Heidelberg – Familie, Freunde, Kollegen und ehemalige Schüler gedachten gestern in der Alten Aula der Universität Heidelberg eines großen Mediziners, der das Universitätsklinikum Heidelberg maßgeblich geprägt hat.
Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Bickel war von 1967 bis 1987 Leiter der Kinderklinik und ist vielen Wegbegleitern noch als zugewandter, engagierter Arzt und brillanter Wissenschaftler in Erinnerung. Die Geschichte der Kinderheilkunde hat er weit über Heidelbergs Grenzen hinaus beeinflusst. Zu seinen besonderen Verdiensten gehört die Entwicklung einer speziellen Diät, mit der es erstmals möglich wurde, die Phenylketonurie (PKU) – eine erblich bedingte, genetische Stoffwechselerkrankung – zu behandeln. Bis heute konnten durch die von Bickel entwickelte Therapie zehntausende von Kindern vor schweren Hirnschäden bewahrt werden.
Neugeborenenscreening – ein oft lebensrettender, einfacher Test auf zurzeit 16 Krankheiten
Da nur eine rechtzeitig begonnene, eiweißarme Diät die Folgen der PKU verhindern kann, setzte Prof. Bickel sich mit Nachdruck für die Einführung eines flächendeckenden Neugeborenscreenings ein. Mit Erfolg: Aufgrund seines Engagements gehört das Screening seit 1971 in ganz Deutschland zu den Standarduntersuchungen bei Neugeborenen. „Horst Bickel kann als Begründer der Stoffwechselmedizin hier in Heidelberg angesehen werden“, sagte Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich, Leitende Ärztliche Direktorin des Universitätsklinikums Heidelberg, anlässlich der Akademischen Feier in der Alten Aula. „Er hat die Grundlagen dafür gelegt, dass Heidelberg nun eine internationale Anlaufstelle für die Erforschung und die Behandlung seltener Erkrankungen und des Neugeborenenscreenings ist.“
Heute kommt praktisch jedes in Industrienationen geborene Kind in den ersten Tagen seines Lebens in Kontakt mit den Ergebnissen der Forschungen von Horst Bickel, denn den Eltern wird die freiwillige Teilnahme am Screening ihrer Babys angeboten. In Deutschland ist gesetzlich festgelegt, auf welche Krankheiten die Blutprobe beim Neugeborenenscreening untersucht werden darf: Eine Krankheit muss schwerwiegend, früh und zuverlässig zu diagnostizieren sowie erfolgreich zu behandeln sein. Derzeit umfasst das Screening 14 Stoffwechselstörungen und zwei Hormonstörungen und die Heidelberger Wissenschaftler arbeiten konsequent daran, das Screening auf weitere Erkrankungen auszuweiten. Mittlerweile werden jedes Jahr in Deutschland ca. 800 Kinder – alleine in Heidelberg circa 130 Kinder – mit angeborenen Stoffwechsel- oder Hormonstörungen durch das Neugeborenenscreening früh erkannt und gerettet.
Eine Ausweitung des Neugeborenenscreenings ist geplant
„Das Universitätsklinikum ist Vorreiter in der Erforschung seltener, erblich bedingter Stoffwechselerkrankungen, da es über ein eigenes Analysezentrum mit modernster Technik verfügt“, sagte Prof. Dr. Georg Hoffmann, Ärztlicher Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin und Sprecher des Zentrums für Seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Heidelberg. „Wir führen das Vermächtnis von Professor Horst Bickel fort, denn es ist uns gelungen, aus den derzeit mehr als 600 bekannten angeborenen Stoffwechselerkrankungen weitere 25 Erkrankungen als geeignete Kandidaten für das Screening zu identifizieren. Eine Pilotstudie mit 500.000 Neugeborenen soll zeigen, ob diese Krankheiten die Kriterien in der Praxis erfüllen.“ Zwei Jahre nach Studienbeginn zeigt sich: Mit Hilfe eines erweiterten Screenings lassen sich pro Jahr 20 weitere Kinder finden, denen lebensentscheidend geholfen werden kann. Möglich wird dies durch Spenden der Dietmar Hopp Stiftung, die seit mehreren Jahren am Dietmar-Hopp-Stoffwechselzentrum High-Tech und wissenschaftliche Studien mit großzügigen Spenden in Millionenhöhe fördert.
Selbsthilfegruppen: gemeinsam stark gegen die Krankheit
Ein weiterer Verdienst von Prof. Horst Bickel ist – neben seinen wissenschaftlichen Leistungen – sein besonderer Einsatz für betroffene Familien. Ihm ist es zu verdanken, dass sich von Heidelberg aus die „Deutsche Interessengemeinschaft Phenylketonurie und verwandte angeborene Stoffwechselstörungen“ (DIG PKU) als wortgewaltige Selbsthilfegruppe mit mittlerweile rund 1.900 Mitgliedern gegründet hat. Tobias Hagedorn vom Vorstand der DIG PKU sagte: „Das Vermächtnis von Horst Bickel ist sein Mut, etwas Neues anzufangen. Was wir mit ihm verbinden, ist die Hoffnung auf ein erfülltes Leben und Menschenwürde.“