Mannheim – Das seit 2002 erfolgreiche Kanzlermodell von Thomas Gschwend (Mannheim) und Helmut Norpoth (Stony Brook) sieht eine absolute Mehrheit für Union und FDP. Hauptgrund: Merkel ist populärer als Kohl oder Schröder jemals waren.
„Zauberformel“ tauften die Medien das Rechenmodell im Jahr 2002, als es entgegen allen Umfragen die Wiederwahl von Rot-Grün unter Gerhard Schröder korrekt vorhersagte. Die Politikwissenschaftler Professor Thomas Gschwend von der Universität Mannheim und Professor Helmut Norpoth von der Universität Stony Brook in New York bevorzugen dagegen die Bezeichnung „Kanzlermodell“. Seit 2002 hat ihr Modell stets korrekt prognostiziert, wer Kanzler oder Kanzlerin wird.
Nun haben die Wissenschaftler ein letztes Mal vor der Wahl gerechnet und die aktuellen Beliebtheitswerte der Kanzlerin in ihre Formel eingesetzt. Das Ergebnis deckt sich weitestgehend mit der Prognose von Anfang August, erläutert Thomas Gschwend: „Angela Merkel ist die Wiederwahl sicher und sie wird zwischen mehreren Regierungspartnern wählen können. Neben der Großen Koalition und einem Jamaika-Bündnis wird es mit großer Wahrscheinlichkeit auch für Schwarz-Gelb reichen: Wir erwarten für diese Koalition einen Zweitstimmenanteil von 49,4 Prozent.“
Schwarz-Gelb „nicht vollkommen sicher, aber recht wahrscheinlich“
Dass Union und FDP gemeinsam regieren können, sei laut Gschwend und Norpoth zu 88 Prozent sicher. „Das ist in etwa die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Elfmeterschütze in der Bundesliga ins Tor trifft“, sagt Gschwend: „Also nicht vollkommen sicher, aber schon recht wahrscheinlich.“
Auch Schwarz-Grün wird dem Kanzlermodell zufolge rechnerisch wohl möglich sein. Dass Merkel einen komfortablen Wahlsieg mit so vielen unterschiedlichen Koalitionsoptionen erwarten darf, liegt den Wissenschaftlern zufolge vor allem an ihrer persönlichen Popularität im Vergleich mit Herausforderer Martin Schulz. „Angela Merkel ist derzeit beliebter, als Helmut Kohl oder Gerhard Schröder es gegenüber ihren Herausforderern jemals waren. In unserem Prognosemodell ist das ein wesentlicher Faktor, was sich bisher auch stets in der Realität bewährt hat“, erläutert Helmut Norpoth.
Das Modell der beiden Politikwissenschaftler bezieht insgesamt drei Faktoren ein: Neben der Popularität der Amtsinhaberin oder des Amtsinhabers fließt der langfristige Rückhalt der Parteien, gemessen als Durchschnitt der Ergebnisse bei den vorangegangenen drei Bundestagswahlen, in die Rechnung mit ein. Drittens bezieht das Modell einen gewissen Abnutzungsprozess der Amtsinhaberin oder des Amtsinhabers mit ein, der sich aus der Anzahl der Amtsperioden ergibt. Mit Hilfe statistischer Verfahren berechnen Thomas Gschwend und Helmut Norpoth daraus, wie das Zusammenwirken dieser drei Faktoren zu gewichten ist. Die Formel von Gschwend und Norpoth lautet für die Bundestagswahl 2017:
Prognose für Schwarz-Gelb = – 8,95277 + 0,3886261*(KAN) + 0,7864119*(PAR) – 1,175033*(AMT)
„KAN“ steht für die Popularität der Kanzlerin unter Ausschluss von Unentschlossenen. „PAR“ steht für den langfristigen Wählerrückhalt der mutmaßlichen Regierungsparteien. „AMT“ schließlich steht für den Abnutzungseffekt, in diesem Fall die drei Amtsperioden Merkels. Schwarz-Gelb kann sich auf einen langfristigen Wählerrückhalt von rund 46,6 Prozent verlassen und laut Umfragen wollen, Unentschlossene abgezogen, rund 65 Prozent Angela Merkel als Kanzlerin. Setzt man diese Werte in die obige Formel ein, so ergibt sich als endgültige Prognose ein Zweitstimmenanteil von rund 49,4 Prozent für Schwarz-Gelb, was für eine absolute Mehrheit der Bundestagsmandate reichen würde.
Modell war 2013 bis auf 0,2 Prozentpunkte genau
Vor der Wahl 2013 hatte das Modell zwar auch bereits eine Schwarz-Gelbe Regierung vorhergesagt – allerdings lag der damals prognostizierte Zweitstimmenanteil für Schwarz-Gelb um 0,2 Prozentpunkte über dem Wahlergebnis. Genau 0,2 Prozentpunkte fehlten damals der FDP zum Einzug in den Bundestag, weshalb es nicht zu Schwarz-Gelb, sondern zur Großen Koalition kam. „Die eigentliche Stärke des Kanzlermodells, das Prognosen schon lange vor der Wahl erlaubt, kam wegen des damals sehr überraschenden Aufstiegs der AfD auf letztlich 4,7 Prozent nicht voll zum Tragen. Und dass die FDP aus dem Bundestag fliegt, hielten nicht nur wir für sehr unwahrscheinlich“, erklärt Thomas Gschwend die besondere Situation damals. Diesmal haben die Wissenschaftler die AfD natürlich auf der Rechnung – und sehen sie ebenso wie die FDP im Bundestag.