Wiesbaden – Ben Patterson starb am Samstag, 25.06.16, im Alter von 82 Jahren in seiner Wohnung im Wiesbadener Westend. Mit Ben Patterson verliert die hessische Landeshauptstadt ihren internationalen „Fluxus Botschafter“, der zuletzt 2012 aus Anlass der Aktionen zu 50 Jahre Fluxus mit einer großen Retrospektive im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden geehrt wurde, die zuvor in Teilen im Contemporary Arts Museum Houston zu sehen war.
Im gleichen Jahr installierte er den einzigen europäischen Zugang zu seinem Museum for the Subconscious / Museum für das Unterbewusstsein im Eingangsbereich des Kunstvereins. Hier nimmt das 7 Tage die Woche und 24 Stunden geöffnete und mit freiem Eintritt versehene Museum jedes nach dem Ableben gespendete Unterbewusstsein an und gelangt über den Eingang des bronzenen, gravierten Gullideckel in der Stadt des Wassers und des Fließens in den Salzbachkanal unterhalb der Wilhelmstraße.
„Negative Menschen mögen denken: Den Abfluss hinuntergespült und weg…! Aber ich denke, in den Rhein und von dort in die Welt,“
so erklärte dazu seinerzeit Ben Patterson, der in Wiesbaden seine zweite Heimat fand und dessen weltweit beachtete künstlerische Arbeit aktuell von einer Einladung zur kommenden documenta nach Kassel geprägt war.
Der am 29. Mai 1934 in Pittsburgh als Benjamin Anthony Patterson geborene zeigte von Kindheit an unersättlichen Lerneifer. Bereits als Teenager waren ihm klassische Musik (Oper), Literatur- und Naturwissenschaften vertraut; gleichzeitig war er ein hervorragender Sportler und aktiver Boy Scout. Von 1952 bis 1960 studierte er Musik an der Universität von Michigan mit dem Komponisten Gordon Mumma und setzt Schwerpunkte bei Komposition, Dirigat und Kontrabass. Während seiner gesamten Ausbildung kämpfte Ben Patterson darum, der erste Schwarze zu sein, der die „ HautfarbenBarriere “ in einem amerikanischen Symphonieorchester durchbricht, denn seine Hautfarbe machte ein Engagement in einem amerikanischen Orchester seinerzeit unmöglich. Dies hatte zur Folge, dass Patterson nach Kanada auswanderte, um Kontrabass im Symphonieorchester Halifax zu spielen. Es folgte der Dienst in der US-Armee; er wurde als Kontrabassist beim Seventh Army Symphony Orchestra in Stuttgart aufgenommen. Von Stuttgart aus gab er 250 Konzerte in 20 Monaten in ganz Europa und bezeichnete diesen Lebensabschnitt später als den Anfang seiner Karriere als „ Travel Junkie“ . Es folgte ein Engagement als Kontrabassist und Assistent des Dirigenten des Ottawa Philharmonic Orchestra . Während einer Tour durch Europa war Ben Patterson mit der elektronischen Musik in Kontakt gekommen und zeigte großes Interesse an der experimentellen Musik. Er kam im Juni 1960 nach Köln, um bei Karl Heinz Stockhausen zu studieren. Ben Patterson selbst bezeichnete später die Begegnung mit dem Komponisten als „Desaster“ , das allerdings richtungweisende Konsequenzen für seine künstlerische Entwicklung haben sollte. Es entstand die weltberühmte Performance Paper Piece , die erstmals seit dem Cabaret Voltaire 1916 die große Trennung zwischen Publikum und Auftretendem wieder in Frage stellte.
„Ich verlange von einem Erfahrenden (nicht einem passiven Zuschauer oder Zuhörer) als Aufführender, Interpret und auch als Kreieren der in dem Ereignis zu handeln. Mich hat es nie gekümmert, die Netzhaut oder das Trommelfell zu stimulieren, sondern etwas zu tun, das sich an die Integration von Erfahrung und relevanten Fähigkeiten richtet.”
Bei seinem Köln-Aufenthalt begegnete er auch Nam June Paik und John Cage. Cage lud Ben Patterson spontan zur Teilnahme am Contre Festival im Atelier von Mary Bauermeister, der späteren Lebensgefährtin von Karl Heinz Stockhausen ein. Ben Patterson betrat damit einen neuen Weg des Musikmachens gemeinsam mit Emmett Williams, Daniel Spoerri sowie Nam June Paik, John Cage und anderen Avantgardisten der Zeit.
Nam June Paik empfahl Ben Patterson und George Maciunas für einen Auftritt in Wuppertal im Frühjahr 1962. Ein kleines Sommerfest – Après John Cage in der Galerie Parnass – offenbarte das grafisch-bildnerische und Performance–Talent des jungen, begabten Kontrabassisten. Dieser Auftritt in Wuppertal ging als erste Fluxus Performance in Europa in die Kunstgeschichte ein und hatte zur Folge, dass Ben Patterson und George Maciunas die Internationalen Festspiele Neuester Musik , das erste Fluxus Festival 1962 im Städtischen Museum Wiesbaden durchführten. Die erste journalistische Publikation über „Fluxus“ erschien am 30. August 1962 in der Militärzeitschrift Stars and Stripes , die ein Interview von Emmett Williams mit Ben Patterson publizierte; ferner entstand während der Festspiele eine kurze Dokumentation des Hessischen Rundfunks, die heute als wichtiges historisches Dokument gilt.
Aus einem für sieben Tage geplanten Aufenthalt in Europa wurden damals 18 Monate, Ben Patterson kehrte sich in seiner kompositorischen Ausrichtung von der seriellen Musik ab und wendete sich den vom Zufall bestimmten Kompositionen zu. In dieser Zeit entstand die Partitur Ants (Ameisen) in Düsseldorf. Im gleichen Jahr veröffentlichte er sein erstes Buch mit dem Titel Methods and Processes , das als erstes Künstlerbuch dieser Art in die Kunstgeschichte einging. In Paris entstand eine enge Zusammenarbeit mit Robert Filliou und Patterson performte in Europa bei den verschiedensten Fluxus-Konzerten und –Festivals. Er stand im Austausch und engstem Kontakt mit den Exponenten der künstlerischen Avantgarde der Nachkriegszeit.
Zum Jahreswechsel 1962/ 63 zog es Ben Patterson zurück in die USA: Die erstarkende Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King – er wohnte dessen epochaler Rede I have a Dream bei – und letztendlich auch die Gründung einer Familie motivierten ihn zum Beginn eines, wie er es selbst nannte, Ordinary Life (eines normalen Lebens). Ben Patterson hat drei Kinder und zwei Enkelkinder. In New York entstanden wenige Puzzle-Gedichte und einige Künstlerbücher. Mit collagierten Drucksachen reflektierte er die Politik der Zeit und den Pulsschlag der Kunstszene der sechziger Jahre in New York. Seine Werke entstanden aus umgewidmeten, abgelegten Dingen, aus Überbleibseln, ausrangierten Gebrauchsgütern und Kitsch, sind nie belanglos, sondern stets hintergründig und voller tiefer Bedeutung. Mit Humor und Ironie forderte er die Kunsthierarchie heraus, die den Gebrauch von Alltagsmaterialien bisher nicht in solch konsequenter Form kannte. Es entstanden zahlreiche signifikante Werke visueller Kunst durch einen Künstler, der ein gelernter Musiker war.
1963 wurde Patterson Referenz-Bibliothekar für Musik in der New York Public Library und entwickelte sich vom „ Travel Junkie “ zum „ Information Junkie “. Beide Eigenschaften behielt er Zeit seines Lebens bei. 1965 begann er das Studium der Bibliothekswissenschaften an der NY Columbia University und schloss 1967 mit dem Master-Degree ab. Es folgten das Engagement als General Manager des Symphony of the New World , einem Ensemble das sich der Förderung von ethnischer und Gender-Diversität in Symphonieorchestern annahm, 1972-74 war er stellvertretender Kulturdezernent von New York und wurde zum Honorarprofessor und Dekan der Abteilung für Performance-Kunst am Staten Island Community College der University of New York berufen. Er wurde Direktor der Pro Music Foundation, Präsident der Gesellschaft Schwarzer Komponisten und gründete ein eigenes Plattenlabel. Während dieser New Yorker Zeit, seinem selbsternannten „Künstler-Ruhestand“, war Ben Patterson außergewöhnlich engagiert bei der Schaffung einer neuen, kulturellen Infrastruktur, die Afroamerikanern und anderen Minderheiten neue Möglichkeiten der Verwirklichung ihres kreativen Potentials geben sollte. Seine eigenen Performances kamen auch in seiner Abwesenheit unzählige Male weltweit zur Aufführung. Trotz angeblichem Rückzug aus der Kunst war er 1983 Teilnehmer der Sao Paolo Biennale, seine erste Einzelausstellung hatte Ben Patterson in der Emily Harvey Galerie unter dem Titel Notes on an Ordinary Life (Bemerkungen zu einem gewöhnlichen Leben) in New York im Jahre 1988.
Hiermit kehrte er nicht nur offiziell auf die Kunstbühne zurück und setzte den Fokus – „fluxus konform“ – auf das Alltägliche Leben, sondern zog im gleichen Jahr auch nach Wiesbaden, der Ursprungsquelle seiner künstlerischen Ausrichtung zurück, wo 26 Jahre zuvor Fluxus seinen revolutionären Anfang nahm.
In Wiesbaden gehörten zunächst das Sammler-Ehepaar Ute und Michael Berger sowie der Nassauische Kunstverein Wiesbaden zu den engen Begleitern der Fluxus-Bewegung und von Ben Patterson. Freunde, Verbündete und Neugierige waren in seinem Schaufenster und Wohnatelier stets willkommen. Material und Ideen für die farbenfrohen Werke fand er auf seinen weltweiten Reisen aber besonders auch in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, die er liebevoll „Art Supply Shop Wellritzstraße“ nannte. In seiner Wahlheimat Wiesbaden fand der international gefeierte Künstler die konzentrierte Ruhe und den künstlerischen Freiraum, Quellen seiner künstlerisch spielerischen und gleichzeitig hochkonzentrierten Arbeit.
Lächelnd mit Schalk in den Augen ist Ben Patterson in Wiesbaden am 25. Juni 2016 friedlich eingeschlafen, von hier wird er seine weiteren Reisen antreten. Im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden liegt in seiner dort installierten Ben’s Ba r ein Kondolenzbuch aus und gibt damit den Freunden von Ben Patterson Gelegenheit zum Abschiednehmen.
Ab sofort wird eine von Ben Patterson initiierte Lotterie als Edition stattfinden. Der Erlös dient dem Buchprojekt A Family Album. 25 year of Fl uxus portraits and performances photographed by Wolfgang Traeger . Die Ziehung der Gewinne und die Abschiedsfeier für Benjamin Patterson findet am 54. Jahrestag des Beginns der Internationalen Festspiele Neuster Musik am Freitag, dem 2. September um 14:30 Uhr in Wiesbaden mit abschließender Abschiedsfeier statt. Weitere Informationen hierzu in Kürze auf www.kunstverein-wiesbaden.de Für den Kauf der Lotterielose tragen Sie sich bitte in die Doodle Liste ein: http://doodle.com/poll/ve9dd54nrvywb53n