Mainz – Die Lebenszufriedenheit von homo- und bisexuellen Männern hängt wesentlich vom gesellschaftlichen Klima und der Selbstakzeptanz der einzelnen Personen ab.
Bei einer Online-Befragung haben Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der Erasmus-Universität Rotterdam die Antworten von 85.301 Männern aus 44 europäischen Ländern ausgewertet und die Zusammenhänge von Opfererfahrung, geringer Selbstakzeptanz, gesellschaftlicher Toleranz und Lebenszufriedenheit untersucht. Dabei zeigt sich, dass unter den 44 Ländern die Lebenszufriedenheit von homo- und bisexuellen Männern in Dänemark am größten ist, direkt gefolgt von Island und Luxemburg, die gleichauf Platz 2 belegen. Deutschland erreicht den 9. Platz und findet sich damit hinter Tschechien wieder, das als einziges osteuropäisches Land mit Platz 7 unter den ersten zehn rangiert.
Auf einer Skala von null bis sechs beträgt die Lebenszufriedenheit in den zehn bestplatzierten Ländern 4,0 bis 4,3 Punkte, hingegen belegen Serbien und Montenegro mit jeweils 2,45 den letzten Platz.
„Unsere Daten decken sich mit anderen Variablen, die gesellschaftliche Toleranz erfassen, und zeigen erwartungsgemäß ein offeneres Klima in den skandinavischen Ländern, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz“,
teilt Richard Lemke vom Institut für Publizistik der JGU zu den Ergebnissen mit.
Einen großen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit haben Viktimisierungserfahrungen, also die Erfahrung von Beleidigung, Bedrohung oder körperlichen Angriffen. „Schwulenfeindliche Beleidigungen – sei es in Form ganz beiläufiger Bemerkungen oder expliziter Beschimpfungen – sind auch heute noch recht weit verbreitet“, sagt Lemke. So gaben 25 Prozent der Befragten in Russland und immerhin noch 17 Prozent in Deutschland an, dass sie im Jahr vor der Befragung (2014) verbale Beleidigungen erfahren haben. Schwerere körperliche Angriffe hatten 15 Prozent der Homo- und Bisexuellen im Kosovo erlebt – das mit großem Abstand negativste Ergebnis.
Konkrete Opfererfahrung in toleranten Gesellschaften wiegt schwerer
Zwei Faktoren fielen dem Kommunikationswissenschaftler Richard Lemke und seinem Koautor, dem Psychologen Dr. Paraskevas Petrou von der Universität in Rotterdam, besonders auf.
„Man weiß seit Langem, dass zwischen Opfererfahrungen und Lebenszufriedenheit ein starker Zusammenhang besteht. Aber es kommt auch sehr darauf an, ob jemand die negative Sichtweise der Außenwelt in sein Selbstbild integriert“,
sagt Lemke. Die psychologische Forschung bezeichnet das als „internalisierte Homonegativität“. Die neue Studie zeigt diesen Effekt nun erstmals auf breiter Datenbasis: Befragte mit einem hohen Level internalisierter Homonegativität leiden auch stärker, wenn sie Opfer verbaler oder körperlicher Viktimisierung werden. Wer hingegen mit seiner sexuellen Orientierung zufrieden ist und seine Situation akzeptiert, ist psychisch robuster gegen Anfeindungen – wie ein „Tefloncharakter“, an dem sie einfach abprallen.
Der zweite, überraschende Befund betrifft das nationale Level an Toleranz: In prinzipiell toleranten Ländern ist der Einfluss von Viktimisierungserfahrungen auf die Lebenszufriedenheit größer als in einer intoleranten Umgebung.
„Ein positives Gesellschaftsklima immunisiert keinesfalls gegen die negative Auswirkung von Opfererfahrungen – im Gegenteil.“
Lemke erklärt dies damit, dass in toleranten Ländern verbale oder körperliche Angriffe unerwartet sind und der Betroffene dies stärker auf sich als Individuum bezieht. Dagegen können Angriffe in einer homophoben Umgebung eher als ein Abbild der Gesellschaft gesehen werden und weniger als persönliche Attacke.
Die Ergebnisse stammen aus der globalen Befragung „Gay Happiness Monitor“, die zwischen Dezember 2014 und Februar 2015 in Zusammenarbeit mit einem sozialen Online-Netzwerk für schwule und bisexuelle Männer erfolgt ist. Damit liegt nun einer der größten Datensätze zu deren Lebenswirklichkeit vor. Für die Kommunikationswissenschaft ist dabei besonders interessant, wie die öffentliche Meinung auf die Lebenszufriedenheit von Schwulen und Bisexuellen Einfluss nimmt und welche interkulturellen Unterschiede sich zeigen.