Mainz – In der Universitätsmedizin Mainz haben Spezialisten die weltweit stärkste Linse zur Korrektur eines extremen Sehfehlers implantiert. Operationen am Auge, bei denen eine getrübte natürliche Linse durch eine künstliche Intraokularlinse ersetzt wird, sind mittlerweile eine Routineleistung. Wenn jedoch einem Patienten eine speziell für ihn angefertigte Linse mit einer Zylinderkorrektur von 40 Dioptrien implantiert wird – so geschehen in der Universitätsmedizin Mainz – dann ist das etwas weltweit Einzigartiges. Der Leiter des dortigen Spezialbereichs Refraktive Chirurgie, Privatdozent Dr. med. Urs Voßmerbäumer, hat diese außergewöhnliche Operation jüngst erfolgreich durchgeführt. Der operierte 76-jährige Patient war hochgradig sehbehindert, da er unter einem weit fortgeschrittenen Grauen Star litt und zudem eine extreme Hornhautverkrümmung aufwies. Nur einen Monat nach der OP betrug seine Sehstärke auf dem operierten Auge bereits rund 35 Prozent des üblichen Sehvermögens. Die Berechnung dieses personalisierten Medizinprodukts sowie dessen Implantation waren enorme Herausforderungen und stellen herausragende medizinische Leistungen dar.
Bis zu welchem Grad einer Fehlsichtigkeit lassen sich noch operative Korrekturen vornehmen? Muss sich ein stark fehlsichtiger Mensch mit seiner verminderten Lebensqualität abfinden? Nein, nicht in jedem Fall. Für Patienten, deren Sehfähigkeit beispielsweise nach einer Verletzung stark eingeschränkt ist, oder die trotz einer Hornhauttransplantation wegen einer ausgeprägten Hornhautverkrümmung kaum noch sehen können oder die extrem kurzsichtig sind, gibt es in der Universitätsmedizin Mainz eine neuartige Therapieoption: die Implantation hochpersonalisierter Linsen, die weit außerhalb des Üblichen liegen.
Privatdozent Dr. med. Urs Voßmerbäumer, Leiter des Spezialbereichs Refraktive Chirurgie an der Augenklinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz, hat es sich zum Ziel gesetzt, auch extrem fehlsichtige Augen wieder am Sehvorgang teilhaben zu lassen. Jüngst hat er eine bislang weltweit einzigartige Operation durchgeführt: Mittels der Implantation einer speziell angefertigten Intraokularlinse hat er eine Hornhautverkrümmung (Astigmatismus) von 40 Dioptrien korrigiert. Üblicherweise liegt die Grenze für serienmäßig gefertigte Linsen bei 12 Dioptrien.
Die Korrektur einer solch extremen Sehbehinderung stellte in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung dar: Zum einen in der Berechnung und der Produktion der zu implantierenden Linse. Dafür bedurfte es insbesondere einer extrem genauen Vermessung des Auges und der Hornhautverkrümmung. Im zweiten Schritt stellte die spezielle Konstruktion der außergewöhnlich anspruchsvollen Intraokularlinse besondere Anforderungen an die Ingenieure der Erlanger Herstellerfirma. Zum anderen forderte die Implantation des personalisierten Medizinprodukts dem Operateur Voßmerbäumer Höchstleistungen ab.
Die implantierte, hochleistungsfähige Linse basiert zwar auf dem standardisierten Modell einer Hornhautverkrümmung ausgleichenden, sogenannten torischen Linse, sie ist jedoch wesentlich dicker. Dieser Faktor ist insofern relevant, da die ca. 13 mm lange und im Durchmesser 6 mm große Linse gefaltet in das Auge eingebracht wurde. Für diesen Arbeitsschritt stand PD Dr. Voßmerbäumer nur ein ca. 2,8 mm breiter Schnittkanal offen. Zudem waren bei dem operierten Patienten die Sichtverhältnisse in das Auge hinein sehr schwierig – auch weil der Patient unter einem sehr weit fortgeschrittenen Grauen Star, einem sogenannten Katarakt litt und früher eine Hornhauttransplantation erhalten hatte.
„Extreme Fehlsichtigkeit ist kein Schicksal mehr. Denn für die refraktive Chirurgie muss heutzutage die Ausprägung einer Fehlsichtigkeit keine Beschränkung mehr sein. Auch bei extremen Sehfehlern bieten wir unseren Patienten die Möglichkeit, eine operative, refraktive Behandlung durchzuführen und so zu einem guten Sehvermögen zu gelangen“, so PD Dr. Urs Voßmerbäumer. „In den vergangenen Jahren habe ich bereits mehrere Extremkorrekturen vorgenommen, aber die Implantation der weltweit stärksten Linse von 40 Dioptrien Zylinderwert war wirklich etwas ganz Besonderes“, betont er. „Es freut mich ungemein, dass wir mit dieser Operation haben zeigen können, dass auch extreme Verfeinerungen sinnvoll möglich sind. Für den Patienten bedeutet der durch den Eingriff erzielte enorme Anstieg seiner sensorischen Fähigkeiten einen ganz wesentlichen Zuwachs an Lebensqualität. Als Arzt dazu beitragen zu können, empfinde ich als sehr beglückend.“
Um sich auf die rund 30-minütige Operation vorzubereiten, hat Voßmerbäumer den Eingriff im Vorfeld sehr genau geplant und ist die Schnittführung gedanklich immer wieder durchgegangen. Zudem hat er die Falteigenschaften der Linse mehrfach geprüft, denn nur gefaltet passt sie durch den feinen Kanal des Injektorsystems, mittels dessen sie ins Auge eingebracht wird und wo sie sich dann wieder aufklappt. Damit ihre optische Wirkung voll zur Geltung kommen konnte, war es darüber hinaus wichtig, im Vorfeld der OP die richtige Achse für die Platzierung zu bestimmen und die Linse während des Eingriffs extrem präzise zu positionieren.
„Unsere Abteilung Refraktive Chirurgie zählt zu den am längsten etablierten akademischen Einrichtungen dieser Art in Deutschland. Sie widmet sich ganz der Optimierung des Sehens. Die erfolgreiche Implantation der speziell angefertigten Linse ist ein Paradebeispiel für personalisierte Spitzenmedizin“, so der Direktor der Augenklinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz, Univ.-Prof. Dr. Norbert Pfeiffer.
Zu den Augenerkrankungen, die besonders häufig mittels der refraktiven Chirurgie behandelt werden, zählen insbesondere der Graue Star (Katarakte) und Hornhautverkrümmungen (Astigmatismus). Die OP-Technik ist weltweit sehr verbreitet. Allerdings nur für Sehfehler bis rund sechs Dioptrien. Ab sieben bis acht Dioptrien Zylinderwert gilt eine Fehlsichtigkeit als sehr hoch. Die Anzahl solcher Extremfälle liegt weltweit unter einem Promille. Da die Industrie nur torische Linsen herstellt, die maximal 12 Dioptrien korrigieren können und die Produktion individueller Linsen sehr aufwändig ist, mussten die Betroffenen bislang auf die operative Therapieoption verzichten. Diese Behandlungslücke schließt nun die Universitätsmedizin Mainz.