Sie sind die Partei, vor denen sich die anderen Parteien in Zukunft fürchten dürfen. Zur Zeit bekommt die FDP zu spüren, was es bedeutet, von einer aufstrebenden Volkspartei überrollt zu werden. Im Schach kennen wir den Ausdruck "en passant", ein Schlagen im Vorübergehen. Die Rede ist von der Piratenpartei.
Zu Beginn eher belächelt, bleibt selbst Bundespolitikern nur noch die Flucht in hilflose Formulierungen und seltsamen Auslegungen der Fakten. Gerade haben die Piraten im Saarland einen Sensationserfolg errungen, da treten sie bereits an um in NRW bei den bald stattfindenden Landeswahlen, das dortige Parlament zu entern.
Der immer wieder stark strapazierte Vergleich mit den Grünen und deren Anfänge, will niemand so recht akzeptieren. Sie sind eine Generation, die aus dem Netz heraus geboren wurde. Sie haben einen enormes Potential an Wählern und zukünftigen Wählern hinter sich. Eben die Generation Internet.
Alle haben sie geschlafen. Da nützt es wenig wenn FDP-Vize-Chefin Leutheusser-Schnarrenberger postuliert, dass die FDP das Original und die Piraten die Kopie seien, wenn es um Datenschutz und Privatsphäre geht. Über eine solche Realitätsverzerrung lachen die Jungpolitiker. Denn im Volk glaubt das ohnehin niemand. Der verzeifelte Versuch, die Felle, die bereits ausser Sichtweite sind, wieder herbeizufabulieren.
Die Piraten haben ihre eigenen Experten. Sehr viele IT-Fachleute und Informatiker, die alle die Angst vor dem totalen Überwachungsstaat antreibt. Ein Expertenpool von dem die grossen Parteien nur träumen dürfen.
Dort wo bekannte Politiker auf einfache Fragen zu Internet, Google & Co nur haarsträubende Antworten geben, haben sie ihre Domäne. Auch aus diesem Grund traut eine stetig wachsende Zahl an Bürgern den kompetenten Fachleuten der Piraten immer mehr zu. Das macht sie mittelfristig zu einer großen Gefahr für die etablierten Parteien, die sich in Zukunft selbst ihrer Stammwähler nicht mehr sicher sein können. Die Ehrlichkeit und Zielstrebigkeit der Jungpolitiker ist wohl derzeitig mit nichts zu toppen.
Die etablierten Parteien werden den Wind aus den Segeln dieser Partei sehr bald bundesweit zu spüren bekommen. Die See wird rauer werden für die eingesessenen Berufspolitiker.
Es ist an der Zeit diese jungen IT-Experten und ihr Motto sehr ernst zu nehmen.
"Klarmachen zum Ändern". Ein passendes Wortspiel auf Piraten aus früheren Zeiten, denen es um die Übernahme von Schiffen ging und die diesen Vorgang "Entern" nannten.
Wir haben uns deshalb auf einem ganz normalen Piratentreffen in Ludwigshafen, die politische Arbeit und die Menschen angeschaut, die angetreten sind, eine ganze Gesellschaft und deren Denk-Strukturen umzubauen. Weg von der Überwachung und hin zur, wie sie es ausdrücken, Basis-Demokratie mit Datenschutz und Privatsphäre.
So redeten wir nach dem Treffen mit dem
- Landesvorsitzenden der Piraten in Rheinland-Pfalz Roman Schmitt (Software-Entwickler)
- dem Kreisvorsitzenden Rhein-Pfalz Jochen Schäfer (Dipl. Technoinformatiker)
- und seinem Stellvertreter Kai Sturm.
Herausgekommen ist ein Interview mit interessanten Ansichten zu einem neuen Demokratieverständnis, über das es sich in jedem Falle lohnt, zu diskutieren. Die Bilder zum Interview finden Sie ganz am Ende.
Red: Ein paar Sätze zu Beginn zum Saarland …
Roman Schmitt: Als klar war, dass es zur Wahl geht habe ich die Jasmin kontaktiert (Jasmin Maurer – Spitzenkandidatin Saarland – die Red.) und gefragt, wie wir aus RLP helfen können. Nach kurzer Zeit hatte Sie uns einen Ansprechpartner genannt und wir hatten unsererseits einen Ansprechpartner gewählt. Dadurch konnten wir die Kräfte bündeln. Wir sind dann regelmäßig ins Saarland gefahren und haben Plakate geklebt.
Also alles was die Manpower nicht leisten konnte, haben wir versucht zu übernehmen, damit die Piraten im Saarland sich auf ihr Wahlprogramm konzentrieren konnten. Ich war bei der Aufstellungsversammlung in Neunkirchen als Protokollant mit dabei, wir haben alles mitgemacht, was gerade anfiel.
Red: Als Pirat heißt es richtig mit anpacken?
Jochen Schäfer: Wir drei haben den Landtagswahlkampf gemacht. Ich weiß nicht wieviele Wochenenden wir im Kalten gestanden haben, um die notwendigen Unterschriften zusammen zu bekommen. Das ist harte Knochenarbeit. Wir haben es als junge Partei, die noch Unterschriften sammeln muss, nicht leicht.
Red: Warum seid ihr Piraten geworden?
Kai Sturm: Bei mir war das von Anfang an die Angst vor dem Überwachungsstaat. Dadurch, dass wir in der EDV-Branche sind, und das sind sehr viele von uns, kennen wir natürlich die Möglichkeiten, die die EDV im Postiven wie im Negativen bietet.
Es gab damals eben die Pläne von Ursula von der Leyen, Zensursula wegen der Vorratsdatenspeicherung, die ein totalitäres System erst möglich machen. Diese Sache wollen wir an der Wurzel packen. Das heißt wir wollen nicht, dass der Staat zwar die Möglichkeit zum überwachen bekommt, diese aber nicht nutzt. Wir wollen ganz klar, dass der Staat diese Möglichkeit erst gar nicht in die Hände bekommt um so einen Missbrauch zu verhindern.
Jochen Schäfer: Ich war ca. 15 Jahre in der SPD als inaktives Mitglied. Und meiner Meinung nach hat diese Partei Einiges verbockt, was mir nicht gefiel. Die Zustimmung zu dem Zensurgesetz war dann der Tropfen , der das Fass zu Überlaufen brachte. Die Piraten waren in dieser Zeit die Einzigen die gegen gehalten haben. Die sagten: "… Leute Kinderpornos sind sehr schlimm, aber trotzdem kein Grund so ein Ding durchzudrücken."
Die Piraten waren auch die Einzigen die gegen die Mainstream-Medien-Kampagnen wie die von Bild usw. gegen gesteuert haben. So erinnern wir uns, dass der Fraktionsvorsitzende der SPD sagte: "Leute denkt dran was heute morgen in der Bild war". Und die eigentlich kritische Fraktion der SPD dann für das Gesetz geschlossen stimmte. Das ging für mich gar nicht. Und aus diesem Grund bin ich dann zu den Piraten gewechselt. Ich habe meine SPD-Mitgliedschaft gekündigt und bin bei der Piratenpartei eingetreten.
Roman Schmitt: Ich habe vor meinem geistigen Auge auch den Überwachungsstaat gesehen.
Ich habe das erste Mal 2006 von den Piraten gehört. Die damaligen Piraten stemmten sich vehement gegen die Vorratsdatenspeicherung. Das genügte mir damals nicht. Ausserdem war ich noch unsicher, wie denn eine solche Parteiarbeit funktioniert. Dann kam 2009 das Zensursula-Gesetz und der 18.06 an dem das Gesetz verabschiedet wurde. Da habe ich meinen Mitgliedsantrag abgegeben. Denn alle Widerstände gegen dieses Gesetz hatten nichts bewirkt und ich sagte mir, dass ich selbst etwas dagegen tun muss. Ich habe dann angefangen mitzuarbeiten und schnell gesehen, dass ich sehr viel bewegen kann. Hier bin ich nicht nur eine Karteileiche wie bei anderen Parteien, habe also nichts zu melden. Hier bei den Piraten muss ich nicht jahrelang Plakate aufhängen um mitreden zu können. Hier darf ich sofort mitmachen und mitreden.
Jochen Schäfer: Für mich war das Erweckungserlebnis während des Parteitages im Limburgerhof. Ich habe damals nur 2 grosse Kaffeemaschinen angeschleppt und ansonsten den Parteitag genossen. Dann wurde ich als Helfer zum "Helfer-Grillen" eingeladen. Da spürte ich dass es bei den Piraten nicht darum geht, dass jemand in der Hierarchie etwas "ist" oder darstellt, sondern das man etwas tut. Und dass der Einzelne darüber definiert wird.
Red: Ist das dann die Basisdemokratie der Piraten?
Kai Sturm: Das gehört und passt alles zusammen. So wie ich es vorhin mit dem Überwachungsstaat meinte. Das eben niemand da ist, der uns überwacht und versorgt wie einen Vater und eine Mutter. Wir sind erwachsene Menschen und mündige Bürger und können über unser Leben selbst bestimmen. Und wir können über das Zusammenleben in der Gemeinschaft selbst bestimmen. Und dazu benötigen wir keine stark ausgeprägte Hierarchie die uns sagt was wir zu Denken, zu Tun und zu Lassen haben.
Red: Woran stellt ihr fest, dass ihr tatsächlich etwas bewegt?
Roman Schmitt: Dass die Parteien inzwischen schon panisch springen und die Lobbymedien extrem gegen uns schiessen.
Jochen Schäfer: Dass selbst die CDU,CSU das Thema Netz für sich entdeckt. Jetzt könnten wir spekulieren wie ernst die das meinen und wie durchsetzbar das Ganze ist. Trotzdem ist das natürlich der Versuch Piratenthemen zu besetzen.
Roman Schmitt: Selbst die Grünen und die Linken versuchen das. Ich weiß dass die Linken in NRW eine Art Liquid-Feedback(http://wiki.piratenpartei.de/Liquid_Democracy und https://lqpp.de/) versuchen, dass es aber nicht so recht funktioniert, weil Keiner so richtig weiss wie es geht. Ich weiss nicht genau ob es im Saarland, Schleswig-Holstein oder NRW war, wo die Grünen sagten, dass sie auch einen jungen Mann haben, der das mit dem Internet kann und der das jetzt bei ihnen macht.
Da haben wir dann doch ein wenig geschmunzelt. Trotzdem schießen die meisten nun gegen uns und plötzlich sind wir nur die Kopierer und die Anderen das Original.
Kai Sturm: Wir sehen das auch an ganz konkreten Tatsachen. Das Zensursula-Gesetz welches wieder gekippt wurde. Oder die FDP die sich plötzlich den Piratenthemen zuwendet. Ich denke mal das würden die in dieser Form nicht so machen, wenn wir nicht als Gefahr da wären, die ihnen die Stimmen abnehmen.
Jochen Schäfer: Oder in Berlin der Schultrojaner. Das waren nicht nur die Piraten. Es wäre aber bestimmt unter den Tisch gefallen, wenn die Piraten nicht eine grosse Anfrage gemacht hätten und damit gezeigt hätten, dass sie aufpassen und den Verantwortlichen auf die Finger schauen.
Kai Sturm: Oder nehmen wir ACTA. Das es jetzt nochmals im Justizministerium überprüft wird, liegt nicht alleine an den Piraten. Es gab europaweite Proteste an denen sich sehr viele Piraten in Form von Infoständen oder Teilnahme an Demonstrationen beteiligten.
Jochen Schäfer: Wir hatten bereits im Juni 2010 Infostände zum Thema ACTA durchgeführt und Proteste organisiert. Für uns also ein lange bekanntes Thema. Das ist das gleiche wie Stuttgart 21. Die Proteste wurden lange nicht wahrgenommen. Erst als es auf die Zielgerade ging und sehr viele Leute merkten, dass hier etwas passiert was nicht sein darf, entstand der grosse bundesweite Sturm.
Roman Schmitt: Naja die Leute wurden ja auch lange nicht informiert und wussten nicht was los ist. Und plötzlich wird aus dem Mainzer Landtag gestreamt (Videoübertragung ins Netz – d. Red.)
Jochen Schäfer: Die Bundesregierung hat wohl wegen den Erfahrungen mit Stuttgart 21 ein Handbuch zum Thema Volksentscheid, große Bauvorhaben herausgegeben. Ich denke da haben die Piraten auch ihren Teil mit dazu beigetragen.
Roman Schmitt: Die Piraten haben sicherlich einen Beitrag dazu geleistet.
Red: In der Presse steht oft, dass ihr eine Art Spaßpartei seid. Wie ernst ist für Euch die politische Arbeit?
Roman Schmitt: Wenn Einer kommt und sagt wir sind eine Spaßpartei, dann sage ich: " Jawohl bei uns macht Politik Spaß."
Jochen Schäfer: Wir haben in Deutschland die Denkweise, dass Dinge die richtig und wichtig sind, keinen Spaß machen. Die Frage ist Warum? Alle Lernforscher sagen, wenn dir etwas Spaß macht, dann lernst du am Besten.
Ich sage damit nicht dass man Dinge nicht ernst nehmen soll. Allerdings soll man dabei auch nicht das Lachen verlernen. Wenn ich Spitzenpolitiker sehe, die nur noch ernst durch die Gegend laufen und uns vorwerfen wir haben Spass bei dem was wir machen, dann läuft etwas falsch.
Roman Schmitt: Wir wissen dass wir mit Spaßaktionen die Menschen schneller erreichen. In Berlin war diese Sache mit Freiheit statt Angst. Da war das Thema mit den Killerspielen aktuell. Dann haben sich die Piraten hingesetzt und böses Killerschach gespielt. Eben auch ein Spiel bei dem der Gegner "getötet" werden soll. Solche Aktionen wecken die Leute auf. Von dieser Sicht gesehen, sollten wir von solchen Mitteln Gebrauch machen um den Leuten visuell zu zeigen worum es im jeweiligen Fall geht. Viele Themen sind so trocken und zäh, das können sich die Menschen nicht vorstellen. Da sehe ich die Aufgabe der Piraten es den Leuten verständlich zu machen. Ganz ohne Fachausdrücke oder Akademikersprech.
Red: Der Zweck heiligt die Mittel. Wo sind eure Grenzen? Oder würdet ihr Euch bei euren Aktionen lächerlich machen? Es gab in der Vergangenheit teilweise merkwürdige Aktionen wie wilde Tänze vor Überwachungskameras oder seltsame Flash-Mobs.
Jochen Schäfer: So etwas bringt nichts. Wenn ich mit Leuten vor Kameras gehe und darauf aufmerksam mache, dann bringt das mehr. Allerdings muss man sich manchmal vielleicht lächerlich machen um etwas zu erreichen.
Eine sehr gute Aktion fand ich, als das Thema Nackt-Scanner aktuell war. Selbst das Wallstreet-Journal berichtete damals über die deutschen Piraten, die sich auf deutschen Flughäfen bis auf die Unterwäsche auszogen und dann demonstrativ herumgelaufen sind. Jetzt könnte man sagen, die haben sich lächerlich gemacht. Dennoch war es eine sehr gute Aktion, weil sie ein grosses Echo brachte und die Leute plötzlich verstanden was da los ist.
Roman Schmitt: Das war noch vor dem Einzug der Piraten ins Berliner Parlament. Da rief sogar RTL an und fragte nach der Aufzeichnung dieser Aktion in HD-Qualität und das sie das dringend bräuchten.
Jochen Schäfer: Und plötzlich waren wir im Fernsehen. Davon hatten wir davor nicht mal zu Träumen gewagt. Und vor allen Dingen war das Thema Nackt-Scanner als Name vorbei.
Roman Schmitt: Eine sehr gute Aktion war meiner Meinung hier in Ludwigshafen, als wir uns mit Laptop und dem Empfänger einer Funkkamera bestückten und durch die Stadt zogen um die Signale der Überwachungskameras aufzunehmen. Die senden auf einer Frequenz die man teilweise mit einem Babyphone-Empfänger abgreifen kann. Wir haben dann versucht den Leuten deutlich zu zeigen was geht.
Jochen Schäfer: Die Technik ist für einen "Appel und Ei" in jedem Baumarkt zu haben.
Roman Schmitt: Und was Viele nicht wissen, die Signale sind unverschlüsselt und nutzen Standardfrequenzen. Es gibt hier in Ludwigshafen eine Bäckerei, die sendet offen. Da kann man direkt auf die Kasse schauen. Und wenn man dann sehen kann, wie ich gerade an der Kasse der Bäckerei meine Pin eingebe, dann denkt vielleicht der Eine oder Andere doch mal anders darüber.
Red: Habt ihr den Inhaber angesprochen?
Roman Schmitt: Ja er sieht da kein Problem.
Red: Also hat sich für die Kunden nichts geändert?
Roman Schmitt: Nein
Red: Es ist momentan "Hipp" Pirat zu sein. Seid ihr cool und hipp?
Roman Schmitt: Nein. Als ich beitrat wollte ich ganz klar etwas bewegen und ändern.
Jochen Schäfer: Man schlägt sich ja nicht die Zeit um die Ohren, die man mit seiner Frau und der Familie verbringen könnte, nur weil es "in" ist Pirat zu sein. Und lässt sich ab und an von der Frau schief anschauen: " … Du könntest ja mal wieder Zeit mit mir verbringen"
Red: Das Privatleben leidet?
Jochen Schäfer: Auf jeden Fall. Wir gehen alle arbeiten und machen das alles als Amateure. Wir machen das nicht hauptberuflich. Ich verdiene meine Brötchen als Software-Entwickler. Ich habe einen guten Chef der mir viel Spielraum für meine politische Arbeit lässt . Da kann ich auch mal etwas nebenbei machen. Wir haben keine schlagkräftige Organisation. Ich habe keine Sekretärin in einem Parteibüro, bei der ich anrufen kann und sagen kann: "… Mach mal".
Roman Schmitt: Dafür sind unsere Leute eben voll dabei und sehr motiviert.
Jochen Schäfer: Es ist zur Zeit ein Hobby und Jeder kann daran teilnehmen. Allerdings ein Hobby mit ernstem Hintergrund.
Red: Wenn ihr gefragt werdet, was ihr zu anderen wichtigen Themen in Deutschland zu sagen habt. Wie geht ihr damit um, dass es immer wieder heisst, dass man euch vergessen kann, da ihr ohnehin dazu keine Meinung habt?
Jochen Schäfer: Ich glaube das ist der Anspruch des Bürgers der ihm von den Politikern bisher eingeimpft worden ist, dass man ein Vollprogramm bringen muss. Ich sehe das anders. Für uns genügt ein Teilprogramm durchaus. Wenn wir 51% erreichen würden und alle Gesetze alleine durchbringen könnten, dann müssten wir uns darüber Gedanken machen. Ich denke mal wenn wir uns in dem 10er-Bereich bewegen, wie die FDP bspw. dann ist das gut und wir haben viel erreicht. Auch die Grünen haben ihre Spezialgebiete. Und wenn wir uns eine rot-grüne Koalition anschauen, dann haben die Grünen auch ihre Sozialpolitiker. Nur ist die Frage, wer denn die sozialpolitischen Experten sind. Natürlich die Leute von der SPD und nicht die Grünen.
Insofern denke ich, können wir Akzente in einer Regierung setzen ohne dass wir jetzt zu Allem und Jedem ein Programm haben müssen. Die Piraten haben zur Zeit ein Meta-Programm. Wir wollen Demokratie schaffen. Wir wollen die Leute reinziehen. Es kommt eben nicht so drauf an, dass wir ein fertiges Programm haben. Das sollen uns die Leute geben. Die Berliner Piraten haben das im Wahlkampf treffend plakatiert. "Wir sind die mit den Fragen und ihr seid die mit den Antworten" Das ist das was die Piraten ausmacht.
Roman Schmitt: Mir ist es wichtig, dass wir uns nur zu Themen äußern, bei denen wir uns auch auskennen. Und nicht wie andere Parteien plötzlich auf Netzpolitik machen, nur weil die Piraten gerade "in" sind.
Jochen Schäfer: Vor allen Dingen wird der Eindruck erweckt, als könnte man alles wissen. Das ist falsch. Ich bin kein Volkswissenschaftler. Aber ich bin zu tiefst davon überzeugt, dass die Lösung für die Eurorettung, die der Bundestag jetzt abgestimmt hat, nicht ausreicht. Als Informatiker kenne ich komplexe Systeme. Es gibt niemals eine Einzellösung. Man muss immer alles auf vielen Stützen absichern. Eine Kette reisst eben immer am schwächsten Glied. Und wenn ein Loch im Schirm entsteht, dann ist es vorbei. Ich glaube nicht, dass die wissen was Sie tun.
Und die meisten Politiker wissen nicht mal worüber sie reden, wenn es um das Thema Internet geht. Ein Beispiel aus einer satirischen Sendung, ich weiß nicht mehr genau welche. Da wurde ein CDU-Mann befragt, was wir denn tun sollten, wenn das Internet voll ist? Er meinte dann, dass da erst mal Google befragt werden muss. Er hätte anstatt dessen besser gesagt, dass er keine Ahnung hat. Die Öffentlichkeit muss lernen, dass wir nicht blöd sind, wenn wir zu einem Thema nichts sagen. Uns wird immer wieder vorgeworfen, dass wir nichts lernen wollen.
Das ist so nicht richtig. Wir lernen natürlich dazu. Doch im Prozess des Lernens geben wir zu, dass wir zu bestimmtem Themen noch nichts wissen. Die Erwartungshaltung, die sich ganz tief im Bewusstsein eingeprägt hat, ist dass ein Politiker zu allem etwas sagen muss. Das halte ich für vollkommen falsch.
Roman Schmitt: Ich bin in einem Interview vom SWR in Andernach zu meiner Meinung zum Europaantrag gefragt worden. Da musste ich dann sagen: "… Warum fragt ihr nicht den Antragsteller?" Ich bin zwar der Vorsitzende des Landesverbandes. Habe diesen Antrag dennoch nur überflogen.
Oder in einem anderen Interview, als ein Portrait über mich gemacht wurde, bekam ich eine Frage gestellt, die ich nicht beantworten konnte. Dann habe ich gesagt: "Sorry Leute, dazu kann ich Euch nichts sagen. Das ist nicht mein Thema. Und das finde ich sehr wichtig, dass Politiker zugeben, dass sie nicht alles wissen. Politiker wissen nicht alles. Als Politiker sollte man eben auch dazu stehen, dass man nicht alles weiss."
Red: Zum Schluss. Wer darf in die Piratenpartei eintreten? Jeder? Oder habt ihr Angst vor einer Unterwanderung?
Roman Schmitt: Nun zunächst einmal darf Jeder kommen und Jeder eintreten. Wir hatten ja schon öfter die Diskussion über die Ausrichtung von manchen Typen, die gedacht haben über die Piraten extremes Gedankengut einzubringen und zum Programm zu machen. Diese Leute haben allerdings sehr schnell gemerkt. Gerade wegen der Basisdemokratie, dass sie damit nicht durchkommen. Die Basisdemokratie funktioniert sehr gut. Das bedeutet, dass diese Gedanken einfach keine Mehrheit finden. Die sind dann recht schnell wieder verschwunden.
Red: Wenn jemand zu Euch kommt und mitmachen will. Wie läuft das ab?
Kai Sturm: Mitgliedsantrag stellen ist sehr einfach. Er füllt das Formular aus und gibt es bei uns ab. Das Formular ist auf unserer Webseite verlinkt und liegt auf unseren Treffen immer aus. Und ansonsten kommt Derjenige oder Diejenige einfach zu unseren regelmäßig stattfindenden Piratentreffen und darf sich sofort einbringen. Im Internet gibt es zusätzlich die Möglichkeit sich über unsere Seite an der Mailingliste zu registrieren. Die Mailingliste ist unser Hauptdiskussionsforum. So bieten wir viele Kanäle. Es ist alles auf unserer Seite erklärt und verlinkt.
Red: Grundsätzlich muss niemand Pirat sein um bei Euch mitzuarbeiten?
Jochen Schäfer: Wir hatten beim letzten Treffen einen Gast, der sich bereit erklärte die Orte für unsere kommenden Infostände in Ludwigshafen heraus zu suchen. Meines Wissens tun sich andere Parteien damit schwer Nicht-Mitglieder bspw. an der Programmarbeit teilhaben zu lassen. All das ist bei uns nicht nur möglich, sondern gewollt und wird von uns unterstützt.
Kai Sturm: Auf unseren Diskussions- und Arbeitskanälen findet ja auch keine Überprüfung statt, ob jetzt Jemand Pirat ist, oder nicht. Außer bei Liquid Feedback. Bei allen anderen Kanälen wollen wir das gar nicht überprüfen.
Jochen Schäfer: Der einzige Unterschied zur Mitgliedschaft besteht darin, dass bei Parteitagen natürlich nur Mitglieder abstimmen können. Es gibt ja auch Menschen die nur ein einziges Problem haben und sich deswegen nicht mit einem großen Apparat oder vielen Menschen auseinandersetzen wollen. Die kommen dann zu uns. Wir schauen das dann an. Diskutieren und Prüfen ob das mit uns kompatibel ist.
Roman Schmitt: Und es gibt auch Leute die aus beruflichen Gründen keine Mitgliedschaft eingehen können oder wollen. Bspw. jemand aus der Pharmaindustrie. Wenn wir dann etwas gegen die Pharmaindustrie beschliessen, dann würde er ganz schnell in einen Konflikt zu seinem Arbeitgeber geraten. Trotzdem ist eine Mitarbeit bei den Piraten möglich. Wenn entsprechendes Know-How vorhanden ist, dann könnte so jemand etwas Interessantes dazu ausarbeiten. Das ist letzlich ein gewisser Schutz. Mitarbeiten oder Mitglied zu sein. So haben alle etwas davon.
Red: Es gab ja zu Anfang immer wieder die Kritik, dass alles öffentlich gemacht werden muss, bis hin zu Expertenwissen, was dann Wort für Wort auf dem WIKI zu sehen gewesen wäre. Gibt es mittlerweile Grenzen? Oder wird immer noch alles bedingungslos ins Internet gestellt.
Jochen Schäfer: Natürlich gibt es Grenzen. Es wird immer wieder falsch dargestellt. Ich glaube dass die allerwenigsten Piraten die sogenannte totale Transparenz wollen. Sondern es geht uns um die Transparenz des Entscheidungsweges.
Kai Sturm: Auf unseren Plakaten war ja auch zu lesen: "Transparenter Staat, statt gläserner Bürger" Oder wie es Wau Holland vom Chaos Computerclub in Hamburg gesagt hat: "Öffentliche Daten nützen – Private Daten schützen".
Jochen Schäfer: Das ist einer unserer wichtigsten Aspekte. Die Privatsphäre muss geschützt sein und bleiben. Da wollen wir auch gar nicht weg von. Es geht darum dass der Entscheidungsweg offen liegt. Bspw. der Finanzbericht vom Landkreis Ludwigshafen, damit der Bürger nachvollziehen kann, wo wird das Geld verwendet. Also was wird mit seinem Geld gemacht.
Roman Schmitt: Das ist der Schritt hin zur Demokratie wie wir sie uns vorstellen, denn erst wenn ich weiss was geht da vor? Was passiert da? Kann ich mich entsprechend bilden und abstimmen. Wenn ich diese Information nicht habe, wie soll ich dann qualifiziert abstimmen? Das kann ich in diesem Moment nicht. Aus diesem Grund ist sehr wichtig, dass solche Entscheidungswege offen liegen, während es auf der anderen Seite Niemanden etwas angeht mit wem ich meine Freizeit verbringe. Das ist reine Privatsache. Und dafür stehen wir.
Red: Wir bedanken uns für das ausführliche und ehrliche Interview.
Piraten: Danke
Hier geht es zu den Piraten: KV Rhein-Pfalz: