Mannheim – Das seit 2002 erfolgreiche Kanzlermodell von Thomas Gschwend (Mannheim) und Helmut Norpoth (Stony Brook) sieht eine absolute Mehrheit für Schwarz-Gelb – und für Schwarz-Grün.
„Zauberformel“ tauften die Medien das Rechenmodell im Jahr 2002, als es entgegen allen Umfragen die Wiederwahl von Rot-Grün unter Gerhard Schröder korrekt vorhersagte. Die Politikwissenschaftler Professor Thomas Gschwend von der Universität Mannheim und Professor Helmut Norpoth von der Universität Stony Brook in New York bevorzugen dagegen die Bezeichnung „Kanzlermodell“. Seit 2002 hat ihr Modell stets korrekt prognostiziert, wer Kanzler oder Kanzlerin wird. Diesmal scheint eine Überraschung ausgeschlossen: „Nach unseren Berechnungen reicht es für Schwarz-Gelb. Martin Schulz könnte nur Kanzler werden, wenn er wieder an seine Popularitätswerte vom Frühjahr anknüpfen könnte – und danach sieht es nicht aus“, stellt Thomas Gschwend fest.
Das Modell der beiden Politikwissenschaftler bezieht drei Faktoren ein: Erstens ist da die Popularität der Amtsinhaberin oder des Amtsinhabers – gemessen in Umfragen. Dazu kommt zweitens der langfristige Rückhalt der Parteien – gemessen als Durchschnitt der Ergebnisse bei den vorangegangenen drei Bundestagswahlen. Drittens bezieht das Modell einen gewissen Abnutzungsprozess der Amtsinhaberin oder des Amtsinhabers mit ein – gemessen an der Zahl der Amtsperioden. Mit Hilfe statistischer Verfahren berechnen Thomas Gschwend und Helmut Norpoth daraus, wie das Zusammenwirken dieser drei Faktoren zu gewichten ist und wie sie sich auf die Stimmabgabe auswirken. Die Formel von Gschwend und Norpoth lautet für die Bundestagswahl 2017:
„KAN“ steht für die Popularität der Kanzlerin unter Ausschluss von Unentschlossenen.
„PAR“ steht für den langfristigen Wählerrückhalt der mutmaßlichen Regierungsparteien.
„AMT“ schließlich steht für den Abnutzungseffekt, in diesem Fall die Anzahl der Amtsperioden Merkels.
Zwei der drei Faktoren sind schon lange bekannt: Die Bundeskanzlerin hat bereits drei Amtszeiten hinter sich und demzufolge mit einem gewissen Abnutzungseffekt zu kämpfen. Schwarz-Gelb kann sich auf einen langfristigen Wählerrückhalt von rund 46,6 Prozent verlassen. Ändern könnte sich höchstens noch der dritte Faktor: Laut Umfragen im Juli wollen, Unentschlossene abgezogen, rund 66 Prozent Angela Merkel als Kanzlerin, nur rund 34 Prozent dagegen Martin Schulz. Setzt man diese Werte in die obige Formel ein, so ergibt sich als vorläufige Prognose ein Zweitstimmenanteil von rund 49,8 Prozent für Schwarz-Gelb. Schon aufgrund der Tatsache, dass einige kleinere Parteien mit weniger als fünf Prozent den Einzug in den Bundestag verfehlen werden, würde das für eine absolute Mehrheit der Bundestagsmandate reichen.
Das Modell war 2013 bis auf 0,2 Prozentpunkte genau
Vor der Wahl 2013 hatte das Modell zwar auch bereits eine Schwarz-Gelbe Regierung vorhergesagt – allerdings lag der damals prognostizierte Zweitstimmenanteil für Schwarz-Gelb nur um 0,2 Prozentpunkte über dem tatsächlichen Wert. Genau 0,2 Prozentpunkte fehlten damals der FDP zum Einzug in den Bundestag, weshalb es nicht zu Schwarz-Gelb, sondern zur Großen Koalition kam. „Die eigentliche Stärke des Kanzlermodells, das Prognosen schon lange vor der Wahl erlaubt, kam wegen des damals sehr überraschenden Aufstiegs der AfD auf letztlich 4,7 Prozent nicht voll zum Tragen. Und dass die FDP aus dem Bundestag fliegt, hielten nicht nur wir für sehr unwahrscheinlich“, erklärt Thomas Gschwend die besondere Situation damals. Diesmal haben die Wissenschaftler die AfD natürlich auf der Rechnung – und sehen sie ebenso wie die FDP im Bundestag.
Auch Schwarz-Grün wäre möglich
„Eine absolute Mehrheit für Schwarz-Gelb ist diesmal in etwa so wahrscheinlich, wie im ersten Versuch keine Sechs zu würfeln“, fasst Thomas Gschwend die Prognose 2017 zusammen: „Also nicht vollkommen sicher, aber schon recht wahrscheinlich.“ Ähnliche hohe Werte errechnen die Wissenschaftler für Schwarz-Grün: Diese Koalition könnte derzeit mit 49,3 Prozent der Zweitstimmen rechnen, was ebenfalls für eine absolute Mehrheit der Mandate reichen müsste. Weder Rot-Grün noch Rot-Rot-Grün oder Rot-Gelb-Grün haben dagegen realistische Chancen auf eine absolute Mehrheit, erklärt Helmuth Norpoth: „Die Beliebtheitswerte von Martin Schulz sind derzeit viel zu niedrig, um Kanzler zu werden. Um das zu ändern bräuchte er ein politisches Erdbeben.“
Ob Erdbeben oder nicht: Einen Monat vor der Wahl werden sich Gschwend und Norpoth die Beliebtheitswerte der Kandidaten noch einmal ansehen – und sie für eine letzte Prognose in ihre Formel einsetzen.