In den letzten 15 Jahren wurden in Deutschland jährlich rund 600 Patentverletzungsprozesse verhandelt. Das ist europaweit Spitze und liegt vor allem an der Kombination aus relativ niedrigen Kosten und zügigen, verlässlichen Entscheidungen.
Interessanterweise gehen jedoch deutlich mehr als die Hälfte dieser Prozesse ohne Urteil zu Ende, weil die beteiligten Parteien sich nach Prozessbeginn vergleichen oder den Prozess fallen lassen. Die Gründe dafür nennt eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim: die Festsetzung eines für die Parteien unerwartet hohen Streitwerts, mit dem Risiko entsprechend hoher Gerichtskosten für den Prozessverlierer; die Gefahr der Einreichung einer Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht, die die Monopolstellung eines Patentinhabers bedrohen könnte; die Angleichung der Erwartungen von Kläger und Beklagtem hinsichtlich des Prozessausgangs, aufgrund entsprechender Stellungnahmen von Sachverständigen vor Gericht.
Ein Patentinhaber strengt in der Regel dann einen Prozess an, wenn er eine Verletzung seines Patents durch ein anderes Unternehmen feststellt und diese Patentverletzung durch ein Gericht bestätigt und sanktioniert haben möchte. Indessen wird lediglich in knapp 40 Prozent aller Fälle letztlich auch ein Urteil gesprochen, während der Anteil der Patentverletzungsprozesse, die in einem Vergleich enden oder abgebrochen werden, laut ZEW bei durchschnittlich 62,3 Prozent liegt. Dabei gibt es zwischen den einzelnen Landgerichten deutliche Unterschiede. So liegt der Wert für Düsseldorf bei 59,8 Prozent, gefolgt von Mannheim mit 66,5 Prozent und München mit 70,1 Prozent.
Das ZEW hat nun auf Grundlage umfangreicher Recherchen und Auswertungen bei Patentgerichten und Patentämtern untersucht, welche Gründe ausschlaggebend für einen Prozessabbruch oder Vergleich sind (ZEW Discussion Paper No. 12-084). In die Auswertungen einbezogen wurden alle Patentverletzungsprozesse an den Landgerichten Mannheim, München und Düsseldorf, die in den Jahren 2000 bis 2008 verhandelt wurden. Das entspricht etwa 80 Prozent aller Fälle deutschlandweit. Aus Daten des Deutschen Patent- und Markenamts und des Europäischen Patentamts erhielt das ZEW weitere Informationen zu den Patenten wie etwa die Anzahl der Länder, in denen das Patent beantragt wurde. Für die Analyse betrachtete das ZEW insgesamt rund 2.500 Fälle.
Die Untersuchung zeigt, dass es vor allem drei Ereignisse sind, die die beteiligten Unternehmen veranlassen, einen Prozess nicht bis zum Ende durchzuziehen. Setzt beispielsweise der Richter einen hohen Streitwert an,
steigen die Kosten für das Unternehmen, das den Prozess verliert zum Teil deutlich an. Ein außergerichtlicher Vergleich wird somit attraktiver.
Allerdings sind die Gerichtskosten im Vergleich zu den Anwaltskosten eher gering. Es überrascht daher nicht, dass dieser Effekt zwar statistisch signifikant, aber relativ klein ist.
Ein weiterer Faktor, der zum Prozessabbruch führen kann, ist die Möglichkeit für den beklagten Patentverletzer, eine Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht anzustrengen. Eine erfolgreiche Klage würde das Monopol des Patentinhabers gefährden. Das Risiko, dass das Patent zum Teil oder schlimmstenfalls sogar zur Gänze für nichtig erklärt wird, kann den Kläger dazu veranlassen, einen Vergleich im laufenden Prozess in Betracht zu ziehen.
Das dritte Ereignis schließlich, das zum vorzeitigen Prozessende führen kann, ist die Hinzuziehung externer Sachverständiger durch den Richter. Die Anhörung der Experten führt dazu, dass sich die Informationsstände von Kläger und Beklagtem aneinander angleichen und somit auch ihre Erwartungen hinsichtlich des Prozessausgangs. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Vergleichs um beachtliche zehn Prozent.
Die ZEW-Untersuchung zeigt ebenfalls, dass die Neigung eines Unternehmens, sich während eines Prozesses für einen Vergleich zu entscheiden, stark von firmenspezifischen Eigenschaften und Strategien abhängt. So ziehen Unternehmen mit hohem Patentwert, einem großen Vertrauen in ihre Chancen vor Gericht und mit der Strategie, ein stabiles Urteil zu erzielen, seltener einen Vergleich in Betracht.
Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim
Das ZEW arbeitet auf dem Gebiet der anwendungsbezogenen empirischen Wirtschaftsforschung. Dabei hat es sich insbesondere durch die Bearbeitung international vergleichender Fragestellungen im europäischen Kontext sowie den Aufbau wissenschaftlich bedeutender Datenbanken (z. B. Mannheimer Innovationspanel, ZEW Gründungspanel) national und international profiliert. Die zentralen Aufgaben des ZEW sind die wirtschaftswissenschaftliche Forschung, die wirtschaftspolitische Beratung und der Wissenstransfer. Das ZEW wurde 1991 gegründet. Derzeit arbeiten am ZEW 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen rund zwei Drittel wissenschaftlich tätig sind.
Forschungsfelder des ZEW:
Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement; Arbeitsmärkte, Personalmanagement und Soziale Sicherung; Industrieökonomik und Internationale Unternehmensführung; Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft; Umwelt- und Ressourcenökonomik, Umweltmanagement; Informations- und Kommunikationstechnologien; Wachstums- und Konjunkturanalysen; Wettbewerb und Regulierung.