Mannheim – Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz wendet sich in einem persönlichen Brief zur Flüchtlingssituation in Mannheim an alle Bürgerinnen und Bürger.
In dem Brief erläutert er die aktuelle Lage und betont aber auch die Herausforderungen und die damit verbundene notwendige Unterstützung durch EU, Bund und Land, um diese Herausforderung meistern zu können. Nicht zuletzt bedankt sich der Oberbürgermeister bei allen, die helfen und ganz praktisch und mit Zuversicht und Realismus anpacken.
Der Brief im Wortlaut
Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger,
die Flüchtlingskrise ist in kurzer Zeit zur größten Herausforderung für unser Land seit der deutschen Wiedervereinigung geworden.
Für unsere Stadt wie für unser Land gilt: Wir müssen diese Herausforderung bestehen. Und wir werden sie meistern, wenn wir alle dazu beitragen.
Mannheim ist besonders gefordert. Schon allein durch seine verkehrsgünstige Lage und die Größe der ehemaligen amerikanischen Militärflächen. Im Auftrag von Bund und Land werden in den früheren Kasernen bis zu 12.000 Plätze für eine erste Aufnahme von Flüchtlingen eingerichtet.
Wir stehen zu unserer Verantwortung, den Menschen zu helfen. Gleichzeitig werden wir unsere Pläne weiter vorantreiben, auf den ehemaligen Militärgeländen neue Stadtquartiere entstehen zu lassen. Dafür können wir Benjamin-Franklin-Village vom Bund jetzt erwerben. Dort werden in absehbarer Zukunft neue Wohnungen für alle entstehen.
Die Flüchtlinge, die in Mannheim untergebracht wurden, sind für einige Wochen in unserer Stadt. Da wir hier eine so große Zahl von Menschen kurzzeitig aufnehmen, werden die Flüchtlinge anschließend nicht Mannheim zur längerfristigen Aufnahme zugewiesen. Wir rechnen dennoch damit, dass anerkannte Flüchtlinge später auch auf Dauer zu uns kommen.
Das Land Baden-Württemberg ist für die jetzige Unterbringung verantwortlich. Aber auch wir als Stadt sind in starkem Maße gefordert. Wir müssen den Menschen eine erste Orientierung geben, die Gesundheitsversorgung vor Ort sichern und vor allem Bildungs- und Sportangebote machen. Auch Möglichkeiten, gemeinnützig zu arbeiten, sind wichtig. Hierfür bauen wir Strukturen auf. Schon die Unterbringung selbst erfordert einen rastlosen Einsatz von Mitarbeitenden der Stadtverwaltung, der Polizei, unserer Feuerwehr und der Hilfsorganisationen sowie die Unterstützung vieler Ehrenamtlicher aus Vereinen, Kirchen und Religionen. Die Verantwortlichen im Land wissen von uns, dass mehr Kräfte von außen benötigt werden. Denn die Dauerbelastung und -überlastung der Hilfskräfte ist nicht länger tragbar. Mannheim benötigt außerdem mehr Polizeikräfte, auch auf Benjamin-Franklin-Village. Diese wurden uns vom Land zugesagt. Die Sorge um das Zusammenleben bewegt uns wie Sie, aber wir tun alles, um die Sicherheit in unserer Stadt und in den Flüchtlingsunterkünften zu gewährleisten.
Von großem Wert und unverzichtbar ist auch der ehrenamtliche Einsatz vieler Mannheimer, die sich als Sprachmittler, für Begegnung und konkrete Hilfe engagieren. Wenn Sie selbst Vorschläge und Unterstützungsangebote haben, wenden Sie sich bitte an die „Koordination der Flüchtlingshilfe“, K 1, 7 – 13, 68159 Mannheim oder per e-mail an fluechtlinge@mannheim.de.
Wir wollen, dass uns beides gelingt: Menschen helfen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, und unsere solidarische und offene Stadtgemeinschaft erhalten, die sich dabei nicht überfordert. Dafür brauchen wir die Unterstützung der nationalen und internationalen Politik. Wir brauchen wirksame Hilfe für die Menschen in den Krisenregionen, insbesondere den dortigen Flüchtlingslagern, Bekämpfung der Fluchtursachen, geregelte und gerechte Verteilung der Flüchtlinge in der EU, ein Zuwanderungsgesetz und Verfahrensbeschleunigungen.
Wir haben in Mannheim viel Erfahrung in der Gestaltung einer offenen und toleranten Gesellschaft. Und wir wissen: Ohne gemeinsam geteilte Werte geht es nicht. Es sind die Werte unseres Grundgesetzes und einer freiheitlichen Gesellschaft. Auf sie müssen und wollen wir alle verpflichten, die hier leben wollen. Diese Werte werden aber auch von denen mit Füßen getreten, die die jetzige Situation dazu nutzen wollen, Hass zu säen. Hier hat Mannheim viele deutliche Zeichen gesetzt, dass dies in unserer Stadt keinen Platz hat und haben darf.
Die nächsten Wochen, Monate und Jahre werden viel von uns verlangen. Es wird Belastungen und Rückschläge geben. Aber wir wissen auch, dass Zuwanderung, die gelingt, eine große Chance ist. Ich bitte Sie: Gehen Sie offen und mit Respekt auf die Menschen zu, die Teil unserer Gesellschaft werden. Maßstab für unser Handeln auf allen Ebenen, aber auch für alle Bürgerinnen und Bürger sollte die Frage sein, ob wir einen Beitrag zur Lösung der konkreten Herausforderungen leisten oder ob wir sie eher erschweren.
Es beeindruckt mich sehr und kann uns alle auch stolz machen, dass so viele in Mannheim in der aktuellen Situation eine Beispiel gebende Haltung einnehmen: Mitmenschlichkeit, Verständnis und vor allem ganz praktisches Anpacken mit Zuversicht und Realismus. Dafür bedanke ich mich aufrichtig im Namen der Mannheimer Bürgerschaft.
Auf dieser Grundlage will ich mit den Verantwortlichen in der Stadtverwaltung und im Gemeinderat mit großem Einsatz dafür arbeiten, ein friedliches Zusammenleben zu gewährleisten und aus den Anforderungen gemeinsam neue Kraft für unsere Stadt zu gewinnen.