Als wir uns zu dieser Serie entschlossen, haben wir für uns festgelegt, dass wir realistisch über die Sache berichten werden. Im letzten Artikel ging es um Pfefferspray und warum Frauen besser die Finger davon weglassen sollten.
In diesem Artikel wollen wir von Selbstschutztrainer Timo Seel wissen, was er den Frauen zum Schutz rät und wie eine Frau ihre Chancen bei einem Angriff deutlich erhöhen kann. Denn entgegen so manchem Politiker-Sprech hilft der Frau bei einem Angriff kein noch so gutes Sicherheitsgefühl.
Warum er von Trillerpfeifen und reinen Frauenkursen abrät, sagt er uns im Interview.
Redaktion: Was soll eine Frau beachten wenn sie bspw. Nachts, nach einem Discobesuch im Dunkeln über die Fußgängerzone läuft?
Timo Seel: Sie sollte sehr aufmerksam sein und generell ihr gesamtes Umfeld beobachten. Sich ständig Umschauen und keinesfalls abgelenkt sein. Keine Blicke ins Handy. Sie sollte auf passende Schuhe achten um evtl. flüchten zu können. Sie sollte sich im Vorhinein bereits Gedanken machen wo sie hingeht und vor allen Dingen mit wem sie weggeht.
Ideal ist für eine Frau immer eine größere Personengruppe, damit sie nicht belästigt wird.
Redaktion: Nehmen wir mal an, die Frau geht alleine aus
Timo Seel: Dann sollte sie sich sehr gut überlegen ob es da, wo sie hingeht für sie gefährlich werden kann. Welchen Hinweg und Rückweg sie wählt. Ob sie mit dem Auto oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt. Wie sicher der Weg für sie ist.
Redaktion: Du rätst also klar zu einer überlegten Planung vor Beginn des Ausgehens?
Timo Seel: Leider ja – Das halte ich für sehr wichtig. So kann die Frau Situationen vermeiden, die schnell gefährlich für sie werden können.
Redaktion: Wenn wir uns nachts, wo auch immer umschauen, dann sehen wir immer wieder junge Leute vertieft in ihr Handy.
Timo Seel: Ja das stimmt. Die Meisten haben ihr Handy ständig in der Hand oder laufen mit Kopfhörern durch die Stadt. Das sind alles Faktoren, die die Wahrnehmung deutlich beeinflussen. Gerade Frauen werden so zum idealen Opfer für Übergriffe und Schlimmeres.
Redaktion: Gut steigen wir ins Thema ein – Lass uns mal eine reale Szene annehmen
Junges Mädchen, junge Frau läuft im Dunkeln durch die Stadt, Sie sieht drei Gestalten, die direkt auf sie zukommen. Sie hat die Personen wahrgenommen. Was rätst du ihr? Wie soll sie sich verhalten.
Timo Seel: Wenn Sie sieht, dass diese drei Typen sie bereits fixieren oder anstarren, soll sie keinesfalls durch die Mitte der Drei laufen. Wenn möglich frühzeitig die Straßenseite wechseln. Vielleicht auch das Telefon in die Hand nehmen und so tun ob sie telefoniert. Das könnte eventuelle Angreifer abschrecken.
Oder in einen Laden gehen, auch wenn sie das nicht interessiert. Sind Läden geschlossen, dann bietet sich evtl. noch die Gastronomie an.
Sind andere Menschen in der Nähe, dann sollte sie in deren Richtung laufen.
Die Hauptsache ist, dass sie sich aus der Gefahrenzone herausbringt. Damit stellt sie sicher, dass sie nicht ein leichtes Ziel im Dunkeln ist.
Ich rate deshalb generell. Man soll es niemals darauf ankommen lassen. Lieber einen anderen Weg gehen. Frühzeitig ausweichen. Und auf keinen Fall provozieren.
Redaktion: Gehen wir weiter davon aus, dass aus dieser Dreiergruppe ein Wortführer auf sie zukommt und sie anpöbelt. Sie hat also keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Was bleibt ihr?
Timo Seel: Wenn sie nicht trainiert ist und die Situation nicht vermeiden konnte, dann sinken ihre Chancen deutlich. Durch den Angriff ist sie erstmal überwältigt und überrascht da ist sie ziemlich machtlos.
Redaktion: Du sagst also klar und deutlich: Eine solche Situation immer vermeiden, denn wenn die Frau untrainiert ist, hat sie kaum noch Chancen.
Timo Seel: Genau. Das können sich die Wenigsten vorstellen wie so ein Angriff in der Realität abläuft. Wenn die Frau untrainiert ist und zudem überrascht wurde, dann bekommt sie Angst. Angst lähmt und in dieser Zeit ist sie das wehrlose Opfer.
Redaktion: Das heißt, sie läuft über die Straße, wird angegriffen, ist geschockt, starr vor Angst und handlungsunfähig. In dieser Zeit kann alles mit ihr passieren.
Timo Seel: Leider ist es in der Realität so. Ein solcher Angriff passiert schnell und unerwartet.
Redaktion: Kann sich die Frau bewaffnen um sich zu schützen?
Timo Seel: Ja natürlich. Ein Kugelschreiber oder einen spitzen Stick. Es gibt schon Möglichkeiten. Doch auch hier gilt das Gleiche wie beim Pfefferspray. Ohne Training nützt das nichts. Bevor man solche Schlagverstärker einsetzt muss man verstehen was Selbstschutz ist.
Die Konfliktphasen – Was kann passieren? Wie bewege ich mich richtig? Wann mache ich eine bestimmte Aktion? Wie sind die Distanzen? Was kommt auf mich zu?
Für einen ungeübten Menschen ob Mann oder Frau ist das ziemlich unmöglich, richtig zu reagieren und sich zu retten. Das ist dann nur noch Glück, wenn nichts Schlimmes passiert. Als Ungeübte oder Ungeübter hat man keine Chance.
Redaktion: Wir haben die Tage einige Ratschläge gehört. Da wird zum Beispiel das laute Trillern mit einer Trillerpfeife empfohlen.
Timo Seel: Das ist wieder das gleiche Thema wie beim Pfefferspray. Erstmal musst du in einer solchen Situation die Pfeife rechtzeitig herausholen. Dann hast du in der ersten Schockstarre einen trockenen Mund und kaum Speichelfluss. So bist du niemals in der Lage eine Trillerpfeife laut zu benutzen. Das wird nicht funktionieren. Abgesehen davon kann dir auch ein Ungeübter die Trillerpfeife in die Zähne schlagen.
Redaktion: Wie suchen sich Angreifer ihr Opfer aus? Du beschäftigst dich viel mit Videos und analysierst für deine Kursteilnehmer die verschiedensten Angriffs-Szenarien.
Timo Seel: Angreifer suchen sich im Regelfall keine Mutter mit Kinderwagen aus. Oder eine Mutter die mit ihrem Kind spazieren geht. Das ist viel zu riskant. Durch den Mutterinstinkt wird die Frau uninteressant und zum unkalkulierbaren Risiko.
Lieber suchen sich die Typen eine gebrechliche Oma oder ein junges Mädchen, das mit Pumps auf dem Weg in die Disco ist, heraus.
Oder die von mir oben angesprochene Ablenkung durch Handy oder MP3-Player mit Ohrstöpsel. In jedem Fall sucht man sich leichte Opfer. Wer das berücksichtigt kann sich vorbereiten.
Redaktion: Und wenn eine Frau oder ein Mädchen vorbereitet ist? Wie sehen dann ihre Chancen aus?
Timo Seel: Wenn eine Frau im Selbstschutz trainiert ist und dann einen Angreifer selbstbewusst enorm attackiert, so dass er geschockt und abgeschreckt ist, dann hat sie gute Chancen.
Redaktion: Worauf sollen Frauen achten, wenn sie einen Kurs suchen?
Timo Seel: Der Trainer sollte qualifiziert sein. Sie sollte regelmäßig trainieren. Sie sollte in einen Gemischtkurs gehen. Also mit Männern in verschiedenen Gewichtsklassen und Größen trainieren. Von reinen Frauenkursen rate ich dringend ab.
Das sollte jeder Frau klar sein, dass sie wenn sie Selbstschutz effektiv und qualifiziert lernen will, Opfer bringen muss. Zum Austeilen gehört auch das Einstecken dazu. Das ist leider so.
Nur so hat sie auf der Straße ein realistische Chance. Ohne realistisches Training keine realistische Chance.
Redaktion: Abschließend noch ein Ausspruch des Innenministers von Baden-Württemberg, Strobl der sagte:
Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, sich zu bewaffnen. Ich rate generell dringend ab, sich in Selbstverteidigung zu üben.
Das siehst du als Selbstschutztrainer mit jahrzehntelanger Erfahrung im In- und Ausland sicherlich ganz anders?
Timo Seel: Das ist für mich ein Widerspruch an sich. Da wird die Polizei jahrelang abgerüstet. Die Bürger sollen auch nicht lernen sich zu schützen. Dann ist der oder die Einzelne am Ende aufgeschmissen. Ich kann so etwas generell nicht nachvollziehen. Jeder der sich schützen will, hat das Recht einen solchen Kurs zu besuchen. Und nur der, der regelmäßig Kurse bei einem qualifizierten Trainer besucht und trainiert, hat die Chance unter Schadenskontrolle aus einem Angriff herauszukommen.
Redaktion: Wir danken für das Gespräch
Timo Seel, 32 Jahre alt ist der Gründer von Functional Combatives Concepts (FCC) und unterrichtet seit mehreren Jahren realistischen Selbstschutz im Rhein-Neckar Kreis. Er wurde von ehemaligen Mitgliedern einer israelischen Anti-Terror Einheit im Krav Maga, KAPAP zertifiziert und im britischen Combatives unterrichtet und ist somit einmalig in der Region. Er bildet sich regelmäßig rund um den Globus weiter und trainiert nur Konzepte die der Schadenskontrolle dienen und in gefährlichen Situationen das Leben schützen können. Sein Motto: „Realität statt Illusion“.
Wer Interesse hat, schreibt an: Kravmagalu@gmail.com