Frankfurt am Main – Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) bestätigt, dass im Rahmen der Ausschreibung der Restabfallentsorgung der Landeshauptstadt Wiesbaden sowohl bei der Bestimmung des Leistungsgegenstandes als auch bei der Festlegung der Bewertungsvorgaben nicht gegen tragende vergaberechtliche Grundsätze verstoßen wurde.
Die Antragsgegnerin, eine Tochtergesellschaft der Entsorgungsbetriebe der Landeshauptstadt Wiesbaden, hat im Rahmen eines europaweiten offenen Vergabeverfahrens die Leistung „Restabfallentsorgung Landeshauptstadt Wiesbaden ab dem 01. Januar 2019“ ausschreiben lassen. Leistungsgegenstand ist in erster Linie die Entsorgung von Haus und Sperrmüll und von hausmüllähnlichem Gewerbeabfall. Im Hinblick auf eine möglichst umweltschonende Entsorgung wird Bietern ein Anreiz gegeben, in eine im Stadtgebiet Wiesbaden zu errichtende Restabfallentsorgungsanlage zu investieren.
Die Antragstellerin ist die Tochtergesellschaft einer international auf dem Gebiet der Abfallent sorgung tätigen Unternehmensgruppe und hat bis zum Ablauf der Angebotsfrist ein Angebot abgegeben. Im hiesigen Nachprüfungsverfahren will sie feststellen lassen, dass die Antragsgegnerin sowohl bei der Bestimmung des Leistungsgegenstandes als auch bei der Festlegung der Bewertungsvorgaben gegen tragende vergaberechtliche Grundsätze verstoßen habe. Ferner rügt sie einen Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot nach § 6 Vergabeverordnung (VgV) aufgrund persönlicher Verbindungen eines Geschäftsführers der Antragsgegnerin zu einer Unternehmensgruppe, der eine weitere Bieterin angehört.
Die Vergabekammer des Landes Hessen hat den Nachprüfungsantrag abgelehnt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, die vor dem OLG gemäß heute verkündetem Beschluss keinen Erfolg hatte.
Der Nachprüfungsantrag sei, so das OLG, bereits teilweise unzulässig. Der Antragstellerin fehle die Antragsbefugnis, soweit sie eine unzureichende Gestaltung des Entsorgungsvertrags, eine unterbliebene Losaufteilung sowie eine unzureichende Beschreibung des Leistungsgegenstandes rüge. Diesbezüglich sei eine Verletzung eigener Rechte der bietenden Antragstellerin bzw. ein ihr entstandener oder drohender Schaden nicht dargelegt.
Soweit der Nachprüfungsantrag zulässig sei, sei er unbegründet. Die Antragsgegnerin habe bei der Bestimmung des Leistungsgegenstandes nicht gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, des Wettbewerbs und der Transparenz verstoßen. Gleiches gelte für die Festlegung der Zu chlagskriterien ebenso wie für deren Gewichtung.
Die Favorisierung ortsnaher Entsorgungslösungen sei ein unter ökologischen Gesichtspunkten sachgerechtes Unterscheidungskriterium, weil damit Transport (CO2) Emissionen vermieden werden können, die beim Weitertransport in weiter entfernte Entsorgungsanlagen entstehen. Die Frage möglicher Überkapazitäten im Rhein Main Gebiet durch den Neubau einer Entsorgungsanlage auch unter dem Gesichtspunkt einer umfassenden Ökobilanz sei im Vergabeverfahren nicht zu überprüfen, da diese der Prärogative der Gemeinden bzw. der Entscheidungskompetenz der zuständigen Aufsichts und Genehmigungsbehörden unterfalle. Es obliege dem Bieter, die wirtschaftliche Rentabilität der Anlage zu ermitteln. Die Antragsgegnerin könne und müsse le diglich eine Realisierbarkeitsprognose anstellen, die auf ihre Plausibilität hin überprüft werde. Der Senat vermöge hierbei nicht zu erkennen, dass die Antragsgegnerin bei der Ausschreibung von unrealistischen Prognosen ausgegangen sei. Da bei einer „internen Entsorgungslösung“ die bislang auf der Deponie Dyckerhoffbruch genutzte Müllumschlagsanlage entbehrlich werde, sei es sachgerecht, Angebote mit einer im Stadtgebiet Wiesbaden zu errichtenden Entsorgungsanlage nicht mit Umschlagkosten zu belasten.
Die Leistungsbeschreibung verstoße nicht gegen das Transparenzgebot, da sie in steuerrechtlicher sowie in abfallrechtlicher Hinsicht keine unverhältnismäßigen Risiken enthalte; auch seien die Anforderungen an den Nachweis der Eignung nicht unklar beschrieben.
Ein Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot nach § 6 VgV liege nicht vor, da vorbereitende Handlungen, wie die hier streitgegenständliche Ausarbeitung der Ausschreibung, nicht von dieser Norm umfasst würden. Insofern spiele es keine Rolle, ob ein etwaiger Interessenkonflikt auf grund der familiären Verbindungen eines Geschäftsführers der Antragsgegnerin zu Organen von Gesellschaften einer Unternehmensgruppe, der eine weitere Bieterin angehört, bestehen könne.
Der Beschluss ist rechtskräftig.
Der Beschluss ist in Kürze unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de im Volltext abrufbar.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 29.03.2018, Az. 11 Verg 16/17
(vorausgehend Beschluss der Vergabekammer des Landes Hessen vom 22.11.2017, Az. 69 d VK 2 34/2017)
Erläuterungen:
§ 6 VgV Vermeidung von Interessenkonflikten
(1) Organmitglieder oder Mitarbeiter des öffentlichen Auftraggebers oder eines im Namen des öffentlichen Auftraggebers handelnden Beschaffungsdienstleisters, bei denen ein Interessenkonflikt besteht, dürfen in einem Vergabeverfahren nicht mitwirken.
(2) Ein Interessenkonflikt besteht für Personen, die an der Durchführung des Vergabeverfahrens beteiligt sind oder Einfluss auf den Ausgang eines Vergabeverfahrens nehmen können und die ein direktes oder indirektes finanzielles, wirtschaftliches oder persönliches Interesse haben, das ihre Unparteilichkeit und Unabhängigkeit im Rahmen des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte.
(3) Es wird vermutet, dass ein Interessenkonflikt besteht, wenn die in Absatz 1 genannten Personen
1.
Bewerber oder Bieter sind,
2.
einen Bewerber oder Bieter beraten oder sonst unterstützen oder als gesetzliche Vertreter oder nur in dem Vergabeverfahren vertreten,
3.
beschäftigt oder tätig sind
a)
bei einem Bewerber oder Bieter gegen Entgelt oder bei ihm als Mitglied des Vorstandes, Aufsichtsrates oder gleichartigen Organs oder
b)
für ein in das Vergabeverfahren eingeschaltetes Unternehmen, wenn dieses Unternehmen zugleich geschäftliche Beziehungen zum öffentlichen Auftraggeber und zum Bewerber oder Bieter hat.
(4) 1Die Vermutung des Absatzes 3 gilt auch für Personen, deren Angehörige die Voraussetzungen nach Absatz 3 Nummer 1 bis 3 erfüllen. 2Angehörige sind der Verlobte, der Ehegatte, Lebenspartner, Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, Geschwister, Kinder der Geschwister, Ehegatten und Lebenspartner der Geschwister und Geschwister der Ehegatten und Lebenspartner, Geschwister der Eltern sowie Pflegeeltern und Pflegekinder.