Als „Rückschritt ins Mittelalter“ und als „schallende Ohrfeige“ für den Patientenschutz haben die Landesärztekammer Rheinland-Pfalz und die Ethik-Kommission bei der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz den aktuellen Beschluss des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments zur Neuregelung der Genehmigung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln kritisiert.
Die Europäische Union möchte multinationale Arzneistudien fördern und will daher die Prüfvoraussetzungen für Arzneimittelstudien, die gleichzeitig in mehreren Ländern laufen sollen, erleichtern. Bislang werden 20 Prozent der klinischen Arzneimittelstudien multinational durchgeführt.
Zwar hat der Gesundheitsausschuss des europäischen Parlaments einige Verbesserungen zu dem ursprünglich erarbeiteten Verordnungsentwurf durchgesetzt, doch müssen viele Punkte zur Patientensicherheit weiterhin sehr kritisch gesehen werden. „Denn die Ethik-Kommission mit ihren Prüf- und Widerspruchsmöglichkeiten ist wichtige Vor- und Kontrollinstanz für das Wohlergehen von Studienteilnehmern", erklärt Professor Dr. Frieder Hessenauer, Präsident der Landesärztekammer in Rheinland-Pfalz. Doch gerade der Patientenschutz liegt im jetzigen Beschluss „deutlich unter dem Schutzniveau des deutschen Arzneimittelgesetzes“, warnt der geschäftsführende Arzt der Ethik-Kommission bei der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, Professor Dr. Ignaz Wessler.
So wird nicht verbindlich vorgeschrieben, dass pro Mitgliedsstaat eine zuständige Ethik-Kommission den Prüfplan, das Nutzen- Risiko-Verhältnis, die ärztliche Vertretbarkeit für den Einzelnen sowie die Bedeutung für die Heilkunde unabhängig prüft und bewertet. Dies ist aber im Sinne des Patientenschutzes unabdingbar. Nun soll es ausreichen, dass man sich bei einer Studie, die in mehreren Ländern stattfindet, darauf einigt, dass nur eine Ethik-Kommission der teilnehmenden Länder prüft. Bei einer multinationalen Studie hat demnach einer der teilnehmenden Mitgliedssaaten als berichterstattendes Land sozusagen den Hut auf. Es prüft und entscheidet im Namen aller. Die Ethik-Kommission des berichterstattenden Landes kann dann zwar das Studienprotokoll prüfen, braucht aber kein Votum abgeben. Unklar ist daher auch, ob das berichterstattende Mitgliedsland bei einem Nein der Ethik-Kommission dessen Ablehnung akzeptieren muss oder ob es die Ethik-Kommission überstimmen kann. „Dies ist nicht akzeptierbar, weil ein Nein der Ethik-Kommission dann nur noch ein Pseudo-Nein und somit kein angemessener Probandenschutz ist“, kritisieren Hessenauer und Wessler.
Hinzu kommt, dass die vorgesehenen Fristen für die Prüfbearbeitung viel zu knapp sind. Der Beschluss sieht derzeit vor, dass die Prüfer für ihre wissenschaftliche Beurteilung je nach Studiendesign zwischen zwölf und 27 Kalendertage Zeit bekommen. „Es ist ein Unding, in dieser knappen Frist die ethischen und rechtlichen Voraussetzungen der geplanten multinationalen klinischen Prüfung angemessen zu bewerten“, kritisiert Wessler. „Patienten- und Probandenschutz darf nicht unter das Damoklesschwert eines Zeitdrucks gestellt werden.“
Der Patientenschutz wird im Vergleich zu den bestehenden Bestimmungen in Deutschland geschwächt und abgebaut, warnen Hessenauer und Wessler. So soll beispielsweise bei bestimmten Studien auf die schriftliche Einwilligung der potentiellen Studienteilnehmer verzichtet werden. Eine mündliche Zustimmung soll genügen. Auch dies lockert den Patientenschutz, denn es fehlt die nachvollziehbare transparente Studieninformation und die erklärte Einwilligung. Auch die Vorgaben für Nicht-Einwilligungsfähige und für Kinder sind gelockert worden: Prüfärzte brauchen den Wunsch und den Willen von Nicht-Einwilligungsfähigen und von Kindern unter zwölf Jahren nicht mehr zu hundert Prozent beachten.
Datenschutzrechtlich bedenklich ist sicherlich auch der Fakt, dass im neuen Beschluss die Studienteilnehmer eine weitgefasste Freigabe für Erhebung und Verwendung ihrer gesundheitsbezogenen Daten erklären können. Bislang erfolgte die Datenfreigabe nur streng zweckgebunden.
Nicht im Sinne des Patientenschutzes ist es auch, dass es klinische Prüfungen mit so genanntem niedrigem Risiko geben soll, bei denen Prüfmedikamente eingesetzt werden können, die behördlich nicht zugelassen sind. In einem solchen Fall sollen ausreichende Literaturdaten oder Therapieempfehlungen den Einsatz rechtfertigen können. Solche Studien sollen auch nicht den strengen Überwachungsregeln der übrigen klinischen Prüfungen unterliegen.
Der jetzige Beschluss des Gesundheitsausschusses berücksichtigt zudem nicht ausreichend die bestehenden Unterschiede in der medizinischen Versorgung innerhalb der 27 Mitgliedsstaaten. Hinzu kommt, dass zur Beurteilung der Eignung der Prüfstelle und der Qualifikation des Personals eine Selbstbestätigung des Leiters der Prüfstelle ausreichen soll, dass die Prüfstelle geeignet ist. Ebenso ist eine Vorlage der vertraglichen Regelung zwischen Sponsor und Prüfstelle nicht zwingend vorgesehen.
Sollten die Änderungen im EU-Recht tatsächlich so eintreten wie es derzeit der Beschluss des Gesundheitsausschusses vorsieht, dann bedeutet dies für den Patienten- und Probandenschutz einen „herben Rückschritt und führt die deutschen Bemühungen um die Patientensicherheit ad absurdum“, so Hessenauer und Wessler.
In der Ethik-Kommission bei der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz wägen Ärzte, Juristen sowie Theologen und Vertreter vom Pflege- und Sozialdienst vor Beginn einer Arzneimittelstudie immer mögliche neue Erkenntnisse für die medizinische Versorgung und eventuelle Risiken und Belastungen kritisch gegeneinander ab. Dabei ist die Ethik-Kommission verpflichtet, den Schutz, die Rechte und das Wohlergehen künftiger Studienteilnehmer zu sichern und Schaden von Patienten und Probanden fernzuhalten. Patientenschutz ist somit oberstes Ziel der Arbeit der Ethik-Kommission. Sie ist die entscheidende Clearingstelle, wenn es um die Forschung am Menschen geht. Die Ethik-Kommission in Mainz wurde 1980 gegründet und gehört somit zu den ältesten Einrichtungen ihrer Art in Deutschland. Sie ist aus der medizinischen Forschung nicht mehr wegzudenken und hat sich längst als vertrauensvolle Prüfinstanz für den Patientenschutz und als verlässlicher Berater für den forschenden Arzt etabliert. Die Ethik-Kommission in Deutschland tragen mit ihren Prüfungen und ihrem Votum beziehungsweise auch ihrer Ablehnung erheblich zur Qualitätssicherung in der medizinischen Forschung bei.