Weinheim – Beim traditionellen Neujahrsempfang im Weinheimer Rathaus hat Oberbürgermeister Heiner Bernhard an seine Bürgerschaft appelliert, in der aktuellen Debatte um Fragen der Flüchtlings- und Sicherheitspolitik einen „kühlen Kopf“ zu bewahren. Es gelte nun, Demokratie zu bewahren, zu stärken und zu leben, sagt er. Aufkeimendem Rechtspopulismus müsse man konsequent begegnen.
Heiner Bernhard berief sich auf Altkanzler Helmut Schmidt, der in diesen Tagen oft mit einem Satz zitiert wird, den er im Zuge der RAF-Terrorkrise gesagt hat: „Der Terrorismus hat auf die Dauer keine Chance. Denn gegen den Terrorismus steht nicht nur der Wille der staatlichen Organe, gegen den Terrorismus steht der Wille des ganzen Volkes“. Das Zitat mündet in dem Rat: „Dabei müssen wir alle – trotz unseres Zornes – einen kühlen Kopf behalten“.
Weinheims Oberbürgermeister wünschte sich daraufhin: „Wir sollten uns diesen Ratschlag zu Herzen nehmen – zu Herzen und zu Verstand.“ In einer Zeit, in der „das große Friedensprojekt Europa“ seiner historischen Aufgabe gerecht werden müsste, beklagte der OB, drohe es zu zerfleddern. 2016 seien auf Wutbürger die Wutpolitiker gefolgt.
„Postfaktisch“ ist das Wort des Jahres geworden. Das Wort „Hassmail“ hätte es auch sein können, spitzte der Rathauschef zu. Denn auch hierzulande seien Gefühle wichtiger geworden als Tatsachen. Bernhard: „Pokémon und Populismus prägen die Zeit. Das ist das Gegenteil eines kühlen Kopfes.“ Er rief deshalb den Bürgerinnen und Bürgern zu: „Lassen Sie uns vernünftig sein, meine Damen und Herrn. Und lassen Sie uns unsere politische Kultur bewahren! Das fängt auf der kommunalen Ebene an. Wir müssen dem Wahn mit mehr Besonnenheit, mit mehr Vernunft, mehr Verstand, mehr Staat und mehr Demokratie begegnen – nicht mit weniger von alldem.“ Um die Demokratie zu erhalten, brauche es neben dem Prinzip Hoffnung auch Mut und Wehrhaftigkeit, sich zu eben dieser Demokratie im persönlichen und beruflichen Umfeld zu bekennen.
Es gibt keine absolute Sicherheit, gestand der OB ein, „aber es gibt das Recht des Bürgers auf die größtmögliche Sicherheit“. Ein Staat könne die Schwachen aber nur schützen, wenn er selbst stark ist. Die Vorschläge von Thomas de Maizière und Siegmar Gabriel zur Nachjustierung der deutschen Sicherheitsarchitektur seien deshalb – zu großen Teilen – überlegenswert.
Heiner Bernhard: „Wer hat nicht alles von einem System schwadroniert, das noch weniger Staat vertragen könne. Der so genannte schlanke Staat war in Mode wie die alljährliche Diät nach den Weihnachtsfeiertagen und der Personalabbau bei der Polizei. Und er fügte hinzu: „Wenn ich in den Tagen nach Silvester etwas unverhältnismäßig und unangemessen empfunden habe, dann war es die Von-Oben-Herab-Einmischung einer Politikerin in die Arbeit unserer Polizei.“
Allerdings betonte Bernhard auch: „Wer die terroristische Gefährdung unserer Nation jetzt als eine Folge der humanen deutschen Flüchtlingspolitik bezeichnet, der verweigert sich – postfaktisch! – der Wirklichkeit und unterschätzt die wahren Gefährder in fahrlässiger Weise. Auch in Berlin hat nicht ein Flüchtling einen Anschlag begangen, sondern ein Terrorist hat sich als Flüchtling getarnt.“
Und wer palavere, die Opfer von Berlin seien „auch Merkels Tote“ gewesen, habe längst alle Maßstäbe politischen Handelns verdrängt und alle Grenzen des Anstands verlassen. Heiner Bernhard: „Schon solche Sätze einfach stehen zu lassen, wäre ein Fehler. Sie könnten sich festsetzen.“ Und der Satz werde wieder wichtiger: „Wehret den Anfängen!“
Wie jedes Jahr resümierte Bernhard auch die Situation in Weinheim.
Er beschrieb: „Vieles von dem, was diese Entwicklung von uns hier in Weinheim gefordert hat, haben wir bisher geschafft. Und das war ein gewaltiges Pensum.“ Bei den Wohnungen, die Weinheim jetzt – mit staatlicher Förderung – für die so genannte Anschlussunterbringung baut, um einer Pflichtaufgabe nachzukommen, habe man die nachhaltigste Variante gewählt. Bernhard: „Denn wir werden sie dauerhaft Menschen zur Verfügung stellen können, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind. Diese wird es immer geben, und auch sie sollen in Weinheim eine Heimat finden oder sie behalten dürfen.“ Der soziale Wohnungsbau sei keine kommunale Aufgabe, aber letztendlich gehöre es „zu unserer kommunalen Verantwortung, auf das soziale Klima in Weinheim zu achten.“ Bernhard: „Wir müssen uns um die Menschen kümmern, gerade um die Schwächeren. Und vor dieser Verantwortung drücken wir uns nicht. Es gebe große beendete oder noch laufende Sanierungsarbeiten in der Mehrzweckhalle in Hohensachsen und der Schule in Lützelsachsen, sowie permanent in kommunalen Wohnungen. Der Verwaltungschef: „Wir tun viel, enorm viel, um die vorhandene Substanz zu erhalten.“
So ordne die Stadt auch die anstehende Sanierung der Schulsporthallen am Dietrich-Bonhoeffer-Schulzentrum ein. Sie seien unabdingbar für Weinheims Schulsport und damit für die Qualität des Bildungsstandortes – und unersetzlich für Weinheims Vereine, „übrigens egal, ob sie ihren Sitz in der Weststadt, der Innenstadt oder in einem Ortsteil haben“, so der OB.
Zum viel diskutierten Hallenthema erklärte er: „Verwaltung und Gemeinderat – mussten im vergangenen Jahr so ehrlich sein, uns auf absehbare Zeit von der Planung neuer Sporthallen in den Ortsteilen Lützelsachsen und Oberflockenbach zu verabschieden. Und ich sage Ihnen ganz offen: Es hat auch etwas Gutes, dass wir hier zu einer Neujustierung gezwungen waren, auch dazu, manche Fragen präziser zu stellen. Die Stadt Weinheim hat noch nie Vereinssporthallen gebaut. Aber es gibt eine Reihe von Vereinen, die dies mit der Unterstützung der Stadt erfolgreich unternommen haben. Das halte ich für eine klare Linie, bei der wir auch bleiben sollten.“
Aus heutiger Sicht müsse man sagen: „Der größte Fehler in der Diskussion um die Hallen war wahrscheinlich, dass wir nicht schon früher noch ehrlicher und mutiger waren, das zu sagen, was offensichtlich war. Denn schon damals war klar, dass eine kommunale Finanzierung von Vereinssporthallen – wo auch immer – nicht leistbar sein würde.“
Dies werde sich erst nach einem grundlegenden Wandel der finanziellen Ausstattung Weinheims ändern, erklärte Heiner Bernhard. Weinheim brauche daher dringend eine Gewerbeflächenentwicklung um aus seiner wirtschaftlichen Schieflage heraus zu kommen. Heiner Bernhard: „Da geht es wirklich um die Zukunft der Stadt. Wir werden – neutral und objektiv – verschiedene Varianten prüfen. Das sage ich Ihnen zu. Ich sage aber auch: wir werden mit Sicherheit nicht das aus fachlicher Sicht mit Abstand am besten geeignete Gebiet an der Autobahn, wir werden Breitwiesen nicht von der Agenda nehmen. Das wäre schlichtweg unverantwortlich.“
Vor seiner Neujahrsansprache hatte Bernhard mit Hilfe der Bürgerwehr des Heimat- und Kerwevereins das neue Jahr unter der Zeder im kleinen Schlosspark mit Böllerschüssen begrüßt. Neujahrsgrüße übermittelten auch Helga Eibel, die Vorsitzende des Karnevalvereins „Weinheimer Blüten“, Blütenprinzessin Diana I. sowie die Lützelsachsener Weinkönigin Christine. Die Stadtkapelle sowie das Duo „Martin und Christian“ umrahmten den Neujahrsempfang musikalisch. Diesmal wurden die Gäste sogar von Alphornbläsern empfangen – Vorboten eines bundesweiten Alphorntreffens im Sommer.
Die Vertreter der Handwerksinnungen überreichten dem Oberbürgermeister und seiner Frau Dr. Gudrun Tichy-Bernhard traditionsgemäß Gaben ihrer Zunft. Obermeister Helge Eidt konnte dabei von einem Rekord- und Zukunftsjahr für die Handwerkerschaft berichten. Er verwies auch darauf, dass die mittelständischen Handwerksbetriebe eine gesellschaftliche Aufgabe erfüllen, denn: „Wer eine gute Arbeit hat und anständiges Geld verdient, wird kein Opfer von Miesmachern und Querulanten.“