Frankfurt am Main – Unbedingt wollen die Experten vom Stadtplanungsamt anonyme und tagsüber menschenleere „Schlafstädte“ vermeiden. Dass das Europaviertel für seine uniforme Bauweise und dessen wenig individuellen Charakter kritisiert wird, findet Martin Hunscher aus zweierlei Gründen ungerecht: Erstens müssten noch einige Jahre ins Land gehen, bis der neue Stadtteil „eingewohnt“ sei und Patina ansetzen könne. Und zweitens gebe es in den großen Städten wie Frankfurt kaum noch private Bauherren, die mit ihren eigenen Häusern zur gestalterischen Vielfalt beitragen können. An dieser Stelle stehe die Stadt Investoren gegenüber, die auf große und oft einförmige Bauvorhaben setzen. „Es ist ein bundesweites Phänomen, dass neue Wohngebäude auf den ersten Blick gleich aussehen. Und auch eine Folge der vielen Energieeinsparungsvorschriften am Bau“, erklärt der Experte.
Millionen-Marke nicht zu knacken
Uniform und trist soll der neue Stadtteil in Frankfurts Nordwesten allerdings nicht aussehen. „Gestaltungsvorgaben sind zu setzen, um eine individuellere Erscheinung zu gewährleisten“, versichert der Leitende Baudirektor. Durch den gezielten Flächen-Ankauf und Konzeptvergabe an ausgewählte Partner sowie die Anwendung kommunaler Vorkaufsrechts-Satzungen will man dafür sorgen, dass die Stadt größeren Einfluss auf das Erscheinungsbild des neuen Quartiers nehmen kann. Das sei im Europaviertel in diesem Umfang nicht möglich gewesen, sagt Mark Gellert, da die Stadt nur mittelbaren Einfluss über das Planungsrecht auf die Bebauung hatte. „Auch um Spekulation Einhalt zu bieten, prüfen wir die Planung des neuen Stadtteils im Wege einer Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme“, erklärt Gellert. Hierbei helfe, dass sich über 40 Prozent der Fläche im Eigentum der Stadt oder stadtnaher Stiftungen befinde.
Auch sei keine Betonwüste am Stadtrand geplant: Vier bis sechs Vollgeschosse seien stadtplanerisch für Frankfurt ohnehin das Maximum. Unter diesen Voraussetzungen könnten stadtweit noch 60.000 bis maximal 80.000 neue Wohnungen entstehen. Dass Frankfurt dereinst über eine Million Einwohner beherberge, hält Martin Hunscher für ausgeschlossen. „Unter den jetzigen Prämissen ist das nicht möglich. Dann müssten wir theoretisch Teile des Stadtwalds oder des GrünGürtels opfern oder nur noch in Hochhaus-Clustern planen. Das ist weder fachlich vertretbar noch politisch gewollt“, sagt der Leiter des Stadtplanungsamtes.
Clever planen und grün denken
Integriertes Denken unter Berücksichtigung grüner Infrastruktur sei hingegen die Devise bei der Planung neuer Quartiere, erläutert Martin Hunscher. Jene angesagten Gründerzeitviertel, die vor rund 100 Jahren in Sachsenhausen, dem Westend oder Bornheim errichtet wurden, entstanden seinerzeit schon als reine Bauträger-Quartiere auf der grünen Wiese. Lange Zeit waren diese Wohnungen längst nicht so beliebt wie heute. Man erinnere sich an die Studentenproteste und Hausbesetzungen in den 70er-Jahren, die sich gegen den Abriss ebenjener Altbausiedlungen im Westend richteten. Doch auch wenn es inzwischen wieder angesagt ist, mitten in einer pulsierenden Großstadt zu leben, so führe kein Weg an der Erschließung neuer Flächen vorbei. Hunschers Credo lautet hierbei, man müsse „kompakt und dicht bauen, ohne große Wege zu produzieren“.
Aus diesem Grund arbeitet die Stadt bei der Planung neuer Quartiere eng mit dem Stadtklimatologen Prof. Lutz Katzschner zusammen. Jüngst legte der Spezialist für Stadtklima ein Gutachten zu den Günthersburghöfen im Frankfurter Nordend vor. „Frankfurt wird sowohl durch einen Regionalwind sowie durch kleinräumige Zirkulation der Grünflächen um die Nidda und entlang des Mains belüftet“, erläutert Katzschner. Der Erhalt dieser Frischluft-Schneisen müsse unbedingt gewährleistet bleiben. Doch auch Wiesen im urbanen Gebiet seien nicht minder wichtig für das städtische Mikroklima. So sorgen Wildblumenwiesen dafür, dass auch kleine Flächen mikroklimatische Wirkung entfalten. Katzschner fordert daher, Freiräume intelligent zu nutzen und betonierte Flächen gezielt zu entsiegeln.
Das Hauptaugenmerk müsse darauf liegen, strategische Flächen zu erhalten, damit die Luftzirkulation noch funktioniert, erklärt der Stadtklimatologe. Denn: „Es gibt keine Stadt, die einfach so über das Klima hinwegschauen könnte.“ Katzschner rät, möglichst frühzeitig in die Planung neuer Stadtteile einbezogen zu werden. „Das Beste wäre aus klimatischer Sicht, wenn wir schon in die politische Entscheidungsfindung eingebunden würden. Dann ließe sich die ökologische Komponente am besten mit anderen Bedürfnissen wie Wohnen und Infrastruktur abwägen“, sagt der Klima-Experte.
Gleichwohl weiß auch Katzschner, dass Frankfurt momentan unter großem Handlungsdruck agiere. Gleichwohl könne nicht jeder, der in Frankfurt wohnen will, dort auch leben. Daher müssten auch die Gemeinden im Umland Wohnraum schaffen. „Diese Probleme lassen sich nur im Verbund, etwa über den Regionalverband, in Angriff nehmen“, rät Lutz Katzschner. Der von ihm für das Frankfurter Umweltamt erstellte Klimaplan-Atlas sei eine gute Grundlage für weitsichtige und umweltverträgliche Stadtplanung.