Mainz – Obwohl sich die Krebsdiagnostik und Krebstherapie in den letzten Jahren rapide verbessert hat, geht derzeit rund die Hälfte der Todesfälle in der BRD noch auf Krebserkrankungen zurück.
Eine der Krebsarten, die in westlichen Industrienationen besonders auf dem Vormarsch ist, ist der Darmkrebs. Darmkrebs ist noch vor Brustkrebs die Krebsart, die erwiesenermaßen am besten auf eine intensivierte Sporttherapie begleitend zur Krebsoperation und auch schon begleitend zur Chemotherapie anspricht.
„Regelmäßiges Training für rund 30 Minuten fünfmal die Woche konnte in Studien die Krebssterblichkeit nach einer Dickdarmkrebsoperation bereits um sagenhafte 50 Prozent senken. Aber auch schon mit deutlich weniger Bewegung können Patienten nachweislich profitieren“,
sagt Prof. Dr. Dr. Perikles Simon von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). „Damit ist der Darmkrebs die Krebsart, um die wir uns in der Sportmedizin in den nächsten Jahren am intensivsten kümmern müssen“, ergänzt Simon, Leiter der Abteilung Sportmedizin, Prävention und Rehabilitation am Institut für Sportwissenschaft der JGU.
In einem Forschungsverbund mit der Klinik für Anästhesiologie unter Leitung von Prof. Dr. Christian Werner und der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie unter Leitung von Prof. Dr. Hauke Lang haben die Mainzer Sportmediziner jetzt einen ersten Schritt getan, um Darmkrebs besser erkennen und vor allem auch unterschiedliche Formen von Darmkrebs besser unterscheiden zu können.
„Neben Operation sowie Chemo- und Strahlentherapie gewinnt eine Antikörpertherapie bei metastasiertem Dickdarmkrebs zunehmend an Bedeutung. Welche Antikörper hierfür am wirksamsten sind, hängt von den genetischen Veränderungen ab, die die Krebszellen aufweisen. Doch diese kennen wir eigentlich erst so richtig, wenn das Gewebe möglichst präzise entnommen und analysiert wurde“,
bemerkt Lang.
Hier setzt die Doktorarbeit von Tobias Ehlert am Molekularbiologischen Labor der Sportmedizin an. Ehlert war damit betraut, einen Bluttest auf Gendoping, der von den Mainzer Sportwissenschaftlern etabliert wurde, in einen Test auf die häufigsten Krebsmutationen bei Darmkrebs zu verwandeln. Zwar gibt es solche Tests auf die sogenannten K-RAS-Punktmutationen schon eine ganze Weile, doch ihre Nachweisgüte ließ noch zu wünschen übrig.
„Die besondere Hürde war, dass sich diese Krebsmutationen nur an jeweils einer einzigen Base von der gesunden DNA unterscheiden. Aber auch bei einem Krebskranken taucht die gesunde DNA mehr als 10.000-fach häufiger im Blut auf als die Krebs-DNA“,
erklärt Ehlert.
„Wir wollten nun ein Verfahren entwickeln, das die Menge und die Art jeder einzelnen Krebsmutation ganz genau erfassen kann und zwar in einem vertretbar geringen Blutvolumen, denn viele Krebspatienten haben ohnehin schon einen Blutmangel“,
ergänzt Ehlert.
Zu diesem Zweck hat er einige bekannte Techniken auf völlig neue Art und Weise miteinander kombiniert. Das Ergebnis ist rekordverdächtig: Kein bisher bekanntes Verfahren kann in einer so geringen Blutmenge gleich alle sieben K-RAS-Mutationen so präzise quantifizieren. Ein sehr wichtiger Schlüssel zum Erfolg war dabei ein statistisch geeignetes Vorgehen. „Die Lösung, die Herr Ehlert gefunden hat, erscheint jetzt, wo wir die finalen Testergebnisse sehen, banal. Allerdings muss man erst einmal draufkommen, wenn man sich am Ende einer langen Testreihe wundert, warum auch beim genausten Vorgehen die Werte immer noch etwas zu stark schwanken“, bemerkt Simon. Mit dem neuen Verfahren gelingt es den Mainzer Wissenschaftlern, technische und stochastisch bedingte Schwankungen und die resultierenden Ungenauigkeiten zu vermeiden, die üblicherweise bei der Vervielfältigung von DNA, der sogenannten Prä-Amplifikation, entstehen. Die neue Diagnostik ist um den Faktor zehn sensitiver als ein ebenfalls neues Verfahren von Wissenschaftlern der renommierten Stanford University und kommt außerdem mit weniger Ausgangsmaterial aus. Die Mainzer Arbeit wird in der Fachzeitschrift Scientific Reports dargestellt.
Ein Ziel der Sportmediziner ist es nun, jetzt schon auch im Verbund mit der Industrie geeignete Diagnostikgeräte mit verbesserten, automatisierbaren Prä-Amplifikationsmöglichkeiten zu entwickeln.
Neue Messtechnik wird zunächst bei Sporttherapie eingesetzt
Unter Anleitung durch die Klinik für Anästhesiologie konnten Mitarbeiter der Sportmedizin Dickdarmkrebspatienten zu wichtigen Zeitpunkten der Operation verschiedene Blutproben abnehmen. Bei drei Patienten fanden sich in dem entnommenen Tumorgewebe K-RAS-Mutationen. Diese konnten mit dem neuen Verfahren auch im Verlauf gemessen werden. Die Forscher stellten dabei fest, dass zwar mit dem eigentlichen Herausnehmen des Tumorgewebes die gesunde DNA im Blut unmittelbar stark anstieg, allerdings verhielt sich die Krebserbsubstanz im Blut nicht einheitlich. Hauke Lang betont:
„Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es völlig verfrüht, aus diesen Ergebnissen abzuleiten, welcher dieser Patienten eine bessere oder schlechtere Prognose hat, zumal auch die Wahl des operativen Vorgehens, das im Einzelfall sehr unterschiedlich war, Einfluss auf das Testergebnis gehabt haben könnte. In Mainz werden die meisten Operationen bei Dickdarmkrebs minimal-invasiv oder sogar robotisch vorgenommen. Neben einem optimalen onkologischen Ergebnis gehen diese Verfahren nicht nur mit einem besseren kosmetischen Ergebnis, sondern auch einem geringeren Operationstrauma, das heißt einer geringeren Beeinträchtigung des Immunsystems, einher.“
Die Möglichkeiten, die die neue Messtechnik verspricht, wollen die Forscher jetzt zunächst bei Patienten unter Sporttherapie ausführlich testen.
„Im Gegensatz zum operativen Vorgehen können wir beim Sport ohne ethische Bedenken unsere Vorgehensweisen verändern und die Auswirkungen auf die Krebserbsubstanz jeweils genau studieren“,
bemerkt Simon. Eine starke Fürsprecherin der perioperativen Sporttherapie bei Krebs ist Prof. Dr. Ines Gockel, die ehemalige Mainzer Oberärztin und jetzige Geschäftsführende Direktorin der Klinik für Viszeral-, Transplantations-, Thorax- und Gefäßchirurgie in Leipzig, die auch die ursprünglich treibende Kraft hinter dem Forschungsverbund war.
Der erste Grundstein für eine moderne, medizinisch betreute Sporttherapie ist somit in Mainz gelegt und soll den Patienten auch in der Fläche zugutekommen.
„Im Rahmen unserer Studie haben wir den Teilnehmern die Möglichkeit geboten, ein speziell ausgearbeitetes Sportprogramm zu besuchen. Unsere Mitarbeiter betreuen diese Sportgruppen weiterhin ehrenamtlich. Um aber eine adäquate Versorgung auch der Patienten zu gewährleisten, die von einem großen Tumorzentrum weiter entfernt in den strukturschwächeren Gegenden wohnen, benötigen wir in Zukunft internetbasierte Betreuungskonzepte und eine nicht-invasive Verlaufskontrolle über moderne innovative Messverfahren“,
sagt Simon
Die Forschungsarbeiten wurden von der Dr. Gerhard und Martha Röttger-Stiftung und der Sibylle Kalkhof-Rose-Stiftung gefördert.