Frankfurt am Main – Bis 22. Februar 2018 können sich Jungunternehmer aus der Stadt um den Frankfurter Gründerpreis bewerben. Mit ihm zeichnet die Wirtschaftsförderung jährlich drei herausragende Gründungen aus. Dass man auch mit pädagogischen Themen Gewinner werden kann, beweisen Ana Krizan und Yvonne Oschmann, die 2017 ausgezeichnet wurden. Ihr Ziel: Flächendeckende Frühförderung, um Kinder mit Lese-Rechtschreib- oder Rechenschwäche rechtzeitig zu unterstützen und ihnen Freude an Buchstaben und Zahlen zu vermitteln.
Wer schlecht schreiben oder rechnen kann ist dumm? Von wegen. Krizan und Oschmann sind 2016 angetreten, das Gegenteil zu beweisen. Jungen und Mädchen, die Buchstaben nicht korrekt zu Wörtern zusammenfügen können, denen Zahlen beim Addieren und Subtrahieren immer wieder aus der Reihe tanzen, sind weder dumm noch faul. Vielmehr scheitern sie an den üblichen Lehrmethoden oder werden zu spät gefördert.
Man muss nur mal in ein Mathematikbuch der ersten Klasse schauen. Da werden seit Jahrzehnten Äpfel mit Birnen, nein, nicht verglichen, sondern zusammengezählt. Kinder ohne Rechenschwäche finden heraus: 3 Äpfel und 2 Birnen bilden die Summe 5. Kinder mit Rechenschwäche bleiben ratlos – 3 Äpfel und 2 Birnen gleich 5 Obst? „Sie verstehen nicht, dass die Zahl 1 die Menge 1 bedeutet, die Zahl 2 damit aus der Menge von 1 und 1 besteht“, erklärt Yvonne Oschmann. Verschiedene Obstsorten zu einer Summe zusammenzuzählen leuchtet ihnen nicht ein. Genauso wenig wie Kindern mit einer Lese-Rechtschreibschwäche (LRS) verständlich ist, dass ein E und ein I den Laut „ei“ ergeben, man Vogel mit V schreibt und Flügel mit F.
Freude vermitteln
Damit Kinder mit Legasthenie oder Dyskalkulie Freude finden an Buchstaben, Worten, Sätzen, an Zahlen und den Grundrechenarten und damit ihre Lehrer und Erzieher erfahren, wie sie diese Kinder fördern können, haben Krizan und Oschmann in Kalbach das WOLF-Zentrum (WOLF steht für Wissenschaftsorientiertes Lernförderzentrum) eröffnet. Und damit den dritten Platz beim Frankfurter Gründerpreis 2017 gewonnen. Was man fast schon einen Überraschungserfolg nennen kann: „Mit einem pädagogischen Thema bekommt man selten Aufmerksamkeit. Preise gewinnt man eher mit IT-Innovationen“, sagt Krizan.
Wissenslücke schließen
Warum sich die jungen Frankfurterinnen für Pädagogik entschieden und sich 2016 auf diesem Feld selbstständig gemacht haben? Oschmann (28) erlebte, wie ihr Bruder während seiner gesamten Schulzeit unter seiner Lese-Rechtschreibschwäche litt, studierte Lehramt mit dem Wunsch, als Lehrerin den Umgang mit LRS und anderen Teilleistungsstörungen verbessern zu können und – scheiterte am Schulsystem. Krizan (32), Tochter eines kroatischen Gastarbeiters, sah, wie ihr Vater mit Fleiß und Hartnäckigkeit ein eigenes Unternehmen aufbaute, studierte Psychologie, leitete ein groß angelegtes Forschungsprojekt zum Thema Leseförderung, promovierte und verfolgt ihr Thema ebenso so fleißig und hartnäckig wie einst ihr Vater. Oschmann und Krizan lernten sich an der Justus-Liebig-Uni in Gießen kennen, freundeten sich an. Beim Kaffee kam ihnen die Idee, ein eigenes Lernzentrum zu gründen. Um endlich die Lücke zwischen Forschung und Praxis zu schließen.
Frust vermeiden
„Im Bildungsbereich herrscht eine enorm große Diskrepanz zwischen der Wissenschaft und den Steinzeitmethoden, die in der Praxis genutzt werden. Die wenigsten Forschungsergebnisse verlassen die Hochschulen“, sagt Krizan. Dazu fehlten die finanziellen Anreize. Gleichzeitig beweisen zahlreiche Studien: Jedes Kind, ob mit Schwäche oder ohne, kann von einer Förderung profitieren. Mitunter können Schwierigkeiten vermieden werden, noch bevor sie überhaupt entstehen. Und nicht erst, wenn die Mädchen und Jungen im Unterricht nicht mehr mitkommen und im schlimmsten Fall bereits frustriert sind oder gar Angst vor der Schule haben.
Lerndrang nutzen
„Es gibt keine offiziellen Zahlen“, sagt Ana Krizan, „je nach Studie geht man davon aus, dass 4 bis 8 beziehungswiese 25 Prozent der schlechtesten Schreiber und Leser gefördert werden müssen. Das Beste wäre, wenn man allen Kindergartenkindern Lesen, Schreiben und Rechnen nahebringt“, sagt Krizan. Oschmann ergänzt: „Viele meinen, das sei zu früh. Dabei ist es in vielen europäischen Nachbarländern üblich. Die Kleinen sollen keinem strikten Unterricht folgen, sondern Zahlen und Buchstaben spielend entdecken. Kinder haben einen natürlichen Lerndrang und große Lust, Neues zu können.“ Wenn Pädagogen aus Lernen Spiel und Spaß machen, empfänden die Jungen und Mädchen keine Anstrengung.
Basiskompetenzen vermitteln
Im WOLF-Zentrum arbeiten Krizan und Oschmann mit Kindern von der 1. bis zur 9. Klasse. Jeder dieser rund 50 Schüler erhält einen individuellen Einzelunterricht. Hat das Kind eine Dyskalkulie, wird es in den mathematischen Basiskompetenzen geschult – Mengen mit Zahlen verknüpfen, Zahlen vergleichen und vieles mehr. Hat es eine LRS, lernt es gezielt, Buchstaben in Laute zu übersetzen, es erweitert seine Rechtschreibfähigkeiten und seinen Stichwortschatz. „Egal, in welcher Klasse das Kind ist, wir fangen an der Basis an und arbeiten uns so lange vor, bis die Kinder alle nötigen Schritte automatisch abrufen können. Diese Automatisierung ist unser Ziel“, erklärt Oschmann. Was ihre Methoden von denen anderer Angebote unterscheidet? „Wir arbeiten gleichermaßen pädagogisch und psychologisch. Nachhilfe bedeutet Schönheitskorrektur, wir bauen das Haus von unten her komplett neu auf.“
Lehrer sensibilisieren
Der zweite Schwerpunkt ist die Fortbildung von Pädagogen. „Kaum ein Lehrer ist für die LRS-Förderung ausgebildet. Dabei kann man die meisten Methoden aus diesem Gebiet auch im Regelunterricht anbieten“, sagt Oschmann. Die Lehrkräfte lernen, wissenschaftlich fundierte Tests in den Unterricht einzubauen, Rechen- beziehungsweise Lese-Rechtschreibschwächen ihrer Schüler zu erkennen, schulrechtliche Aspekte zu vermitteln, um Eltern rechtssicher beraten zu können.
Ziele verfolgen
Das nächste Ziel der beiden Pädagoginnen: In die Kitas gehen und die Erzieher fit machen in Sprachförderung und der Vermittlung schulischer Vorläuferkompetenzen. Am besten flächendeckend. „Das ist nicht einfach. In den meisten Einrichtungen fehlt es an Personal und damit an Zeit.“ Zudem gebe es bereits Angebote, die speziell Risikokindern nach Oschmanns und Krizans Erfahrung allerdings oft mehr schaden als nutzen. Oschmann: „Externe Lerntherapeuten wären eine Lösung.“ Sie könnten die Kitas regelmäßig besuchen, den Kindern durch Spiele und dialogisches Lesen Schrift, Sprache und Rechnen nahebringen und dabei Diagnoseverfahren einsetzen, um Jungen und Mädchen, die Schwächen zeigen, frühzeitig zu erkennen und zu fördern. „Es ist nicht kompliziert“, sagt Krizan. Man muss nur wissen, wie es geht. Und dieses Wissen in der Praxis anwenden.
Für den Gründerpreis bewerben
Alle Infos zum Gründerpreis finden sich unter: http://frankfurt-business.net/existenzgruender/frankfurter-gruenderpreis/