Viernheim – „So preiswert ist die Integration nie wieder zu haben!“ Dies ist die feste Überzeugung von Bürgermeister Matthias Baaß. Deshalb erhalten in Viernheim zugewanderte Kinder – egal ob Flüchtlingskinder oder Kinder mit Migrationshintergrund – ein Zusatzangebot an Sprachförderung. „Wir betrachten die Situation ganz genau. Deshalb muss in diese Kinder und Jugendliche jetzt investiert werden. Und wir tun dies auch, ganz konkret mit dem städtischen Sprachförderkonzept für Kinder und Jugendliche aus allen Intensivklassen an den Schulen und sorgen damit für frühzeitige Integration und Bildung. Der vom Stadtparlament gefasste Beschluss wird bereits umgesetzt.“
Schnell will Baaß die großen Lesedefizite dieser Kinder beseitigen. Die Zielsetzung ist klar formuliert: Vermeidung von funktionalem Alphabetismus, Erleichterung des Übergangs in die Regelklasse und somit eine schnellere Integration.
Dieses Sprachförderkonzept stellten gestern Vormittag im T.i.B. alle Beteiligten vor und berichteten gleichzeitig aus ihrer Arbeit: Dr. Brigitta Eckert (Verein „Lernmobil“ Pädagogische Leitung und Geschäftsführung), Sabine Ruth (Leiterin Fachbereich Jugendförderung), Lars Prechtl (stellv. Leiter Fachbereich Jugendförderung), Beate Helmes (Koordinatorin in weiterführenden Schulen) und Michaela Strobel (Fachberaterin Deutsch, Lernmobil).
Das Konzept ist als Zusatzangebot von Sabine Ruth (städtische Jugendförderung) und Dr. Brigitta Eckert (Lernmobil) mit viel Engagement und Herzblut entwickelt und vom Bürgermeister nach Rücksprache mit allen Schulleitungen – auch den Eltern – sofort zu Beginn dieses Schuljahres auf den Weg gebracht worden.
Für die Umsetzung der Maßnahmen hat die Stadtverordnetenversammlung, die die Gestaltung von Integrationsprozessen als kommunale Steuerungsaufgabe sieht, notwendige Haushaltsmittel (50.000 € für dieses Schuljahr sowie rund 22.000 € für überplanmäßige Ausgaben) bereits bewilligt.
Dr. Eckert betont den präventiven Charakter des Sprachförderungskonzeptes. Ziel sei es, allen Kindern und Jugendlichen in den Grund- und weiterführenden Schulen einen guten Start in die Regelklassen zu ermöglichen und eine Aufnahme in das Regelangebot am Nachmittag an den Schulen zu begleiten.
„Es ist wichtig, dass die Sprachförderung nicht isoliert stattfindet, sondern in einen Kontext eingebunden ist, in dem das Kind, der Jugendliche die Möglichkeit hat und die Erfahrung macht, Sprache im Zusammensein mit anderen Kindern anzuwenden.“ Was die betroffenen Kinder und Jugendlichen verbindet, ist die Tatsache, dass sie erst seit kurzer Zeit in Viernheim leben und wenig oder gar nicht Deutsch sprechen.
Nach Auffassung von Strobel sei das Konzept der Sprachförderung eng verknüpft mit dem Konzept der Leseförderung. Deshalb hat die Fachberaterin vom „Lernmobil“ ein Förderkonzept erstellt, das Kindern und Jugendlichen in kleinen, möglichst homogenen Gruppen ermöglicht, sinnverstehendes Lesen zu erlernen.
„Denn Lesefähigkeit ist funktional für alle Bereiche des schulischen Lernens, der Alltagsbewältigung und somit der Integration.“ Kleine Kinder sollten einen möglichst guten Start in die Schule haben und in den weiterführenden Schulen vernünftig lesen können. Man müsse die Lesetechnik von unten aufbauen und damit eine solide Basis schaffen. „Ziel muss es sein, möglichst kleine Gruppen von vier bis acht Schülern mit möglichst leistungsgleicher Zusammensetzung zu schaffen. Nur so ist ein intensives Üben möglich.“
Die Kinder aus den Intensivklassen der Grundschulen werden im Hort des „Lernmobil“ am T.i.B. gefördert. Der Hort am T.i.B. ist eine Kita mit dem Schwerpunkt Sprachförderung: Deutsch als Fremdsprache. Die Eltern konnten entscheiden, ob ihr Kind einen Platz im Hort erhalten soll oder nur zur Sprachförderung kommt. „Fast alle Kinder (zwei ausgenommen) haben sich für das Gesamtpaket entschieden, für einen Platz im Hort, in dem die Sprachförderung integriert ist. Zurzeit besuchen 29 Kinder aus den Intensivklassen der Grundschulen den Hort“, so Sabine Ruth, die Leiterin des Fachbereichs Jugendförderung.
Die Kinder haben dort neben der Sprachförderung die Möglichkeit, Hausaufgaben zu erledigen und an Projekten teilzunehmen. Von Vorteil ist, dass eine Sprachförderkraft einen arabischen Hintergrund hat und somit bei Übersetzungen behilflich sein kann. Auch haben die Kinder an dem Sprachcamp in den Herbstferien teilgenommen.
Nach Mitteilung von Olga Ruppel sind im Hort im T.i.B. unterschiedliche Sprachfördergruppen gebildet worden: für Leseanfänger, Erst- und Zweitklässler sowie Fortgeschrittene. Die Kleinen bekämen nach dem gemeinsamen Mittagessen viermal in der Woche einen einstündigen Unterricht, die Größeren das gleiche Pensum – allerdings nur zweimal in der Woche. Danach bestehe Gelegenheit zur Teilnahme an den unterschiedlichsten Arbeitsgruppen (Sport, Gitarrenunterricht, Theater, Kunst etc.). „Ideal für einen spielerischen Spracherwerb auf anderer Ebene.“
Es gibt Intensivklassen für die Jugendlichen an den weiterführenden Schulen sowohl an der Alexander-von-Humboldt-Schule wie auch an der Fröbelschule. Aufgrund der großen Nachfrage aus den weiterführenden Schulen – zurzeit werden knapp 60 Jugendliche gefördert – können die Jugendlichen meist nur an zwei Tagen gefördert werden. Sie nehmen jedoch an den schulischen Nachmittagsangeboten teil. Die Angebote sind spezifisch auf die jeweilige Schule ausgerichtet. Hier ist die Sprachförderung und Leseförderung vor allem an dem Fachunterricht orientiert.
An beiden Schulen können die Schülerinnen und Schüler der Intensivklassen an der Mittagsbetreuung teilnehmen und ihre Hausaufgaben erledigen. Außerdem werden sie begleitet bei der Teilnahme an Schulprojekten am Nachmittag wie auch zur Teilnahme an Bildungsangeboten außerhalb der Schule.
„Lernen mit Freude!“ Mit diesem Credo geht Beate Helmes ans Werk. „Wir wollen die Kinder in ihrer Kreativität und in ihrem Selbstbewusstsein stärken. Denn Kinder sind unsere Zukunft. Wir gehen offen, mit viel Herzblut und Freude an diese spannende Sache heran.“ In der Fröbelschule findet Sprachförderung montags bis freitags (täglich zwei Stunden) statt. Neben Hausaufgabenbetreuung gibt es auch eine gemeinsame Mittagsversorgung. “Beim Mittagessen wird das Essen nicht nur als reine Verpflegung angesehen, sondern als eine Gelegenheit, soziale Verhaltensweisen einzuüben. Des Weiteren können sich die Kinder untereinander oder mit den Betreuern über die Erlebnisse des Tages unterhalten und so das Erlebte besser loslassen“. Nicht zu vergessen die aktive Mittagspause mit Freizeitangeboten, die sich an die unterschiedlichsten Spiel-, Bewegungs- und Freizeitbedürfnisse dieser Altersgruppe richten.
Besonders geschätzt werden die freizeitpädagogischen Angebote im Rahmen des Ganztagsangebotes – u.a. Teilnahme an Kreativ AG, Fahrradwerkstatt AG, Werk AG, Schach AG, Theater AG, Basketball und Fußball AG, Spiel und Spaß AG sowie Schülermentoren AG. Gerade unter Teilnahme mit deutschen Kindern erfolgt das Erlernen der deutschen Sprache spielerisch. Sehr schnell gewinnen die Kinder so einen beträchtlichen Sprachwortschatz. Ein weiterer wichtiger Integrationsgewinn stellt hier das Schließen von Freundschaften dar! „Die Kinder fassen Fuß in ihrer „neuen“ Heimat Viernheim und werden nebenbei pädagogisch gefördert – nicht nur in bildungsrelevanten Bereichen, sondern auch in ihrer Gesamtpersönlichkeit. Beim Sport und Spiel kann die Individualität jedes Einzelnen intensiv gefördert werden – damit die Jugendlichen zu freien, denkenden und selbsttätigen Menschen heranwachsen können“, ist Helmes überzeugt.
Gleiches gilt für die Arbeit von Lars Prechtl (Jugendförderung Ost). Die Schülerinnen und Schüler aus den Intensivklassen an der Alexander-von-Humboldt-Schule haben auch die Möglichkeit, aus einer Vielzahl von Projekten auszuwählen. Hierbei werden sie sowohl bei der Auswahl wie auch bei der konkreten Teilnahme begleitet. Darüber hinaus gibt es einmal in der Woche ein sozialpädagogisches Projekt, das die spezifischen Interessen der Gruppe aufgreift.
„Mit den ergänzenden Projekten und mit Unterstützung eines Integrationslotsen will man erreichen, dass die Jugendlichen auch die Möglichkeit haben, entsprechend ihren Bedürfnissen ein Angebot vorzufinden, das ihren spezifischen Belangen gerecht wird“, so Prechtl.
Sprachförderung bereitet auf die Regelklassen vor, und die Teilnahme an Regelangeboten soll die Möglichkeit schaffen, dass Kinder und Jugendliche sich in Viernheim schnell heimisch fühlen und neue Freundschaften schließen.
Mit dem Sprachförderprogramm werden insgesamt knapp 100 Kinder und Jugendliche erreicht, heißt es in einer Pressemitteilung
Sprachfördernd wirkt sich auch die gezielte Einbindung von Kindern und Jugendlichen in Vereinen aus. Wer einer Fußballmannschaft angehört, lernt ganz nebenbei noch Deutsch. Nicht unerwähnt seien die Sportförderungscamps – gesponsert vom Lions Club und der Sparkasse Starkenburg – sowie andere Angebote wie zum Beispiel das Familiencafé.
Bürgermeister Baaß bedankte sich bei allen Akteuren für das während den Sommerferien Geleistete. Herausgekommen sei ein Sprachförderkonzept, das für frühzeitige Bildung und Integration sorge. Gewinner seien in erster Linie Kinder und Jugendliche aus allen Intensivklassen. Es tue den betroffenen Kindern gut, wenn sie von zusätzlichen städtischen Bemühungen profitieren – auch von unterschiedlichen Angeboten der Schulen, der Jugendförderung und des Lernmobils. „Das verändert den Alltag der Kinder positiv“, so Baaß. Insbesondere dann, wenn sie – wie in diesem Falle – von den Eltern unterstützt werden.