Auf diesen Augenblick hatte sich Esra-Songül schon seit Monaten gefreut: Endlich kam sie in die Schule. Aber die Freude währte nicht lange, denn die deutschen Wörter machten ihr schwer zu schaffen. Zu Hause wurde nur türkisch gesprochen.
Von der Klassenlehrerin wurde sie deshalb für eine Lesepatenschaft vorgeschlagen und von nun an ging es bergauf. Margarete Kolbe setzt sich einmal die Woche mit ihr zum Lesen hin, erklärt, hört zu. Sie ist eine der ersten Lesepatinnen aus dem Förderansatz „Ein Quadratkilometer Bildung“, getragen von der Stadt Mannheim und der Freudenberg Stiftung. Esra freut sich schon jedes Mal auf die halbe Stunde mit Margarete Kolbe. Die beiden lesen zusammen in einem eigenen Raum, machen Spiele oder malen und sind schon richtige Freundinnen geworden. Denn Esra kann mit ihrer Lesepatin auch über Dinge reden, die ihr wichtig sind. Endlich hat sie jemanden, der ihr alleine zuhört und Zeit für sie hat, ganz im Sinne der Zielsetzung des „Quadratkilometer Bildung“. Lesepatinnen und Lesepaten verstehen sich als „Kümmerer“, die die Lesekompetenz fördern, sprachfördernd wirken und zur Stabilisierung des Kindes beitragen. Der Einsatz ist ehrenamtlich.
Angefangen hat alles Anfang 2010 an der Humboldt-Grundschule in Neckarstadt-West mit zwei Ehrenamtlichen und einer Mitarbeiterin der Pädagogischen Werkstatt, die das Projekt begleitet. Inzwischen sind es zehn Lesepaten und damit kann in den ersten beiden Klassenstufen jede Klasse wöchentlich Unterstützung bekommen. Rektor Andreas Baudisch: “Wir spüren eine Verbesserung der Leseleistung und dadurch arbeiten die Kinder auch besser im Unterricht mit.“ Lutz Jahre, Leiter des Fachbereichs Bildung der Stadt: „Mannheim setzt sich für mehr Bildungsgerechtigkeit ein. Wir wollen Kinder früh und gezielt in Schlüsselkompetenzen wie Sprache in der Schule stärken, damit sie ihre wirklichen Potentiale besser entfalten können.“
Die Ergebnisse sprechen für sich. Deshalb will Helga Mann von der Pädagogischen Werkstatt des Förderansatzes „Ein Quadratkilometer Bildung“ das Projekt auch auf die dritten und vierten Klassen ausdehnen. Dann sollen auch Bücher ausgesucht, gelesen und besprochen werden. 30 Euro stehen in den dritten und vierten Klassen für jedes Lesepatenkind zur Verfügung, die aus Mitteln des Kita- und Schulentwicklungsfonds der Freudenberg Stiftung finanziert werden. “Kinder auf der Glücksspur des Lernens zu begleiten und ihre Neugier auf die Buchstabenwelt zu fördern, ist eine wichtige Aufgabe der Lesepatinnen und Lesepaten“, ist Dr. Pia Gerber, Geschäftsführerin der Freudenberg Stiftung, überzeugt.
Nicht erst seit Pisa weiß man, dass vor allem Kinder aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte oft große Schwierigkeiten im Unterricht haben. In vielen Familien wird überhaupt nicht gelesen oder vorgelesen. Wer Texte aber gut lesen und verstehen kann, der kann auch den Anforderungen des Unterrichts leichter folgen und sich später im Beruf besser zurechtfinden. Glaubt man den internationalen Studien zu Leistungsmessungen von Schülerinnen und Schülern, hängen die Leistungen unter anderem auch sehr eng mit der Anzahl der Bücher im jeweiligen Haushalt und der Häufigkeit des gemeinsamen Lesens zusammen.