Mainz – Der Frauenanteil in Aufsichtsräten von paritätisch mitbestimmten und börsennotierten deutschen Unternehmen hat sich zwar dem bei Neuberufungen gesetzlich vorgesehenen Mindestwert von 30 Prozent angenähert, es scheint jedoch eine neue Form der gläsernen Decke vorhanden zu sein. Dies ergab eine Untersuchung von Wirtschaftswissenschaftlern der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Sie haben dazu für den Zeitraum von 2009 bis 2016 den Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten ermittelt und untersucht, welche Aufgaben sie in dem Gremium erfüllen.
Ende 2017 ist ein über Jahre hinweg kontrovers diskutiertes Gesetz bereits zwei Jahre in Kraft: das Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst. Das Gesetz, oft als „Frauenquote“ oder „Geschlechterquote“ bezeichnet, schreibt unter anderem vor, dass die Aufsichtsräte aller börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen ab dem 1. Januar 2016 bei Neubesetzungen beachten müssen, ob eine Geschlechterquote von 30 Prozent erfüllt ist. Andernfalls droht dem Unternehmen der sogenannte „leere Stuhl“. Das bedeutet, dass die Wahl des Mitglieds des überrepräsentierten Geschlechts ungültig wird, sobald die Quote nicht erfüllt ist.
Eine Gruppe Mainzer Wissenschaftler hat untersucht, welchen Effekt die Quote auf den Frauenanteil im Aufsichtsrat hat und wie die neuberufenen Frauen in den Ausschüssen der Aufsichtsräte integriert werden.
„Der Fokus auf die Ausschussmitgliedschaften erlaubt einen tiefen Einblick in die Integration der neuen Aufsichtsrätinnen in die Arbeitsprozesse des Aufsichtsrats. Ähnlich dem Deutschen Bundestag ist ein Aufsichtsrat das Plenum. Die Vorbereitung von Entscheidungen wird durch Fachausschüsse erledigt. Deshalb können wir unter diesem Blickwinkel sehen, in welchen Bereichen das Humankapital, das Frauen mitbringen, als besonders gewinnbringend angesehen wird“,
so Prof. Dr. Christopher Koch, Professor für Corporate Governance und Wirtschaftsprüfung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Für die Untersuchung sammelten die Wissenschaftler Informationen über die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder der betreffenden Unternehmen für die Jahre 2009 bis 2016. „In den letzten Jahren hat sich die Transparenz deutlich verbessert. Die Geschäftsberichte und Internetseiten der Unternehmen erlauben einen guten Einblick in die Aufsichtsrats- und Ausschussarbeit“, erläutert der Doktorand Viktor Bozhinov, der die Einführung der Quote im Rahmen eines Promotionsstipendiums der Friedrich-Ebert-Stiftung als Thema gewählt hat.
„Viel komplizierter war es, die betroffenen Unternehmen zu identifizieren. Es gibt in Deutschland kein Zentralregister, das diese Unternehmen erfasst. Wir haben uns daher auf Quellen der Hans-Böckler-Stiftung sowie den Women-on-Board-Index von FidAR e.V. gestützt und auch eigene Recherchen unternommen“,
so Bozhinov weiter. Der Frauenanteil steigt bereits seit 2010 stetig an.
„Besonders auffällig ist zunächst, dass der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der betroffenen Unternehmen bereits seit dem Jahr 2010 stetig angestiegen ist. Als das Gesetz im März 2015 beschlossen wurde, betrug der durchschnittliche Frauenanteil bereits 23 Prozent. Das impliziert einen Anstieg von etwa 12 Prozentpunkten gegenüber dem Jahr 2010. Dies lässt den Rückschluss zu, dass der öffentliche Druck für mehr Frauen in Führungspositionen viele Unternehmen unter Zugzwang gestellt hat“,
erklärt Prof. Dr. Thorsten Schank, Professor für Angewandte Statistik und Ökonometrie an der JGU.
Frauen seltener in Ausschüssen – mit einer Ausnahme
Um die Tätigkeitsbereiche abzugrenzen, teilten die Wissenschaftler die Mitgliedschaft von einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern in sechs Bereiche: Präsidialausschuss, Prüfungsausschuss, Personal- und Vergütungsausschuss, Nominierungsausschuss, Strategieausschuss und Vermittlungsausschuss. „Als erstes lässt sich festhalten, dass sowohl Anteilseigner- als auch Arbeitnehmervertreter Frauen deutlich seltener in Ausschüsse des Aufsichtsrats berufen. Dieses Ergebnis gilt auch, wenn Alters-, Erfahrungs- und Vernetzungseffekte herausgerechnet werden“, so Thorsten Schank. Über den gesamten Betrachtungszeitraum ist auf der Anteilseignerseite die Wahrscheinlichkeit an zumindest einem Ausschuss mitzuwirken für Frauen im Durchschnitt um 13 Prozent geringer als für Männer.
„Interessant wird insbesondere die Entwicklung in den nächsten Jahren sein. Derzeit beobachten wir, dass der Unterschied in den Ausschussmitgliedschaften über die Zeit sogar zugenommen hat. Im Jahr 2016 beträgt dieser mittlerweile 19 Prozent für die Anteilseignervertreter“,
ergänzt Christopher Koch.
„Da Studien aus dem In- und Ausland belegen, dass Frauen in Aufsichtsräten nicht schlechter qualifiziert sind als Männer, kann in diesem Zusammenhang durchaus geschlossen werden, dass eine neue gläserne Decke innerhalb der Gremien entsteht“,
so Viktor Bozhinov.
Betrachtet man die einzelnen Ausschüsse im Aufsichtsrat, ergibt sich ein ähnliches Bild. Anteilseignervertreterinnen sitzen in allen Ausschüssen seltener als Anteilseignervertreter – mit Ausnahme des Nominierungsausschusses.
„Die Tatsache, dass Frauen in den Nominierungsausschuss mit der gleichen Wahrscheinlichkeit berufen werden, ist ein gutes Zeichen. Frauen haben eigene Netzwerke, die in Zukunft bei der Auswahl neuer Aufsichtsratsmitglieder eine größere Rolle spielen werden als bisher“,
erläutert Viktor Bozhinov.
„Die geringere Partizipation von Frauen in den Aufsichtsratsausschüssen hat auch Auswirkungen auf ihre Vergütung. So erhalten Anteilseignervertreterinnen für ihre Tätigkeit eine im Durchschnitt 30 Prozent geringere Vergütung, unter anderem da sie seltener den Aufsichtsratsvorsitz innehaben sowie seltener an einer Ausschusstätigkeit mitwirken“,
so Thorsten Schank.