Ober-Ingelheimer Gerichtsprotokolle von 1518 bis 1529

Haderbuch vorgestellt

v.l. Dr. Kai-Michael Sprenger, Prof. Dr. Michael Matheus, Dr. Regine Schäfer, Nadine Gerhard, Oberbürgermeister Ralf Claus, Dr. Stefan Grathoff, Dr. Werner Marzi

Ingelheim – Eine kleine Feierstunde ist obligatorisch, wenn ein weiteres Haderbuch transkribiert, übersetzt und schick gebunden der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird.

Das vierte Haderbuch, stark verschlankt und vollkommen neu aufgebaut wurde wieder vom Institut für geschichtliche Landeskunde an der Mainzer Universität transkribiert (in heutige Schrift übertragen) und unter der Gesamtleitung von Dr. Werner Marzi editiert. Die Gerichtsverfahren sind nun nicht mehr chronologisch geordnet, sondern die Prozesse sind als Gesamtes fortlaufend dargestellt, so dass es dem Leser leichter fällt, einen Fall von Anfang bis Ende zu lesen. Interessante Sachverhalte sind in Kästchen erläutert, seien es Hinweise zu den Bedeutungen verschiedener Wörter oder Infos zum Zeitgeschehen. Beispielseiten sind im Original abgebildet.

Außerdem werden die Haderbücher künftig digitalisiert und in Datenbanken überführt, erläuterte der Geschäftsführer des Instituts für geschichtliche Landeskunde Dr. Kai-Michael Sprenger. Der Focus richte sich künftig auf die online-Recherche, denn an vielen Orten, von Kiel bis Münster oder Frankfurt werde an den Haderbüchern geforscht, sie sind nun einmal eine der wichtigsten Quellen für Sprachwissenschaftler genauso wie für Rechtswissenschaftler oder Sozialhistoriker, stellt Prof. Dr. Michael Matheus in seinem Grußwort fest.

Die Gerichtsfälle sind wie in den früheren Büchern so genannte niedere Gerichtsbarkeit. Die Prozesse handeln von Zweigen im Nachbargarten, gestohlenen Hühnern, zänkischen „Weibsleut“ oder abgeschnittenen Daumen.

Einen unterhaltsamen Ausflug in die Feminisierung von Nachnamen unternahm der Sprachwissenschaftler Dr. Rudolf Steffens. Je nach Sprachraum wurde aus Erna Müller die „Müllersen“ oder „Müllerin“ oder „Müllers Erna“, Formen, die teilweise in den Haderbüchern zu lesen sind.

Oberbürgermeister Ralf Claus lüftete ein kleines Geheimnis: zehn verschollene Haderbücher wurden aus den USA angeboten. Es werde noch nach der Echtheit geprüft, aber „es sieht gut aus“.

Info:

Die 19 noch erhaltenen Bände der Haderbücher zeigen den konkreten Alltag des gesprochenen und vollzogenen Rechtes auf und gewähren Einblicke in den Alltag der Menschen im späten Mittelalter. Die Prozesse des Ingelheimer Reichsgerichtes wurden von professionellen Schreibern über einen Zeitraum von 1387 bis 1534 protokolliert. Die behandelten Fälle betrafen alltägliche Angelegenheiten wie beispielsweise Zahlungsaufforderungen, Wein- und Viehhandel, Beleidigungsklagen oder Nachbarschaftsstreits. Das Ingelheimer Ortsgericht war in den drei Hauptorten des Ingelheimer Grundes Ober-Ingelheim, Nieder-Ingelheim und Großwinternheim zuständig und war zugleich Berufungsinstanz für die ebenfalls zum Ingelheimer Grund gehörigen Ortsgerichte.

Die Haderbücher lagerten jahrhundertelang in der Burgkirche und gelangten danach auf den Dachboden im Ober-Ingelheimer Rathaus, das seinerzeit neben der Gemeindeverwaltung auch das Friedens- und Amtsgericht beherbergte. Ein Teil der Bücher wurde Ende des 19. Jahrhunderts nach Darmstadt in das Hof – und Staatsarchiv des Großherzogtums Hessen verbracht, wo diese 1944 infolge von Kriegsereignissen verbrannten. Nur einige Bände und Fragmente der ehemals 33 Bände sind noch vorhanden. Die erhaltenen Bände bilden aber immer noch einen einmaligen seriellen Bestand und bedeuten für die historischen Wissenschaften eine außerordentliche und unwiederbringliche Quelle.