Zufällig in Nähe zum Jom Hashoa (8.4.2013), dem jüdischen Gedenktag an die Opfer von Shoah und Ghetto-Widerstand, und zum 80. Jahrestags des unmenschlichen NS-Gesetzes vom 7.3.1933, mit dem Deutsche jüdischen Glaubens aus der Verwaltung verdrängt wurden, las am 11.4.2013 Karlheinz Müller, Vorsitzender der Elisabeth Langgässer-Gesellschaft Darmstadt, bei der vhs-Rheinzabern über „Cordelia Edvardson – eine deutsche Schriftstellerin“.
Cordelia Edvardson (*1.1.1929 +29.10.2012) war die Tochter von Elisabeth Langgässer, der zeitweilig berühmtesten deutschen Schriftstellerin der ersten Nachkriegsjahre. Aufgrund der unmenschlichen nationalsozialistischen Gesetze wurde das Mädchen, uneheliche Tochter der „Halbjüdin“ Elisabeth Langgässer und des jüdischen Professors Hermann Heller, nach Theresienstadt und Auschwitz verschleppt, wo sie in der Umgebung des berüchtigten SS-Arztes Josef Mengele überlebte. Nach der Befreiung von Auschwitz wurde Cordelia von einer schwedischen Familie aufgenommen. In ihrem Buch Gebranntes Kind sucht das Feuer beschreibt Cordelia Edvardson im Jahre 1986 ihre Geschichte. Das einzige Zusammentreffen mit ihrer Mutter fand im Jahre 1949 in Rheinzabern statt, doch fanden Mutter und Tochter keine gemeinsame Sprache mehr. Das Familientreffen scheiterte.
Karlheinz Müller stellte heraus, dass Cordelia Edvardson mehr war als „nur“ die Tochter von Elisabeth Langgässer. Ihr eigenes Leben erfuhr mehrere Prägungen: Da ist das katholisch erzogene und kulturell geprägte deutsche Kind, dem man seine Wurzeln verheimlicht hatte. Auch die von der Mutter eingefädelte Scheinadoption durch eine spanische Familie kann das Kind nicht retten. Die ausgesonderte Deutsche wurde in Theresienstadt und Auschwitz als Jüdin behandelt – von den Mitgliedern christlicher Gemeinschaft. Dort erfuhr sie erstmals etwas von Erez Israel und Kibbuz, wurde stolz, eine Jüdin zu sein. Bis dato war für Cordelia der Begriff „Jüdin“ immer negativ besetzt, nicht zuletzt hatte sich ein Ferienerlebnis in Oberstdorf bei ihr eingeäzt, als sie der dortige Gastgeber „dreckige Judengöre“ schalt. Im Umfeld dieses Ferienaufenthalts entstand übrigens Elisabeth Langgässers Kurzgeschichte „Saisonbeginn“, die es in alle Schulbücher schaffte. In Auschwitz wurde ihr dann die Nummer A 3709 eingeäzt. Es war die Nummer eines bereits vernichteten Opfers. Schwedische Spuren sind ebenso in ihr verwurzelt wie das Bewusstsein, zum Judentum zu gehören und eine Überlebende der Shoah zu sein. Es war der Jom Kippur Krieg 1973, als dem jüdischen Volk erneut die Vernichtung drohte. Cordelia betrachtete sich als Glied im Bund des unauslöschlichen Siegels, des Bundes zwischen Gott und den Menschen. Sie ging nach Israel, um sich als Journalistin für das Lebensrecht Israels einzusetzen.
Stets aber war die Frage nach der eigenen Identität für Cordelia von besonderer Wichtigkeit. Wer war sie? War sie Cordelia Langgässer oder Cordelia Hoffmann oder Cordelia Sara Hoffmann oder Cordelia Garcia-Scouvart oder Cordelia Edvardson? Die immer wieder gestellte Frage, ob sie von ihrer Mutter zum Schutz ihrer drei „arischen“ Geschwister geopfert worden sei, beantwortete sie klar: Auch Elisabeth Langgässer war ein Opfer der unmenschlichen Gesetze, nicht nur die Tochter. Auftrag muss sein, so etwas nie mehr zuzulassen. Cordelia Edvardson betonte auch, dass Gewalt nicht „bewältigt“ werden könne, sondern jede Generation sich aufs Neue mit der Bewältigung der Vergangenheit auseinandersetzen müsse. Verantwortung sei vererblich.
Edvardsons Bücher sind aus dem Schwedischen übersetzt. Deutsch war nicht mehr ihre Muttersprache, denn Cordelia Edvardson hatte das Gefühl für Nuancen verloren. Als sie starb, waren schwedische Zeitungen mit Nachrufen voll – im Gegensatz zu vielen deutschen Medien. Zu den rühmlichen Ausnahmen zählt z.B. die WELT, die über Cordelia Edvardson schrieb: „Ihr Leben passt in keinen Zeitungsartikel“. Wie wahr.
Barbara Müller, Rheinzabern, verstand es mit ihrer Violine geschickt, den Abend mit Werken von Johann Sebastian Bach zu umrahmen und die Besucher in eine sehr nachdenkliche Stimmung zu versetzen. Ein literarischer Abend, der noch lange in Erinnerung bleiben dürfte. Lang anhaltender Dank bekräftigte diesen Eindruck.