Germersheim – Das medizinische Gutachten zur Altersbestimmung des jungen Afghanen kommt zu dem Ergebnis, dass er zwischen 17,5 und 20 Jahren alt ist. Folglich war er bei seiner Einreise zwischen 15,5 und 18 Jahre alt. Bisher wurde davon ausgegangen, dass der junge Mensch auf jeden Fall minderjährig sei. Da in diesen Fällen nicht eindeutig auszuschließen ist, dass er bei seiner Einreise minderjährig war, hatte er einen Rechtsanspruch auf Jugendhilfe.
„Auch, wenn wir uns bei diesem Ergebnis in einer Grauzone befinden, zeigt es doch, dass die bisher vorgegebenen Mittel und Wege zur Altersbestimmung nicht ausreichend sind. Diejenigen, die einen Anspruch auf entsprechende Jugendhilfe haben, sollen diese auch erhalten. Lücken, die einen Missbrauch dieses Rechtsanspruchs ermöglichen, müssen schleunigst geschlossen werden. Die Jugendämter brauchen verlässliche Methoden und Ergebnisse, um überhaupt altersgerecht und gesetzeskonform handeln zu können!“, so Landrat Dr. Fritz Brechtel.
„Der vorliegende Fall zeigt einmal mehr, dass eine Altersfeststellung basierend auf Ausweispapieren, qualifizierter Inaugenscheinnahme und ärztlicher Untersuchung nicht immer ausreichend ist. In Zweifelsfällen muss eine medizinische Altersfeststellung hinzukommen. Deshalb habe ich die erneute Überprüfung des Alters aller unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Kreis Germersheim angeordnet, in Zweifelsfällen auch mit medizinischen Methoden. Dass dies erforderlich ist, zeigt der vorliegende Fall. Diese Auffassung unterstreicht auch die Praxis im Saarland. Dort sind 35 % der in einem Jahreszeitraum medizinisch überprüften Jugendlichen entgegen ihrer Aussage als nicht-minderjährig eingestuft worden. Ein ähnliches Ergebnis liegt aus Hamburg vor.
Diejenigen, die einen Anspruch auf entsprechende Jugendhilfe haben, sollen diese auch erhalten. Allerdings muss ein Missbrauch dieses Rechtsanspruchs so weit wie möglich ausgeschlossen werden. Dem dient die medizinische Altersfeststellung. Dies ist auch die Voraussetzung für eine Akzeptanz der Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen in der Gesellschaft“, so Landrat Dr. Fritz Brechtel.
Im Landkreis wird bereits überprüft, wie das Alter der dem Landkreis Germersheim zugeteilten unbegleiteten minderjährigen Ausländer festgestellt wurde. (Ausweispapiere, qualifizierte Inaugenscheinnahme oder ärztliche Untersuchung). Von denen, deren Alter durch qualifizierte Inaugenscheinnahme festgestellt wurde, prüfen die Mitarbeiter des Jugendamtes, in welchen Fällen solche Zweifel aufkommen, die eine erneute förmliche Altersfeststellung notwendig machen.
Dem Landkreis Germersheim sind derzeit 82 unbegleitete minderjährige Ausländer zugewiesen. Davon gelten 25 als noch minderjährig und 57 als volljährig, die aber minderjährig unbegleitet eingereist waren. Die vorläufige Inobhutnahme fand bei allen umA durch das für die aufnehmende Ersteinrichtung zuständige Jugendamt statt, welches auch die Altersfeststellung durchführte. „Diese Form der Altersfeststellungen kann aber zu falschen Ergebnissen führen und bietet Raum für Spekulationen, wie wir in diesem Fall feststellen müssen“, so Brechtel.
Das Alter des jungen Afghanen wurde im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme durch das Jugendamt Frankfurt/Main im Mai 2016 bestimmt. Dort wurde der Jugendliche in der nach dem Sozialgesetzbuch vorgeschriebenen Weise qualifiziert in Augenschein genommen. Sein Alter wurde damals auf 14 Jahre festgelegt. Auch die Mitarbeiter des Jugendamtes Germersheim hatten keine Zweifel an der Einschätzung der Minderjährigkeit. Berücksichtigt wurde, dass es einen Graubereich von ein bis zwei Jahren gibt, jedoch zweifelte keiner der Beteiligten daran, dass die Vorschrift des Minderjährigenschutzes anzuwenden sind und damit die Betreuung nach Sozialgesetzbuch zu erfolgen hat.
Im § 42f SGB VIII hat der Gesetzgeber keine Regelung getroffen, wie in Fällen zu entscheiden ist, in denen das tatsächliche Alter des Betroffenen trotz Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten unklar bleibt. Bestehen auch nach der ärztlichen Untersuchung weiterhin Zweifel, ob der unbegleitete minderjährige Ausländer schon volljährige oder noch minderjährig ist, sieht Art. 25 Abs. 5 UAbs. 1 Satz 2 der EURL 2013/32 vor, dass von der Minderjährigkeit des jungen Menschen auszugehen ist (vgl. BayVGH, 05.07.2016, 12 CE 16.1186, RdNr 6). In diesen Zweifelsfällen wird damit dem Kindeswohl der höhere Vorrang eingeräumt, weshalb der umA einen Rechtsanspruch auf Jugendhilfe hatte.