Wirtschaft zeigt großes Interesse am Instrument der Heidelberger Arbeits- und Organisationspsychologen.
Um krankmachende psychische Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz aufzuspüren und ihnen entgegenzuwirken, haben Heidelberger Wissenschaftler ein Verfahren entwickelt, das bereits von zahlreichen namhaften Unternehmen in Deutschland angewendet wird. Anders als bei Befragungen zur Erfassung psychischer Belastungen, die sich auf die subjektive Einschätzung von Mitarbeitern und Führungskräften beziehen, liegt mit dem in der Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie der Ruperto Carola entwickelten Verfahren ein Instrument vor, das objektivierbare Belastungsfaktoren misst. Genutzt wird es von Vertretern des betrieblichen Gesundheitsmanagements und des Human Ressource-Managements, unter anderem in der Automobilindustrie, in der chemisch-pharmazeutischen Industrie, der Stahlindustrie, der Touristik und der Logistik.
„Ausgangspunkt war die empirisch belegbare Zunahme psychischer Belastungen am Arbeitsplatz vor dem Hintergrund vielfältiger technologischer und organisatorischer Veränderungen“, erklärt der Leiter der Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie, Prof. Dr. Karlheinz Sonntag. Neben den individuellen Folgen für den Mitarbeiter betrifft dies durch die Zunahme von Arbeitsunfällen, krankheitsbedingten Fehlzeiten und Fluktuation auch den Arbeitgeber. „Deshalb sollte es im Eigeninteresse des Unternehmens und in der Verantwortung des Arbeitgebers liegen, psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu ermitteln und negative Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter zu vermeiden.“
Das „Instrument zur Analyse psychischer Belastungen“ (IAPB) berücksichtigt sowohl aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zur Erfassung psychischer Belastungen als auch praxisbezogene Erfordernisse und die konkrete Situation in der Organisation. Die Wissenschaftler gehen dabei in mehreren Schritten vor. In einer ersten Entwicklungsphase werden die Inhalte des Instruments in Abstimmung mit Unternehmensvertretern wie Arbeitsmedizinern, dem Betriebsrat und Fachvorgesetzten an den spezifischen Kontext angepasst. Danach werden die einzelnen Arbeitsplätze von Analyseteams begangen, die zuvor in der Anwendung des Instruments geschult wurden. Analysiert werden einzelne Belastungsdimensionen, wie zum Beispiel Arbeitskomplexität, Arbeitsunterbrechungen, Kooperationserfordernisse, Verantwortungsumfang und Handlungsspielraum. Die Entscheidung, welche Einflussfaktoren psychischer Belastungen als relevant betrachtet werden und mit welcher Ausprägung diese am Arbeitsplatz auftreten, muss dabei im Konsens fallen. Die Heidelberger Wissenschaftler gehen dabei davon aus, dass sich Belastungen nicht, wie in gängigen Modellen üblich, auf eine Dimension reduzieren lassen. Sie ermitteln darum kritische Belastungskombinationen, die ein erhöhtes Risiko gesundheitlicher Beeinträchtigungen oder negativer Beanspruchungsfolgen wie Stress, Ermüdungsgefühl, Erschöpfung, Gereiztheit und ähnliche Symptome mit sich bringen.
Fallen beispielsweise ein niedriger Handlungsspielraum und eine hohe Kundenorientierung zusammen, kann dies dazu führen, dass den Mitarbeitern kein Spielraum zur Verfügung steht, um von vorgeschriebenen Standards abzuweichen und situationsbezogen zu reagieren. Die Mitarbeiter können so in einen Zwiespalt zwischen individuellen Gestaltungswünschen und vereinbarten Regeln geraten. In einem konkreten Fall, der die Mitarbeiter in Beratung und Verkauf eines Unternehmens betraf, haben die Heidelberger Wissenschaftler in Abstimmung mit den Mitarbeitern und den Unternehmensvertretern ein flexibles Beratungssystem eingeführt, das es erlaubt, Zeitspielräume zu definieren und auf individuelle Kundenwünsche einzugehen.
„Nur durch eine sorgfältige Diagnostik können geeignete und differenzierte Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes abgeleitet werden, die neben dem gesundheitlichen Wohlbefinden auch die Arbeitszufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter erhalten und fördern sowie die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens verbessern“, erläutert Karlheinz Sonntag. „Die Attraktivität des Verfahrens liegt in seiner aufwandsökonomischen Durchführung, der objektiven Beurteilung durch ein Analyseteam und in seiner konsensorientierten Beurteilung. Die Relevanz und Aktualität einer fundierten Analyse psychischer Belastungen am Arbeitsplatz zeigt sich in der medialen, aber vor allem realen Präsenz dieses Themas.“