Das Bibelmuseum Neustadt an der Weinstraße gelangte im August 2018 in Besitz der Neustadter Bibel von 1587/88. Damit ging eine rund 18 Jahre dauernde Suche zu Ende. Vermittelt wurde die Bibel durch Dr. David Trobisch, Kurator des Museums of the Bible in Washington D.C., der sie dem Museum als unbegrenzte Dauerleihgabe zur Verfügung stellt. Mit diesem äußerst seltenen Exemplar wurde eine schmerzliche Lücke geschlossen. Es liegen nun die wichtigsten drei der in Neustadt gedruckten und historisch bedeutsamen Bibelausgaben vor – neben den Ausgaben von 1579 und von 1594. Sie sind Zeugnis einer Epoche, in der Neustadt mit seiner Hochschule, dem Casimirianum, ein europaweit beachtetes Zentrum der reformierten Welt war.
Kurfürst Friedrich III. (reg. 1559-1576) führte um 1561 die Lehre Calvins in der Kurpfalz als erstes Territorium im Reich ein. Als er 1576 starb, begannen Jahre konfessioneller Zweigleisigkeit. Sein ältester Sohn und Nachfolger Ludwig VI. (reg.1576-1583) war ein strenger Lutheraner. Reformierte Professoren mussten Heidelberg verlassen und fanden Aufnahme in Neustadt, wo Ludwigs Bruder Johann Casimir mit dem Casimirianum 1578/79 eine neue reformierte Hochschule schuf. Einer der führenden Theologen der Zeit, Zacharias Ursinus (1534-1583), lehrte hier. Sein Schüler David Pareus (1548-1622) führte dessen Werk fort. Mit den Professoren kam auch der reformierte Druckerverleger Matthäus Harnisch von Heidelberg nach Neustadt, bei dem die Neustadter Bibel erschienen.
Bei der Frage, welche Bibelübersetzung in der reformierten Kurpfalz verwendet werden sollte, entschied mach sich gegen die reformierte Zürcher Bibel von Huldrych Zwingli für den Luthertext. Luthers Anmerkungen waren jedoch nicht mit der Lehre vereinbar, sodass man diese entfernte. Es erschienen zunächst 1568/1569 in Heidelberg und 1579 in Neustadt handliche Bibelausgaben ohne Kommentare. Neu und revolutionär war die komplette Verszählung, die nun erstmals in einer Bibelausgabe vorlag.
Der nächste Schritt war eine Bibelausgabe mit reformierter Kommentierung. Diese leistete David Pareus, der mit der Neustadter Bibel von 1587/88 wieder eine handliche Ausgabe schuf. Die Kommentare machten aus der Bibel ein Lehr- und Verkündigungsbuch reformierter Prägung. Lehraussagen wurden biblischen Büchern und Kapiteln vorangestellt. Die Einleitung fasst die Bedeutung der Heiligen Schrift zusammen. Vereinzelt wenden sich Aussagen gegen Katholiken, Täufer und Lutheraner. Jeder, besonders aber der junge Kurfürst Friedrich IV. (reg. 1583-1610), solle sich angesichts gefährlicher Zeiten an der Bibel orientieren. Im Unterschied zu Luther wertete Pareus alle Bibelbücher als gleichranging, entgegen Luthers Einschätzung des Jakobus-, Hebräer- und Judasbriefs sowie der Apokalypse.
Die Reaktion auf diese Bibelausgabe kam prompt. 1588 erschien eine Streitschrift von Jakob Andreä, dem Kanzler der Tübinger Universität, unter dem Titel: „Christliche/ Trewhertzige Erinnerung/ vermanung vnd warnung/ vor der zur Newenstatt an der Hart nachgetruckten/ verfälschten/ vnd mit Caluinischer Gottslästerlicher Lehr beschmeißten Bibel D. Martin Luthers.“ Darin beschimpfte er das Werk des Pareus als „Erzbubenstück“ und „calvinistische verdammte Ketzerei.“ Es würden Irrtümer verbreitet und Luthers heilsame Lehre „ausgekratzt.“ So nennt er die Ausgabe eine mit des „Teufels Kot beschmeißte Bibel.“ Pareus wehrte sich mit einer 1589 erschienenen Gegenschrift. Er betonte, dass er ja Luthers Übersetzung unverändert übernommen habe. Doch der Streit ging weiter. Die Auseinandersetzung um die Neustadter Bibel ist ein Beispiel für die Trennung der protestantischen Konfessionen, der im Konfessionalismus endete. Erst die Unionsbewegung im 19. Jahrhundert konnte die Spannungen in Territorien wie der Pfalz wieder lösen.
1590/91 wurde eine zweite Auflage der Bibel von 1587/88 gedruckt, in der man das reformierte Gesangbuch mit Noten, die Psalmengesänge des Ambrosius Lobwasser, und für den Unterricht den Heidelberger Katechismus ergänzte. Die 1594 erschienene dritte Auflage der von Pareus kommentierten Bibel gilt wegen ihres großen Formats als prächtigste aller Neustadter Bibeldrucke. Neu waren die Aufnahme apokrypher Bücher (beispielsweise 3. und 4. Esra und das 3. Buch der Makkabäer) und ein erweitertes Register. Eine weitere Auflage 1596 und Nachdrucke in Hanau folgten. Paul Tossanus (1572-1634), der Sohn des ersten reformierten Neustadter Dekans und Rektors des Casimirianums Daniel Tossanus, führte das Werk des David Pareus fort. Er ergänzte die reformierten Kommentierungen. Kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg erschien im Jahre 1617 in Heidelberg sein mächtiges Bibelwerk, die Tossanus-Bibel. Auch nach dem Krieg erfreute sich diese Bibelausgabe in reformierten Kreisen großer Beliebtheit und wurde in Frankfurt, Minden und Basel bis ins 18. Jahrhundert nachgedruckt. So wirkte die in Neustadt begonnene Bibeltradition lange nach.