Heidelberg – Damit Schlaganfall-Patienten zukünftig schneller und zuverlässig die bestmögliche Therapie erhalten, ist unter Federführung der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg am 8. Dezember 2016 das Schlaganfall-Konsortium Rhein-Neckar (FAST) offiziell ins Leben gerufen worden. Darin werden sich ab 2017 mehr als 30 Partnerzentren der Region sowie die Rettungsdienste eng miteinander vernetzen und in der Schlaganfall-Versorgung Hand in Hand arbeiten. Die Dietmar Hopp Stiftung unterstützt die Einrichtung des Konsortiums in den kommenden zwei Jahren mit 900.000 Euro.
Für Patienten bedeutet das neue Schlaganfall-Netzwerk konkret: Rettungsdienste, die zukünftig in der Einschätzung eines Schlaganfalls speziell geschult werden, richten sich nicht mehr allein nach der Entfernung zum nächsten Krankenhaus, sondern steuern – zentral koordiniert – je nach Schweregrad die passend ausgestattete Klinik an. „Ziel ist es, eine qualitativ hochwertige Therapie vor Ort so oft wie möglich, und zentral, wann immer erforderlich, zu gewährleisten“, sagt Professor Dr. Wolfgang Wick, Geschäftsführender Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg. Patienten mit schweren Schlaganfällen gelangen so ohne Umwege ins nächst größere Zentrum und profitieren von den dortigen Behandlungsmöglichkeiten, beispielsweise einer sofortigen Katheterbehandlung. Einheitliche Standards sichern auch in kleineren Häusern eine konstant hohe Behandlungsqualität. Sämtliche Partnerkliniken werden zudem den modernen Ansprüchen zum schnellen Informationsaustausch entsprechend vernetzt: Die behandelnden Ärzte können sich so im Zweifelsfall mit den Experten der großen Zentren beraten oder – muss der Patient nach der Erstdiagnose doch verlegt werden – Untersuchungsergebnisse schnell übermitteln. Nach der Behandlung werden die Patienten sobald als möglich wieder in das heimatnahe Krankenhaus zurück verlegt.
Medizinreferentin der Dietmar Hopp Stiftung Dr. Ingrid Rupp: „Das Netzwerk wird die Verteilung der Schlaganfallpatienten und damit auch die Genesung der Patienten deutlich verbessern. Denn je nach Schweregrad des Schlaganfalls wird die Methode und damit auch der Ort der Behandlung gewählt. Für den gesamten Therapieverlauf wird das Personal weitergebildet, angefangen beim Rettungsdienst bis zum ärztlichen Eingriff. Wir freuen uns, dass FAST nun startet.“
Koordinationsstelle für die Vernetzung der Partnerzentren sowie die Etablierung von Kommunikations- und Behandlungspfaden ist die Neurologische Universitätsklinik Heidelberg unter Leitung von Professor Dr. Wolfgang Wick, Professor Dr. Martin Bendszus, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Neuroradiologie, Professor Dr. Peter Ringleb, Leiter der Heidelberger Stroke Unit, und Dr. Markus Möhlenbruch, Leiter der Sektion Interventionelle Neuroradiologie. Das Einzugsgebiet des Konsortiums reicht von Bad Kreuznach im Norden bis Rastatt im Süden, von Öhringen im Hohenlohekreis im Osten bis Ludwigshafen im Westen. In diesem Gebiet erleiden jährlich rund 7.000 Patienten einen Schlaganfall.
Katheterverfahren Thrombektomie nur in spezialisierten Zentren
„Die Einführung der Thrombektomie war ein enormer Entwicklungssprung in der Schlaganfall-Therapie“, sagt Prof. Dr. Martin Bendszus. „Quasi von heute auf morgen war es möglich, Patienten mit schwersten Schlaganfällen – das betrifft nach jetziger Datenlage bis zu 15 Prozent der Schlaganfälle – mit guten Erfolgschancen zu behandeln.“ Der Eingriff kann aber nur an spezialisierten Zentren angeboten werden mit entsprechender Ausstattung und einem Behandlungsteam mit großer Expertise, das rund um die Uhr zur Verfügung steht. „Erklärtes Ziel von FAST ist es daher, zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Patienten zu identifizieren, die von einer Thrombektomie profitieren könnten, und sie direkt den entsprechenden Zentren zuzuführen“, so Bendszus. Bei der Thrombektomie führen Neuroradiologen über einen Katheter von der Leistenarterie einen feinen Draht unter Röntgenkontrolle bis in die Hirnarterie. Mit einem speziellen Fangkörbchen ziehen sie das Blutgerinnsel, das bei einem schweren Schlaganfall die Durchblutung eines großen Hirnareals blockiert, aus dem Gefäß. Dieses Verfahren hilft häufig auch dann, wenn die sonst übliche Behandlung mit blutverdünnenden Medikamenten, die sogenannte Thrombolyse, nicht ausreicht.
Strukturierte Weiter- und Fortbildungen für Rettungsdienst und Behandlungsteams
Eine Schlüsselrolle bei der frühen Einstufung der Patienten und damit für ein funktionsfähiges Schlaganfallnetzwerk spielt der Rettungsdienst. Entsprechende Schulungen für Rettungsassistenten und Notärzte werden zukünftig angeboten. Darüber hinaus wird das FAST-Team in den kommenden zwei Jahren strukturierte Weiter- und Fortbildungen sowie Leitlinien sowohl für den Rettungsdienst als auch die Behandlungsteams in den Partnerzentren erarbeiten. Ziel ist eine einheitlich hohe Versorgungsqualität im gesamten Netzwerk. Dazu trägt auch das geplante FAST-Register bei, in dem Patienten- und Behandlungsdaten systematisch erfasst und der Versorgungsforschung zugänglich gemacht werden.
Mehr als die Hälfte der Schlaganfall-Patienten erreicht Klinik zu spät für Lysetherapie
Das Konsortium hat es sich zum Ziel gesetzt, die Öffentlichkeit für das Thema Schlaganfall zu sensibilisieren. „Noch immer erreichen 60 Prozent aller Schlaganfall-Patienten in Baden-Württemberg die Klinik erst dann, wenn die Zeit für eine Thrombolyse bereits verstrichen ist. Das hat aktuell eine Studie unter Heidelberger Federführung ergeben“, so Professor Wick. „Man kann daher gar nicht häufig genug darauf aufmerksam machen, dass ein Schlaganfall immer ein Notfall ist. Es gilt: ‚Time is brain´. Je früher die Patienten behandelt werden, desto besser sind die Chancen auf ein späteres Leben ohne Behinderung.“
Das Schlaganfallzentrum der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg ist mit rund 1.300 Patienten pro Jahr und einem sehr hohen Anteil an komplexen Interventionen eines der größten und aktivsten spezialisierten Zentren Europas. Das Universitätsklinikum Heidelberg war seit 1995 maßgeblich an der Entwicklung und Einführung der Thrombolyse, der bisher einzigen zugelassen medikamentösen Akut-Therapie des Schlaganfalls, beteiligt. Einer der Schwerpunkte ist seit 2014 die Thrombektomie. Bereits 2015 hatte sich die Anzahl dieser Eingriffe verdoppelt und überstieg die Zahl der Patienten, die allein medikamentös behandelt wurden.