Wiesbaden – Der VC Wiesbaden ist sensationell in das Finale des DVV-Pokals eingezogen. Das Team von Cheftrainer Dirk Groß setzte sich in einem starken Auswärtsspiel gegen Titelverteidiger Allianz MTV Stuttgart mit 3:1 (21:25 / 25:19 / 26:24 / 25:19) durch. Die Hessinnen treffen somit im Finale am 4. März 2018 in der Mannheimer SAP-Arena auf den Dresdner SC.
Als genau um 20:42 Uhr ihr Stuttgarter Pendent Femke Stoltenborg den Spielball zu dicht ans Netz spielte, lächelte VCW-Zuspielerin Irina Kemmsies schon in der Luft. Sie ahnte schon, dass dieser Fauxpaus reichen würde, heute den Überraschungssieg perfekt zu machen. Millisekunden später war sie es, die den gegnerischen Angriff im Block aus der Luft pflückte und so den überraschenden Finaleinzug des VC Wiesbaden eintütete. Plötzlich kannte der Jubel bei Team und mitgereistem Fananhang keine Grenzen mehr. Tränen der Freude flossen den tapfer spielenden Hessinnen über die Wangen.
Dabei waren die Vorzeichen noch am Morgen vor dem Spiel alles andere als rosig. Selma Hetmann als eine von zwei verbliebenen Mittelblockerinnen in den Reihen des VCW klagte über starkes Unwohlsein. Kurze Zeit später war klar, dass sie nicht zum Einsatz kommen konnte. Der VC Wiesbaden war gezwungen, binnen kürzester Zeit eine Ersatz-Mittelblockerin zu akquirieren. Die Wahl fiel auf die bundesligaerfahrene und derzeit vereinslose Ex-VCW-Mittelblockerin Julia Osterloh, die seit mehr als drei Monaten nicht mehr ernsthaft einen Volleyball in der Hand hatte. Selbige hat nach dem Anruf alles an ihrem Arbeitsplatz stehen und liegen gelassen und ist sofort mit dem Auto nach Stuttgart gereist, um zum Team zu stoßen. „Ich kann das noch gar nicht realisieren, dass ich heute dazu beigetragen habe, mit dem VC Wiesbaden ins Pokalfinale einzuziehen! Mittags saß ich noch nichtsahnend am Schreibtisch“, gab eine sichtlich überraschte Julia Osterloh nach dem Spiel zu Protokoll. In der VCW-Geschäftsstelle setzte man parallel alles daran, Osterloh noch bei der Liga als Spielerin zu melden und mit einem Trikot auszustatten.
Vielleicht war es genau dieser Überraschungseffekt, der der Teammoral – neben dem vergangenen Sieg gegen Schwerin – einen zusätzlichen Schub verlieh. Der VC Wiesbaden bot den deutlich favorisierten Gästen einen starken Kampf vom ersten Aufschlag an. Dies spiegelt sich auch in den Statistiken wieder, die nach dem Spiel veröffentlicht wurden. In allen Spielelementen lagen Stuttgart und der VCW von Beginn an gleich auf. Mit einem Unterschied: Wiesbaden zwang Stuttgart durch starke Services und cleveres und freches Angreifen reihenweise zu Eigenfehlern (31 Stuttgart, 16 Wiesbaden). Und dieses Erzwingen von Fehlern war schlussendlich spielentscheidend.
VCW-Cheftrainer Dirk Groß subsummierte mit einer von Freudenschreien gezeichneten Stimme: „Auch wenn wir nicht ganz so gut gespielt haben, wie gegen Schwerin, war das doch eine fantastische Mannschaftsleistung! Wir sind als ‚Underdogs‘ in dieses Spiel gegangen und haben unsere Tugenden gezeigt: Wir haben stark aufgeschlagen, um jeden Ball bis zum Umfallen gekämpft und den Sieg einfach mehr gewollt als Stuttgart!“
Zur wertvollsten Spielerin bei den Wiesbadenerinnen wurde Außenangreiferin Karolina Bednáűová (18 Punkte insgesamt, 15 von 35 Angriffen, Quote 43%, zwei Blockpunkte und 1 Ass) gewählt. „Wir haben gewusst, dass wir mit dem Sieg gegen Schwerin im Rücken gut drauf sind. Stuttgart hat zwar mehr Pokalerfahrung, aber sie hatten auch mehr Druck. Die Chancen standen 50:50 und das haben wir genutzt“, zeigte sich die Kapitänin nach dem Schlusspfiff glücklich.
Für den VC Wiesbaden ist dies ein großer Prestigeerfolg. Das Finale des Pokalwettbewerbs hat seit je her einen großen Stellenwert im Volleyballsport. Es ist eines der Saisonhighlights, auch weil die Finalisten vor einer beeindruckenden Kulisse spielen dürfen. Mehr als 10.000 Fans besuchen in der Regel die beiden Endspiele der Frauen und Männer. Qualifizierte sich der VCW 2012/2013 noch für den Finalspielort Gerry-Weber-Stadion in Halle/Westfalen, findet das Pokalendspiel jetzt mittlerweile in der Mannheimer SAP-Arena statt – diesmal am Sonntag, dem 4. März 2018.
Als Gegner wird dem VC Wiesbaden im Mannheimer Pokalfinale der Dresdner Sportclub gegenüberstehen, der den amtierenden Meister und Supercupsieger mit 3:2 (17:25 / 25:23 / 18:25 / 25:21 / 15:10) aus dem Wettbewerb werfen konnte.
Ausführlicher Spielbericht
Der VC Wiesbaden schickte folgende Startformation auf das Feld: Tanja Großer und Karolina Bednáűová für Annahme/Außen, Simona Kóčová und Julia Osterloh im Mittelblock, Kimberly Drewniok auf Diagonal sowie Irina Kemmsies im Zuspiel und Libera Lisa Stock. Eine intensiv geführte Startphase bot sehenswerte Angriffe in einem temporeichen Spiel, das bis zum geblockten Angriff von Kimberly Drewniok beim 11:13 aus Sicht des VCW absolut punktausgeglichen verlief. Die zwischenzeitliche Egalisierung wusste Stuttgart wieder zur Führung umzukehren (17:20), weil die Schwäbinnen die VCW-Annahme mit starken Services unter Druck setzten. Diesen Vorsprung ließ sich die Heimmannschaft nicht mehr nehmen und sicherte sich den ersten Satz mit 21:25.
Unverändert und wenig eingeschüchtert von knappen Satzverlust startete der VCW mit aggressiven Aufschlägen in den Satz und riss die Führung gleich mit 3:0 an sich. Bezeichnend das ausgerechnet ein Ass von Kóčová die Hessinnen mit 8:4 in die erste technische Auszeit brachte. Die nächste Auszeit ließ nicht lange auf sich warten. Bereits beim 9:4 nahm Heimcoach Athanasopoulos ein taktisches Time-out. Stuttgart fand besser in den Satz, biss sich aber streckenweise die Zähne an der überragenden Wiesbadener Feldabwehr aus. Letztendlich war es eine ganz starke Aufschlagserie der mittlerweile eingewechselten Dora Grozer (im Hin- und Rückwechsel mit Großer), die gegen Satzende den 1:1-Ausgleich mit 25:19 festzurrte.
Mit bewährter Aufstellung ließ VCW-Chefcoach Groß in Durchgang Nummer Drei starten. Und wieder war es ein motiviertes und angriffslustiges Spiel, das Stuttgart schnell aus dem Konzept brachte. Wie schon im zweiten Satz musste Athanasopoulos bereits beim 5:1 durch eine Stuttgarter Eigenfehlerkette zur Teamauszeit greifen. Der Vorsprung sollte jedoch nicht lange halten, zwar dauerte es, bis Stuttgart zu seiner Angriffsstärke fand, aber beim 6:6 war sie definitiv zurück. Gerade die Wiesbadener Blockspieler fanden die richtigen Optionen, um Stuttgart immer wieder am Angriff scheitern zu lassen. Zur letzten Teamauszeit wurden die Gastgeberinnen bereits beim Wiesbadener 13:8 gezwungen. Der Vorsprung hielt sich zum Einzug in die 2. Technische Auszeit (16:12). Jetzt klappte bei den Gästen fast alles. Zwar muss VCW-Coach Groß noch beide Teamauszeiten (23:17 und 23:20) bemühen, aber mit 26:24 legte der VC Wiesbaden vor und war nur noch einen Satz vom Finaleinzug entfernt.
Warum also die Startaufstellung verändern? Mit den gleichen Six und viel mentalem Schwung ging es in den vierten Satz, dessen Startphase sich sehr ausgeglichen entwickelte – 8:7 VCW zur ersten technischen Auszeit. Es blieb ein Duell auf Augenhöhe, in dem sich zunächst keine Mannschaft merklich absetzen konnte. Erst dann waren es zwei sehenswerte Angriffe von Drewniok, die den VCW kurzzeitig mit 15:12, dann mit 16:15 zur zweiten technischen Auszeit in Führung brachten. Über ein 18:15 spielte sich der VC Wiesbaden in einen erneuten Rausch. Alle Spielerinnen wollten den Finaleinzug unbedingt. So ließ sich auch erklären, dass der Wiesbadener Block immer höher wuchs. Drei Blockpunkte am Stück schufen einen Fünfpunkte-Vorsprung (20:15). Der Hessische Siegeswille mal nun nicht mehr zu bändigen. Zuspielerin Irina Kemmsies machte mit einem gewaltigen Block (25:19) den zweiten Finaleinzug in der Geschichte des VC Wiesbaden perfekt.