Worms – Langsam öffnet sich die Luke am Maschinenhaus der Windkraftanlage im Wormser Norden. Christoph Burger werkelt in 120 Metern Höhe. Dann tritt er über den Rand und lässt sich Meter für Meter nach unten ab. Zwei Minuten später steht er auf dem Boden. Er hakt den Schraubkarabiner von seinem Klettergurt.
„In so einer Höhe am Seil zu hängen ist schon ein spezielles Gefühl“, sagt er. „Beim ersten Mal war mir etwas mulmig, mittlerweile ist das Abseilen kein Problem mehr für mich.“ Christoph Burger trainiert die Höhenrettung seit 2013 zusammen mit Dennis Happersberger und Florian Junck. Beide gehören zum Team der EWR Neue Energien GmbH.
Üben für den Ernstfall
„Abseilen müssen wir uns dann, wenn es brennen sollte,“ erzählt Burger. „Dann ist uns der Rückweg versperrt und das Seil die einzige Möglichkeit nach unten zu kommen und uns zu retten.“ Die beiden Spezialisten üben aber auch die Rettung von Verunglückten, denn auch Kreislauf- und Herzprobleme können im Turm vorkommen, oder dass sich ein Techniker verletzt. Einmal im Jahr müssen sie den Ernstfall simulieren. Dabei kommt das Standard-Evakuierungsgerät „MILAN 2.0“ zum Einsatz, eine fliehkraftgesteuerte Bremse, in die das statische Doppelseil eingehängt wird. Gewichtsunabhängig hält sie konstant eine Geschwindigkeit von 90 Zentimetern pro Sekunde. Das Spezialgerät, das auch die Feuerwehr einsetzt, ist für Abseilhöhen bis 500 Meter geeignet.
Körperliche Fitness ist entscheidend
Die Ausbildung von Christoph Burger und Dennis Happersberger dauerte insgesamt mehrere Monate. „Für das Arbeiten in einer Windkraftanlage sind von vorneherein bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen“, sagt Dennis Happersberger. „Die Mitarbeiter müssen nicht nur körperlich fit sein, sondern auch arbeitsschutztechnisch in die Windenergieanlage eingewiesen sein. Die Tauglichkeit wird mit einer medizinischen Untersuchung abgeklärt.“
Training am Objekt
Die ersten Trainings fanden im „Vertical Rescue College“ des Herstellers der Höhensicherungstechnik Skylotec statt. Dieses Jahr war Realitätsnähe angesagt. Die Windkraftanlage Vestas V112 musste für das Training extra abgeschaltet werden. „Das macht so ein Training teuer, weil in der Zeit natürlich kein Strom erzeugt wird“, so Burger. „Dazu kommt, dass die Rettungsmaterialien nur einmal verwendet werden dürfen. Nach jeder Übung werden sie vom Hersteller überprüft und dann wieder eingeschweißt, damit sie auch 100 Prozent sicher funktionieren.“
Im Netzgebiet finden regelmäßig rettungstechnische Übungen statt, etwa wie eine Umspannanlage gelöscht oder wie auf Stromausfall reagiert wird. Nur deshalb war es möglich, dass zwar sechs Hochspannungsmasten des Betreibers Westnetz wegen des Sturms „Fabienne“ umfielen, aber die Experten der EWR Netz GmbH innerhalb von zwei Stunden alle Kunden wieder mit Strom versorgen konnten.