Frankfurt am Main – Die Baumaßnahmen für die Erinnerungsstätte an der ehemaligen Frankfurter Großmarkthalle sind abgeschlossen. Vor der feierlichen Eröffnung am Sonntag, 22. November 2015, wurde das Mahnmal für die Opfer der Deportationen bei einer ausführlichen Pressevorbesichtigung präsentiert.
Kulturdezernent Felix Semmelroth, Bürgermeister Olaf Cunitz sowie der Projektkoordinator des Neubaus der EZB Werner Studener erläuterten die Bedeutung des Mahnmals, während Salomon Korn als Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde vertreten war. Raphael Gross beleuchtete als Direktor des Jüdischen Museums den historischen Hintergrund und die Architekten Marcus Kaiser sowie Tobias Katz erläuterten das künstlerische Konzept.
Die Erinnerungsstätte soll das Gedenken an die Deportation von mehr als 10.000 jüdischen Bürgern Frankfurts unterstützen, die in den Jahren 1941 bis 1945 auf dem Gelände der ehemaligen Frankfurter Großmarkthalle versammelt und von dort in Konzentrationslager deportiert wurden. Nur wenige Tage vor der Befreiung Frankfurts durch US-amerikanische Truppen wurde noch ein letzter Transport nach Theresienstadt anberaumt. Nach heutigem Wissen überlebten nur 179 der von diesem Ort Deportierten.
„Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust und das Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur bleibt eine immerwährende Verpflichtung. Die Erinnerungsstätte hat vor allem die Aufgabe, sichtbar zu machen, wie gefährdet auch eine demokratische und der Aufklärung verpflichtete Gesellschaft sein kann. Der millionenfache Mord kann keine Identität stiften – das Mahnmal am Ort der Verfolgung soll jedoch ein Bewusstsein für Freiheit, Toleranz und das Zusammenleben verschiedener Gruppen schaffen“,
beschreibt Kulturdezernent Semmelroth die Bedeutung der Erinnerungsstätte.
„Das Authentische des Ortes steht bei dem Mahnmal im Vordergrund und hat eine, die Wirkung verstärkende bauliche Ergänzung erhalten“, sagt Bürgermeister Cunitz. „Geschaffen wurde auf diese Weise sowohl ein Ort als auch ein Weg des Gedenkens. Das Mahnmal markiert präzise die Schnittstelle zwischen einer einstmals geordneten, sicheren und rechtsstaatlich verfassten bürgerlichen Existenz und der Vernichtung dieser Ordnung.“
Das Mahnmal beschreibt den Weg, über den die jüdischen Frauen, Männer und Kinder aus der Stadt zur Großmarkthalle getrieben wurden, um im Keller der Markthallen auf den Abtransport in die Konzentrations- und Vernichtungslager zu warten. Auch die Angehörigen der Deportierten waren oftmals für den Abschied vor Ort, genau wie Schaulustige, die das Geschehen von der Brücke aus beobachteten. „Diese Erinnerungsstätte beeindruckt durch ihre äußerste gestalterische Zurückhaltung“, meint der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Salomon Korn.
Das Gesamtprojekt wurde von der Stadtverordnetenversammlung mit einem Kostenrahmen von 8,4 Millionen Euro beschlossen, davon trägt die EZB eine Million Euro. Werner Studener bekräftigt die Bedeutung der historischen Aufarbeitung für die EZB:
„Schon seit Beginn des Neubauprojekts waren die Europäische Zentralbank (EZB), die Jüdische Gemeinde Frankfurt und die Stadt Frankfurt entschlossen, eine Stätte zur Erinnerung an die Deportation jüdischer Mitbürger von der Großmarkthalle aus einzurichten. Mit der Erinnerungsstätte ist nun ein Ort geschaffen, um der Tragik der Deportationen und des Holocaust zu gedenken.“
Das künstlerische Konzept wurde von dem in Köln und Darmstadt ansässigen Architekturbüro KatzKaiser erstellt und im März 2011 gemeinsam vom Magistrat, der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Jüdischen Gemeinde Frankfurt im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs zur Realisierung ausgewählt. Die Arbeit der Architekten sieht vor, vorhandene Spuren zu sichern, Wege und Bezüge zu markieren und den authentischen Ort des Geschehens mit Erinnerungen zu überlagern.
Die Erinnerungsstätte verfolgt den konzeptionellen Ansatz, die Geschehnisse der Deportationen in den Jahren 1941 bis 1945 nachvollziehbar zu machen. Besonders eindrücklich sind die 26 Zitate von Opfern und Zeitzeugen, die in Wegflächen, im Keller, am Stellwerk und an anderen Stellen eingeschrieben sind. Die Zitate wurden mit Unterstützung des Jüdischen Museums zusammengestellt. Sie geben den Opfern eine Stimme und führen zugleich in den Schilderungen der Zeitzeugen den Terror, den mörderischen Schrecken und die Angst eindringlich vor Augen, die von den Tätern ausging.
„Es war uns wichtig, den alltäglichen Charakter des Ortes zu bewahren. Die Beiläufigkeit, mit der die Deportationen vonstattengingen, und die die Wahrnehmung des Ortes bis heute geprägt hat, haben wir deshalb zu einem zentralen Motiv unserer Arbeit gemacht. Die Erinnerungsstätte soll bewusst ein Durchgangsraum bleiben, mit kleinen Interventionen in Form von Zitaten, die die Vorgänge der Deportationen aus verschiedenen Blickwinkeln in erschütternder Direktheit beschreiben“,
erläutern Marcus Kaiser und Tobias Katz ihr Konzept.
Da sich der historische Kellerraum und die Rampe auf dem Gelände der EZB befinden, kann dieser Abschnitt zukünftig nur mit einer angemeldeten Führung betreten werden. Die weiteren Elemente der Erinnerungsstätte sind öffentlich zugänglich. Über das Jüdische Museum können ab Dezember 2015 die Führungen und ab Januar 2016 Workshops für die neu eröffnete Erinnerungsstätte an der Großmarkthalle reserviert werden. Anhand der Zitate und der Erläuterungen am authentischen Ort werden in den Führungen der Ablauf und die historischen Hintergründe der Deportationen aus Frankfurt thematisiert. Workshops werden darüber hinaus die Möglichkeit bieten, die Gedenkstätte am Börneplatz, den Bunker in der Friedberger Anlage und die neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums in die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus einzubeziehen. Eine Aufarbeitung der Geschichte der Deportationen wird ebenfalls über die Internetseite des Jüdischen Museums der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ein QR-Code an der Erinnerungsstätte führt zum Internetauftritt des Museums und auf die kürzlich überarbeitete Website www.frankfurt1933-1945.de.