diesen wieder auf, wenn sie in einer Krise stecken“,

erklärt Ellmenreich. Insbesondere mit den Frauen im „Wendepunkt“, einer Einrichtung für Wohnungslose Frauen, die sich in Nachbarschaft der Kirche befindet, arbeitete sie eng zusammen.

Doch es gibt in der Gemeinde nicht nur Probleme – ganz im Gegenteil. Stolz blickt die Pfarrerin auf viele Gemeindefeste und -fahrten zurück, bei denen auch immer sozial Benachteiligte aufgrund von Zuschüssen teilnehmen konnten. Zudem hat sich in den letzten Jahren die Kirchenmusik toll entwickelt. Es gibt einen gemischten Chor, eine Flötengruppe, einen Posaunenchor und einen Kinderchor, die jedes Jahr gemeinsam eine Serenade veranstalten. Das Kinderhaus der Pauluskirchengemeinde ist – wie Ellmenreich es nennt – „eine Perle in der Gemeindearbeit“ und gehört zu den Vorzeige-Kitas in Mainz. Und auch die Arbeit mit den Konfirmanden brachte jedes Jahr wieder neuen Spaß: „Ich bin immer wieder überrascht, dass sich 13-Jährige im Konfi-Unterricht öffnen, Gemeinde mitgestalten und Gottesdienste vorbereiten“, freut sich Ellmenreich.

Dass sie nun in Ruhestand ist, kann die 64-Jährige selbst noch nicht so ganz glauben: „Mir ist schon etwas schwer ums Herz. Ich hätte gut und gerne noch ein paar Jahre weiterarbeiten können“, lächelt sie bedacht, „Doch ich freue mich auch darauf, keinen vollen Terminkalender mehr zu haben!“  Ihren Lebensabend möchte Ellmenreich in einer Kommunität in Norddeutschland verbringen. Das lockere Zusammenleben in einer religiösen Gemeinschaft, gepaart mit festen Aufgaben und Pflichten, entspricht dem Naturell der umtriebigen Theologin.

Doch auch in Mainz wird Ellmenreich weiterhin zu sehen sein. Die Kontakte der „AG religiöse Gruppen in der Neustadt“ möchte sie pflegen und an den Sitzungen teilnehmen. Insbesondere ihr Engagement im Verein „widowscare e.V.“, den sie vergangenes Jahr zusammen mit sieben weiteren Mainzer Pfarrerinnen gründete, liegt ihr am Herzen. Der Verein unterstützt Witwen und Waisen in Nigeria, die unter dem Terror der Boko Haram fliehen mussten. Gemeinsam mit Rebecca Bitrus sammelt sie Spenden, um diesen Frauen eine neue Zukunft zu sichern. Mitte Juli wird Renate Ellmenreich selbst nach Nigeria fliegen. Ein Filmteam von RTL wird sie dabei begleiten und über das Witwenprojekt berichten.