Neustadt an der Weinstraße – Die von der Stadt Neustadt a.d. Weinstraße einem Betreiber einer Ausschankstelle auf der Haardter „Woi- und Quetschekuche-Kerwe 2015“ erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zum Abspielen von Musik bis maximal 24 Uhr verletzte eine Nachbarin nicht in ihren Rechten.
Dagegen war die dem Betreiber der Ausschankstelle erteilte gaststättenrechtliche Erlaubnis rechtswidrig, soweit diesem die Betriebszeit der Außenbewirtschaftung über 24 Uhr hinaus gestattet worden war. Dies hat das Verwaltungsgericht Neustadt a.d. Weinstraße in einem am 9. Mai 2016 verkündeten Urteil entschieden.
Im Neustadter Ortsteil Haardt finden jährlich Anfang Mai das „Haardter Weinfest auf der Straße“ mit dem „Schubkarrenrennen“ und am ersten Septemberwochenende die Haardter „Woi- und Quetschekuche-Kerwe“, bei dem Stücke eines überdimensionierten Zwetschgenkuchens verkauft werden und das „Quetschekern-Zielspucken“ angeboten wird, statt. Während der beiden Veranstaltungen werden entlang des Mandelrings an verschiedenen Plätzen Musik und Pfälzische Spezialitäten angeboten.
Der Beigeladene beteiligt sich an den beiden Festen mit einer Ausschankstelle auf seinem Grundstück. Die Klägerin wohnt in der Nähe dieses Grundstücks.
Für das „Haardter Weinfest auf der Straße“ im Mai 2015 hatte der Beigeladene von der Beklagten u.a. die Erlaubnis erhalten, an seiner Ausschankstelle insgesamt an sechs Tagen bis maximal 24 Uhr CD- und Live-Musik anzubieten. Dabei dürfe ein Beurteilungspegel von 70 dB(A) am Anwesen der Klägerin nicht überschritten werden. Während des Weinfestes nahm die Beklagte Lärmmessungen vor. Diese ergaben am Haus der Klägerin Werte von unter 70 dB(A).
Auch im August 2015 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen anlässlich der Haardter Woi- und Quetschekuchekerwe für den Zeitraum vom 4. September 2015 bis zum 8. September 2015 eine gaststättenrechtliche Erlaubnis, in der die Betriebszeit der Außenbewirtschaftung auf 1 Uhr bzw. 2 Uhr beschränkt wurde, sowie eine immissionsschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zur Benutzung von Lautsprechern und Tonwiedergabegeräten zum Abspielen von Musik (CD) an vier Tagen mit der Maßgabe, dass ein Grenzwert von 70 dB(A) einzuhalten sei. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Haardter Woi- und Quetschekuchekerwe sei von besonderer kommunaler Bedeutung und durch den örtlichen Bezug sowie die Standortgebundenheit und zahlenmäßig eng begrenzte Durchführung solcher Ereignisse als seltene Veranstaltung privilegiert. Im Rahmen einer Sonderfallbeurteilung sei für die Musikdarbietungen bis maximal 24 Uhr ein Immissionsrichtwert von durchgehend 70 dB(A) bezogen auf den Beurteilungszeitraum für den Tag zugelassen worden.
Die Klägerin hat nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens Klage erhoben und geltend gemacht, der Ausschank an dieser Örtlichkeit in unmittelbarer Nähe zum allgemeinen Wohngebiet führe mit und ohne Musik stets zu unangemessenen Lärmbelästigungen. Ihr Anwesen sei am stärksten von den Lärmbelästigungen betroffen. Die Ansicht der Beklagten, Weinfeste und Kerwen gehörten zu den sehr seltenen Festen, sei unzutreffend. Die Zahl der sehr seltenen Ereignisse dürfe im Übrigen fünf pro Jahr nicht übersteigen. Durch das Weinfest im Mai 2015 und durch die Quetschekuchekerwe im September 2015 seien schon zehn Tage erreicht worden.
Die 4. Kammer des Gerichts hat die Klage am 9. Mai 2016 mit folgender Begründung überwiegend abgewiesen:
Soweit sich die Klägerin gegen die Genehmigung zum Abspielen von Musik gewandt habe, könne ihre Klage keinen Erfolg haben. Bei der Haardter Woi- und Quetschekuche-Kerwe handele es sich ebenso wie bei dem Haardter Weinfest auf der Straße um ein traditionelles örtliches Fest mit Brauchtumscharakter. Bei den in der Pfalz stattfindenden und sich regelmäßig großem Zuspruch des Publikums erfreuenden „Weinkerwen“ stünden die Ausschankstellen von Weingütern, Winzergenossenschaften, Vereinen und Privatleuten im Mittelpunkt. Ohne diese Ausschankstellen, die häufig auch Live- oder CD-Musik im Programm hätten, wäre die Durchführung einer „Weinkerwe“ nicht denkbar. Insofern erfüllten diese eine „soziale Funktion“.
Trotz dieser sozialen Funktion sei der Betrieb einer Ausschankstelle auf einer Weinkerwe nicht von der Rücksichtnahme auf die benachbarte Wohnbebauung freigestellt. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Geräuschimmissionen der Musikveranstaltungen im Rahmen des vorübergehenden Gaststättenbetriebs des Beigeladenen auf der Haardter Woi- und Quetschekuche-Kerwe habe die Beklagte sich in nicht zu beanstandender Weise an der von der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz herausgegebenen Freizeitlärm-Richtlinie vom 6. März 2015 (3. FLR) orientiert, die von den rheinland-pfälzischen Immissionsschutzbehörden bei der Ermittlung und Beurteilung von Freizeitlärm herangezogen werden sollen. Danach unterlägen sog. “seltene Veranstaltungen“, zu denen wegen ihrer hohen Standortgebundenheit oder sozialen Adäquanz und Akzeptanz u.a. Feste mit kommunaler Bedeutung wie die örtlichen Kirmes zählten, einer Sonderfallbeurteilung. Abweichend von der zuvor einschlägigen 2. FLR könnten nunmehr bei seltenen Veranstaltungen an bis zu 18 Tagen pro Kalenderjahr Überschreitungen des Beurteilungspegels vor den Fenstern im Freien von 70 dB(A) tags und/oder 55 dB(A) nachts zumutbar sein; in besonders gelagerten Fällen sei die Verschiebung der um 22 Uhr beginnenden Nachtzeit um zwei Stunden zumutbar. Aus dem Umstand, dass es erst im Falle einer Überschreitung der Beurteilungspegel von 70 dB(A) tags und 55 dB(A) nachts einer expliziten Begründung der Zumutbarkeit bedürfe, sei zu folgern, dass diese Werte grundsätzlich als zumutbar zu erachten seien.
Die von der Klägerin ins Feld geführte Rechtsfigur des sog. „sehr seltenen Ereignisses“, bei dem an allenfalls fünf Tagen pro Jahr ein Ereignis an einem Veranstaltungsort mit einem maximalen Beurteilungspegel von 70 dB(A) bis 24 Uhr zulässig gewesen sei, habe mit der Einführung der 3. FLR an Bedeutung verloren. Selbst wenn man das von der Klägerin genannte Sommernachtsfest am 4. Juli 2015 im Haardter Schlosspark als weiteres „seltenes Ereignis“ hinzuzähle, ergäben sich mit den beiden Weinfesten im Mai und September 2015 insgesamt elf einzelne Ereignisse, die nach der 3. FLR und unter Berücksichtigung der sozialen Funktion der Weinkerwen in der Pfalz in der genehmigten Intensität und Zahl über zwei Halbjahre verteilt der Klägerin zumutbar seien.
Die Beklagte habe die Zumutbarkeit in der Ausnahmegenehmigung vom 20. August 2015 auch explizit und ausreichend begründet. Dem besonderen öffentlichen Interesse an der Musikveranstaltung des Beigeladenen sei die Beklagte mit Nebenbestimmungen zum Schutz auch der Klägerin vor unzumutbarem Lärm begegnet. Anhaltspunkte dafür, dass die in der Ausnahmegenehmigung enthaltenen Nebenbestimmungen zur Einhaltung eines Beurteilungspegels von 70 dB(A) von vornherein ungeeignet seien, seien nicht ersichtlich.
Rechtswidrig und nachbarrechtsverletzend gewesen sei allerdings die gaststättenrechtliche Erlaubnis zum Ausschank alkoholischer Getränke vom 4. August 2015 insoweit, als dem Beigeladenen eine Betriebszeit bis 1 oder 2 Uhr gestattet worden sei, ohne verbindlich festzuschreiben, dass der Beigeladene nach 24 Uhr die für die Klägerin zumutbaren Immissionsrichtwerte einhalten müsse. Ohne näher darauf einzugehen, ob eine Betriebszeit bei seltenen Veranstaltungen überhaupt über 24 Uhr hinaus für die Nachbarn zumutbar sei, sehe jedenfalls die 3. FLR vor, dass Überschreitungen eines Beurteilungspegels nachts von 55 dB(A) nach 24 Uhr vermieden werden sollten. Da das unter Auflagen genehmigte Abspielen von Musik an der Ausschankstelle des Beigeladenen aber nur bis maximal 24 Uhr begrenzt gewesen sei und die vorübergehende Gestattung darüber hinaus einen Gaststättenbetrieb bis maximal 2 Uhr erlaubt habe, hätte die Beklagte eine verbindlichen Regelung dazu treffen müssen, welchen Kommunikationslärm sie in Bezug auf die Nachbarn und damit auf die Klägerin über 24 Uhr hinaus für zulässig hält. Die in den der gaststättenrechtlichen Gestattung beigefügte Auflage, ab 22 Uhr müsse darauf geachtet werden, dass sich die Gäste besonders ruhig verhalten, sei nicht geeignet, dem Schutzbedürfnis der Anwohner und damit auch der Klägerin nach Beendigung der Musikdarbietungen um spätestens 24 Uhr hinreichend Rechnung zu tragen.
Verwaltungsgericht Neustadt, Urteil vom 9. Mai 2016 – 4 K 468/15.NW –