Mannheim – Überschreitet Lärm von einer Baustelle die in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm vom 19.August 1970 (AVV Baulärm) festgelegten "Eingreif-Richtwerte" an der Wohnung eines Nachbarn, muss die Immissionsschutzbehörde auf Antrag des Nachbarn geeignete Maßnahmen zur Begrenzung des Baulärms anordnen.
(Auswahl in ihrem Ermessen). Der Nachbar kann aber konkrete Einzelmaßnahmen verlangen, wenn sich behördlich angeordnete Maßnahmen als unwirksam erweisen.
Missachtet der Bauherr vollziehbare behördliche Anordnungen wiederholt und hartnäckig, kann auch der Betrieb der Baustelle vorläufig untersagt werden. Das hat der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) mit Beschluss vom 5. Februar 2015 entschieden und auf den Eilantrag einer Wohnungsmieterin (Antragstellerin) das Landratsamt Böblingen (Antragsgegner), das bereits Maßnahmen zur Minderung des Lärms von einer Großbaustelle angeordnet hatte, durch einstweilige Anordnung zu weiteren Maßnahmen zum Lärmschutz verpflichtet.
Die beigeladenen Bauherrinnen errichten auf dem ehemaligen Flugfeld in Böblingen fünf Mehrfamilienhäuser nebst Tiefgarage und Stellplätzen. Die Antragstellerin ist Mieterin einer Wohnung im 4. OG eines Gebäudes neben der Großbaustelle in einem Mischgebiet (Gewerbe/Wohnen). Sie beschwerte sich seit Baubeginn über unzumutbaren Lärm. Der Antragsgegner ordnete Maßnahmen zur Lärmminderung an, setzte die in der AVV Baulärm für Mischgebiete festgelegten Immissions-Richtwerte fest (60 dB(A) tags von 7 bis 20 Uhr, 45 dB(A) nachts von 20 bis 7 Uhr) und drohte den Beigeladenen bei Nichtbefolgung der angeordneten Maßnahmen Zwangsgelder von 1.000 bis 1.500 Euro an. Die Antragstellerin rügte anschließend, die Beigeladenen setzten die Anordnungen ungenügend um; die Immissions-Richtwerte würden fortlaufend überschritten.
Sie beantragte daher beim Verwaltungsgericht Stuttgart (VG) eine einstweilige Anordnung mit weitergehenden Maßnahmen zur Lärmminderung. Das VG lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Antragstellerin fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Behörde bereits geeignete Maßnahmen ergriffen habe. Der VGH ist dem nicht gefolgt und hat den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung u.a. dazu verpflichtet, sich von den Beigeladenen wöchentlich Lärmprognosen sowie einen Maßnahmenkatalog zur Minderung des Baulärms auf zulässige Richtwerte vorlegen zu lassen, und bei Überschreitungen der Lärm-Richtwerte die Bauarbeiten vorläufig einzustellen, sofern der Baulärm nicht nachweislich unvermeidbar ist.
Die Antragstellerin habe Anspruch darauf, dass die Immissionsschutzbehörde gegenüber den Bauherrinnen weitere geeignete Maßnahmen zur Lärmminderung anordne, weil die bisher angeordneten Maßnahmen ohne durchgreifenden Erfolg geblieben seien. Die Behörde habe nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) zwar grundsätzlich ein Ermessen, ob und mit welchen Mitteln sie nach diesem Gesetz einschreite und ob sie einen Baustopp anordne. Dieses Ermessen sei hier aber zugunsten der Antragstellerin "auf Null reduziert". Die Bauherrinnen hätten die nach der AVV Baulärm in einem Mischgebiet zulässigen Lärmwerte hartnäckig und für eine beträchtliche Zeitdauer überschritten. Das sei durch zahlreiche schalltechnische Messungen nachgewiesen. Die Antragstellerin werde dadurch irreversibel Lärmimmissionen ausgesetzt, die sich zumindest an der Grenze zur Gesundheitsgefahr bewegten. Der Grundsatz effektiven Rechtschutzes gebiete daher, die Immissionsschutzbehörde zu einem weitergehenden Einschreiten zu verpflichten und ihr auch konkrete Einzelmaßnahmen aufzugeben.
Der Beschluss ist rechtskräftig (10 S 2471/14)
Hinweis zur weiteren Verfahrensentwicklung:
Die Antragstellerin hat nach dem Beschluss des VGH beantragt, gegen das Landratsamt ein Zwangsgeld anzudrohen, weil es die einstweilige Anordnung des VGH nicht richtig umsetze. Das VG hat diesen Vollstreckungsantrag abgelehnt. Der VGH hat die dagegen gerichtete Beschwerde mit Beschluss vom 29. Mai 2015 überwiegend zurückgewiesen, weil das Landratsamt der Anordnung umfassend nachkomme. Er hat lediglich ein Zwangsgeld von 200 Euro angedroht, weil das Landratsamt und die beauftragte Gutachterin die einstweilige Anordnung des VGH in einer einzelnen Rechtsfrage falsch auslegten (10 S 835/15).