Mannheim – Vom 28. Juni bis 1. Juli 2018 beschäftigt sich das Theaterfestival Schwindelfrei in seiner sechsten Ausgabe mit dem aktuellen Thema Privilegien.
Insgesamt werden rund um das Festivalzentrum EinTanzHaus in der Trinitatiskirche sechs Produktionen von vier Künstlergruppen aus der Metropolregion und zwei internationalen Künstlergruppen zu sehen sein. Bereits seit dem 14. Juni proben die Künstlerinnen, um ihre Stücke zu entwickeln und sich auf das Festival vorzubereiten. „Nach einem gelungenen Auftakt im Jahr 2009 als Beitrag der Mannheimer freien Theaterszene zu den Internationalen Schillertagen ist das Theaterfestival Schwindelfrei stetig gewachsen. Seitdem trägt es zur Vernetzung und Weiterentwicklung der hiesigen freien Szene bei“, ist Kulturbürgermeister Michael Grötsch überzeugt. „Diese positive Entwicklung belegt, dass das Festival ein wichtiges, höchst innovatives und deutschlandweit einzigartiges Förderinstrument ist“, so Grötsch weiter.
Das Festival für performative Künste lädt an vier Tagen zu zwei geführten Theaterparcours auf der neuen Theatermeile zwischen der Mannheimer Innenstadt und dem Jungbusch ein. Die 20-minütigen Uraufführungsproduktionen reichen von Tanz über audiovisuelle Inszenierung und Performance bis hin zur Bürgerbühne. Sehgewohnheiten wird choreographierter Widerstand geleistet, ein Luxus-Auto wird zur Projektions- und Diskursfläche, gängige Ideen werden auf den Kopf gestellt, mit der Macht des Blickes wird gespielt, das Publikum bekommt die Macht über den Spielverlauf und die Idee des „Trans Racial“ sowie Grenzen potentieller Empörung werden ausgelotet. „Auch in diesem Jahr richtet sich das Festival an Künstlerinnen und Künstler aus der Metropolregion Rhein-Neckar und vernetzt diese mit internationalen Künstlerinnen aus Finnland und dem Iran“, erläutert Kulturamtsleiterin Sabine Schirra. „Es ist uns mit dem Theaterfestival Schwindelfrei gelungen, ein wichtiges Förderinstrument zu etablieren, das durch internationale Begegnungen sowohl künstlerisch neue Einflüsse und Anregungen bietet als auch dem Publikum immer wieder neue Blickwinkel ermöglicht.“
Rund um das Festivalzentrum können sich die Gäste neben den Theaterparcours auch über ein Rahmenprogramm freuen, das gemeinsam mit zahlreichen Mannheimer Akteuren konzipiert wurde. Neben Gesprächsformaten wie einem Kulturfrühstück werden im Bereich Literatur vielfältige Veranstaltungen angeboten. Zudem gibt es jeden Abend nach Abschluss der Theaterparcours am Festivalzentrum c/o EinTanzHaus Live-Musik zu hören.
Kuratiert wird das Theaterfestival Schwindelfrei 2018 von Sophia Stepf, die sich bereits für die neukonzipierte Festivalausgabe 2014 sowie die vergangene Ausgabe 2016 verantwortlich zeichnete: „Das neue Schwindelfrei-Format haben wir 2014 etabliert und damit ein ‚3-in-1-Format‘ geschaffen“, so Stepf. „Es ist zugleich internationales Uraufführungsfestival, regionale Plattform für Künstleraustausch mit nachhaltigen Effekten und Experimentierbühne. Damit ist das Format in Deutschland einzigartig.“
Alle weiteren Informationen, darunter Beschreibungen der Produktionen und der weiteren Programmpunkte, Eintrittspreise, Uhrzeiten und Orte sowie Förderer finden Sie unter www.theaterfestival-schwindelfrei.de.
Über das Festival:
Das Theaterfestival Schwindelfrei für performative Künste wird biennal ausgerichtet. Es führt internationale und regionale Künstler zusammen, um zu einem gemeinsamen Thema zu arbeiten und jeweils für das Festival kurze Uraufführungsproduktionen zu entwickeln.
Als produzierendes Festival fördert das Theaterfestival Schwindelfrei die Begegnung und den Austausch der Künstler untereinander. Dem Publikum bietet es abwechslungsreiche künstlerische Arbeiten und eine große Bandbreite an zeitgenössischen Formen der Darstellenden Künste zu einem übergeordneten Thema. In geführten Theaterparcours sind jeweils drei verschiedene kurze Inszenierungen unterschiedlicher Künstlergruppen zu erleben. Das macht das Theaterfestival Schwindelfrei zu einem Uraufführungsfestival für Möglichkeiten, Vielfalt, Begegnung und Austausch – für die Künstler und natürlich für das Publikum!
Historie:
Mit den Freien Theater Tagen Schwindelfrei initiierte das Mannheimer Kulturamt mit Unterstützung der Baden-Württemberg Stiftung 2009 erstmals im Rahmen der Internationalen Schillertage eine Werkschau der regionalen Theaterszene, die mit vielen Neuinszenierungen rund um das Thema Schiller ein spannendes, vielseitiges Programm präsentierte.
Direkt im Folgejahr 2010 wurde das Festival vom Kulturamt der Stadt Mannheim fortgeführt. Ein Kurator wurde eingeführt, der mit dem Thema „Die Kunst des Körpers“ eine große Bandbreite an ausgewählten Produktionen der freien Szene Mannheims präsentierte.
Im Jahr 2012 stand das Theaterfestival Schwindelfrei unter dem Motto „Plündert die Brachen!“. Auf den Turley Barracks verstand es sich als Aufruf zur künstlerischen Auseinandersetzung mit Leerstellen, Zurückgelassenem, Überresten und nicht definierten Orten.
In seiner vierten Ausgabe vernetzte das Theaterfestival Schwindelfrei 2014 erstmals Künstler der gesamten Metropolregion Rhein-Neckar mit internationalen Kollegen. Das Individuum mit seinen Verbindungen zur Welt stand 2014 im Mittelpunkt.
2016 wurde das erfolgreiche Konzept unter der Kuratorin Sophia Stepf fortgeführt und erweitert. Unter dem Thema „FACING 2066“ trafen erneut regionale auf internationale Theaterschaffende aufeinander. Zudem konnte ein Warm-up ermöglicht werden, das in einem umfangreichen Rahmenprogramm einen niederschwelligen und vielfältigen Zugang zum Thema schuf.
Der Erfolg des Theaterfestivals zeigt sich darin, dass 2018 bereits die sechste Ausgabe stattfindet. Unter dem Thema „Performing Privilege“ arbeiten erneut regionale und internationale Künstlerinnen gemeinsam an einem Thema und zeigen in ihren Uraufführungen die unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema auf.
Das Festivalthema – Performing Privilege
Gedanken von der Kuratorin Sophia Stepf
Privilegien sind schön und unsichtbar, weil sie normal sind für die, die sie haben. Die Unauffälligkeit, mit der ich durch die Stadt gehen kann und respektvoll behandelt werde. Gesetze, die zu meinem Schutz gemacht sind. Die Polizei, die mir hilft. Jobs, die ich bekomme auch bei viel Konkurrenz. Privileg ist die sanfte Gewissheit, dass die Welt für mich gemacht ist. Privileg ist auch die Wahl, ob ich über Privilegien nachdenken möchte oder nicht. „Having them, knowing them, not wanting them? Well, that’s the privilege of privileges“ singt die Popsängerin Molly Nielsson.
Ich profitiere täglich von meinem Weiß-Sein, auch wenn ich keine Rassistin bin. Männer haben berufliche Vorteile, auch wenn sie für Gleichberechtigung sind. Ich bin gegen Ausbeutung von Menschen im globalen Süden, aber mein täglicher Einkauf von Lebensmitteln zementiert ihre Armut. Mit einem deutschen Pass steht mir die Welt offen, ob ich reisen möchte oder nicht. In der globalisierten Welt leben weitaus mehr Verlierer als Gewinner, die Schere zwischen Arm und Reich wird überall größer und durch das Internet wissen alle, wo sich der Reichtum der Wenigen konzentriert. Hier werden Mauern gebaut, um Privilegien zu schützen, von der Festung Europa bis zur Gated Community.
„Performing Privilege“ fragt nach der Sichtbarmachung und Darstellung von Privilegien. Geschichten von Hochstaplerinnen und Hochstaplern zeigen Privileg als präzise Performance und durchziehen die Weltliteratur. Von Felix Krull bis zum großen Gatsby spielen sie den amerikanischen Traum mit Abkürzung durch: Performance statt Arbeit. In den Transformationsmärchen von der Unterschichtsfrau zur Dame. Geschichten, in denen Schwarze als Weiße und Frauen als Männer durchgehen (= passing), oder sich bewusst als solche ausgeben, beschreiben Privileg als notwendige Täuschung, um Ziele zu erreichen. Körper, Esskultur, Mode und Sprache sind Kennzeichen von Privilegien, die auch gezielt eingesetzt werden: Wie inszeniere ich meinen Körper? Was nehme ich (nicht) zu mir? Mit was bedecke ich mich? Wie bewege ich mich und welcher Sprache kann ich mich bedienen? Welche Zugehörigkeit behaupte ich damit? Ist Bioessen ein Privileg, das Armen nicht zusteht? Welche Privilegien sind in Körper eingeschrieben, ob wir wollen oder nicht? Wo und wie wird Privileg dargestellt? Wer hat das Privileg zu performen vor zahlendem Publikum?
Das Theaterfestival Schwindelfrei 2018 sucht nach der analytischen Nabelschau, dem kritischen Weiß-Sein, den heutigen Hochstaplerinnen und Hochstaplern, der unmöglichen Augenhöhe, den Mode-Codes des sozialen Aufstiegs und der Frage, ob wir wirklich bereit wären, die eigenen Privilegien zu teilen.
Das Theaterfestival Schwindelfrei hat sechs Künstlergruppen aufgerufen, sich mit der Darstellung und Sichtbarmachung von Privilegien zu beschäftigen.
So vielfältig der inhaltliche Zugriff, so vielfältig sind die theatralen Formen: Tanz, audiovisuelle Inszenierung, Performances, Bürgerbühne – eine große Bandbreite der Darstellenden Künste wird auf dem Festival vertreten sein.
Die 20-minütigen Produktionen werden eigens für das Theaterfestival Schwindelfrei konzipiert und kommen hier zur Uraufführung. Sie werden gemeinsam in zwei Theaterparcours präsentiert.
Informationen zu den regionalen Künstlerinnen:
Lea Aderjan studierte Soziale Arbeit und Theaterpädagogik an der Universität Erlangen und arbeitet seither als freie Regisseurin. Der Fokus ihrer Inszenierungen liegt auf den Narrativen der sogenannten Experten des Alltags. Sie inszenierte unter anderem am Nationaltheater Mannheim, für das Kunst- und Kulturfestival Matchbox und den Kultursommer Ludwigshafen.
Anna Júlia Amaral arbeitet seit 2006 als Performerin und Schauspielerin in Deutschland und Lateinamerika. Sie hat Schauspiel und Theaterwissenschaft in Brasilien studiert und zurzeit ist sie bei der Szenischen Forschung (Master) an der Ruhr Universität Bochum. Ihre Arbeiten fokussieren sich auf den Körper als Impulsgeber: sowohl im Schauspiel als auch in ihren Performances.
Michelle Cheung wurde in Toronto geboren. Sie absolvierte ihre Ausbildung bei Arts Umbrella in Vancouver. Ab 2008 war sie als freischaffende Tänzerin tätig. Von 2010 bis 2013 war Michelle Cheung Tänzerin am Nationaltheater Mannheim. Sie ist Mitglied im La_Trottier Dance Collective. 2015 entwickelte sie gemeinsam mit Julie Pécard das Stück „UN/feminine“.
Golnaz Hourmazdi ist freischaffende Dokumentarfilmerin und Visuelle Anthropologin. Ihr Abschlussfilm im M.A. an der Ludwig-Maximilians-Universität München „Lang leben die Revolutionärinnen“ lief auf mehreren internationalen ethnographischen Filmfestivals. Zudem arbeitet sie als Mentorin bei GirlsGoMovie und führt Regie bei Musikvideos.
Julie Pécard wurde in Tours in Frankreich geboren. Mit zwölf Jahren begann sie in Vancouver eine Tanzausbildung bei Arts Umbrella. 2007 ging sie als freie Tänzerin zu ProArteDanza in Toronto. 2009 kam sie nach Deutschland und war bis zur Spielzeit 2014/15 Tänzerin im Kevin O‘Day Ballett des Nationaltheaters Mannheim. Pécard ist Teil des La_Trottier Dance Collectives. 2015 entwickelte sie gemeinsam mit Michelle Cheung das Stück „UN/feminine“.
Fides Schopp produziert Lecture Performances und Hörstücke. In ihren Arbeiten setzt sie sich mit Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens, deren Machtstrukturen und dem Wandel von Normen im Laufe der Zeit auseinander. Ihre Stücke liefen unter anderem bei den ARD Hörspieltagen und dem Hörspielsommer Leipzig, zudem sind sie immer wieder in Ausstellungen zu hören und auf Performancefestivals zu sehen.
Karoline Vogt schloss 2014 ihr Studium zur klassischen Diplomposaunistin an der Musikhochschule Mannheim ab. Direkt im Anschluss absolvierte sie ebenfalls dort ihren Bachelor zur Instrumentalpädagogin. Seither arbeitet sie neben ihrer berufsbegleitenden Ausbildung zur Theaterpädagogin an der Theaterwerkstatt Heidelberg freiberuflich als Musikerin und Pädagogin.
Nina Weber ist Performerin, Theaterpädagogin und Videokünstlerin. Sie studiert seit 2014 Szenische Forschung (Master) an der Ruhr Universität Bochum. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mit Postkolonialisierung, Privilegien und Critical Whiteness und forscht zur Verbindung mit Kunst. Dazu erarbeitet sie Performance und Videoinstallationen.
Informationen zu den internationalen Künstlerinnen:
Sonya Lindfors ist Choreografin und Künstlerische Leiterin (UrbanApa – arts platform) und lebt in Helsinki. 2017/2018 ist sie Hauschoreografin am Zodiak-Center for New Dance. 2017 war sie Künstlerin des Jahres der Stadt Helsinki. Ihre Choreografien fordern alte Machtstrukturen heraus und ermächtigen Communities.
Azade Shahmiri ist Perfomerin, Regisseurin und Autorin aus Teheran. Ihre Arbeiten werden international bei renommierten Festivals gezeigt. 2016 kreierte sie die Videoinstallation „Not to Be“ für das Theaterfestival Schwindelfrei, die dann gemeinsam mit dem Autor und Filmemacher Soheil Amirsharifi zur Performance „Voicelessness“ ausgearbeitet wurde und seitdem international tourt.
Biografie der Kuratorin Sophia Stepf:
Sophia Stepf studierte Dramaturgie an der Hochschule für Musik und Theater (HMT) in Leipzig und an der York University Toronto. Sie arbeitete als Assistentin und Dramaturgin für internationale Theaterfestivals (Bonner Biennale, Theater der Welt, Wiener Festwochen) und leitet die Kompanie Flinn Works (Berlin). Seit 2001 konzipiert sie regelmäßig Theaterprojekte und Fortbildungen in Indien, unter anderem für das Goethe-Institut und gibt dort Theaterworkshops an Universitäten. Sie war Lehrbeauftragte für „Interkulturelle Dramaturgie“ im Studiengang Dramaturgie an der HMT Leipzig und kuratiert bereits zum dritten Mal das Theaterfestival Schwindelfrei in Mannheim.
Übersicht aller beteiligten Künstlerinnen und Künstler:
Lea Aderjan & Karoline Vogt
Nur mein Leben – Bürgerbühne
Mannheim
Anna Júlia Amaral & Nina Weber
#RACE – Performance
Weinheim
Julie Pécard & Michelle Cheung
Circo – Tanz
Mannheim
Golnaz Hourmazdi & Fides Schopp
You drive me Crazy – Audiovisuelle Inszenierung
Heidelberg / Mannheim
Sonya Lindfors
Soft Variations – Tanz
Helsinki
Azade Shamiri
Unperforming – Performance
Teheran
Rahmenprogramm:
Andi Otto
Jugendkulturzentrum forum Mannheim / Moving Stories
Junge Bürgerbühne Mannheim
Kollektiv Junge Literatur Mannheim
Kulturparkett Rhein-Neckar
Mumuvitch Disko Orkestar
NeckarGanga
Stadtbibliothek Mannheim
Terrorchicks