KARLSRUHE – Die 170.000 Glasaale, die am 29.01.19 auf dem Weg von Stuttgart nach Asien waren und vom Zoll am Stuttgarter Flughafen beschlagnahmt worden waren, wurden am Dienstag Nachmittag im Rhein bei Karlsruhe in den Rhein besetzt. Nur zwölf Stunden dauerte es, bis die geschmuggelten Aale im klaren Wasser des Rheins verschwunden waren. Bis zu diesem erlösenden Moment gab es jedoch einige Hürden zu überwinden, wofür verschiedene Bundes- und Landesverwaltungen voll im Einsatz waren.
Am frühen Montagmorgen gegen sechs Uhr hatte das Schicksal der Glasaale am Stuttgarter Flughafen seinen Lauf genommen: Zollbeamte kontrollierten gemeinsam mit Kollegen der Bundespolizei zwei verdächtige Männer bei der Ausreise und trauten bei der Überprüfung des Gepäcks ihren Augen nicht. In vier gewöhnlichen Reisekoffern befanden sich, fein säuberlich verpackt, tausende lebendige Jungaale, sogenannte Glasaale. Dieses frühe Stadium des Aals ähnelt einer Glasnudel und durch seine durchsichtige Haut ist sogar das winzige, schlagende Herz zu sehen. Der Europäische Aal ist vom Aussterben bedroht und unterliegt dem Washingtoner Artenschutzabkommen. Er hat denselben Schutzstatus wie beispielsweise der Afrikanische Elefant. Der Handel mit dem Europäischen Aal wird überwacht und hat strenge Vorgaben und ist außerhalb Europas ganz untersagt. Die vorgesehene Reise der Jungtiere nach Asien war somit illegal. In Asien zählt der Glasaal als Delikatesse. Das Kilo kann dort für bis zu 4.000 Euro verkauft werden. Da es im vergangenen Dezember einen ähnlichen Fall am Frankfurter Flughafen gegeben hatte, waren die Zollbehörden vorbereitet und konnten schnell reagieren. Aus den Erfahrungen in Frankfurt wusste man bereits, dass es ein Wettlauf mit der Zeit werden würde, um das Überleben der Tiere zu sichern. Bevor die Rettung der Aale durch Rückführung in ein geeignetes Gewässer erfolgen konnte, musste die erforderliche artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung erteilt werden, um den Tieren einen legalen Aufenthalt im Land zu bescheinigen. Ohne diese Genehmigung dürfen die Tiere nicht in die Natur ausgewildert werden. Dabei ist sicherzustellen, dass es sich tatsächlich um die Art „Europäischer Aal“ handelt. Das Bundesamt für Naturschutz (BFN) sorgte im Austausch mit dem Umweltministerium in Stuttgart umgehend für die notwendigen Unterlagen.
Nach Vorlage der Ausnahmegenehmigung erfolgte die Kontaktaufnahme zur Fischereibehörde im Regierungspräsidium Karlsruhe. Es war offensichtlich, dass die Aale im Rhein nicht nur heimisch sind, sondern dort auch ausgezeichnete Lebensraumbedingungen und auch Überlebenschancen haben, so dass es nahe lag, sie sobald wie möglich in den Rhein bei Karlsruhe zu entlassen. Der Vorteil ist hier auch, dass den Aalen im Rhein bei Karlsruhe flussabwärts bis zur Nordsee kein Hindernis im Weg steht, wenn sie nach rund sieben Jahren Aufenthalt im Rhein abwandern werden. Im Gegensatz zum Neckar, bei dem zahlreiche Staustufen und Wasserkraftanlagen die Abwanderung der Fische behindern würden, denn um ihren Lebenszyklus zu schließen, müssen Aale unbedingt abwandern.
Sämtliche Europäischen Aale kommen aus der Sargassosee im Bermudadreieck und sind demzufolge Wildtiere. Eine künstliche Nachzucht des Aals ist bis heute nicht gelungen. Die Fischereibehörde des Regierungspräsidiums Karlsruhe ist deswegen seit Jahrzehnten für den Schutz des Aals aktiv und für Noteinsätze wie dem gestrigen bestens vorbereitet und ausgerüstet.
Im Vordergrund der Rettungsaktion stand die knappe Zeit, da weder der Gesundheitszustand der Aale, noch die Transportbedingungen bekannt waren. Ebenso war auch nicht bekannt, wie lange die Tiere schon von ihrem Fangort, wahrscheinlich einem Küstenstandort am Atlantik, nach Stuttgart unterwegs gewesen waren. Deswegen musste alles rasch gehen: Die Zollbeamten machten sich nach der erforderlichen formalen Freigabe der Aale durch die Staatsanwaltschaft und die Zollfahndung gegen 13 Uhr vom Stuttgarter Flughafen über die – glücklicherweise weitgehend freie A8 – auf den Weg nach Karlsruhe. In der Zwischenzeit hatte die Fischereibehörde das Einsatzboot für den Aalbesatz schon vorbereitet und zusätzlich die Wasserschutzpolizei der Station Karlsruhe um Unterstützung gebeten. Als die Zollbeamten um 14 Uhr am Pionierhafen in Karlsruhe eintrafen, stand alles für die Entgegennahme der Aale bereit.
Die Fachleute des Regierungspräsidiums waren sehr erleichtert, als der erste Koffer geöffnet worden war: die Aale waren quicklebendig und in einer guten Verfassung. Dies kann anhand des aktiven Schwimmverhaltens der nur acht Zentimeter langen, durchsichtigen Fischchen bewertet werden. Eine Sauerstoffmessung in den Transporttüten bestätigte die Vermutung, dass es sich bei der Zusammenstellung der Aalkoffer um keine Amateurarbeit handelte. Der Sauerstoffgehalt in den Behältnissen lag bei über 200 Prozent Sättigung, also doppelt so hoch wie normalerweise. Den Behältnissen war reiner Sauerstoff beigefügt worden, damit die Tiere den langen Transport nach Asien besser überleben. Zudem wurden zur Sicherheit jeweils zwei Transporttüten verwendet, für den Fall dass die innere Tüte beschädigt werden sollte. Weiterhin war in den Koffern Eis in Wasserflaschen gepackt, damit die Aale bei Temperaturen um sechs Grad nur wenig Sauerstoff verbrauchen. Nach Einschätzung der Fischereibehörde war hier ein Spezialist für Fischtransport am Werk gewesen, denn exakt auf diese Weise werden auch in der kommerziellen Fischerei lebende Fische transportiert. Allerdings können die günstigen Bedingungen, zum Beispiel durch Wärmezufuhr, sehr schnell kippen. Ein rasches Handeln ist daher stets angebracht, um die Tiere nicht zu gefährden.
Die 48 Einzelpakete mit jeweils einem Kilo Aale, was rund 3.500 Einzeltieren entspricht, wurden anschließend auf die Einsatzfahrzeuge der Wasserschutzpolizei und des Regierungspräsidiums verteilt. Nach einer kurzen Unterweisung und Abstimmung zum sachgerechten Aalbesatz starteten die Fahrzeuge in entgegengesetzte Richtungen des Rheins. Es ist für einen guten Besatzerfolg wichtig, dass die nur rund 0,3 Gramm leichten Glasaale in Lebensräume mit Versteckmöglichkeiten besetzt werden, wo sie vor Fressfeinden sicher sind. Solche Bereiche finden sich in den versunkenen Holzstrukturen der Altwasser ebenso wie in den Steinschüttungen der Rheinufer. Zudem müssen die Glasaale möglichst weit verteilt werden, um die vorhandene Lebensraumkapazität bestmöglich auszunutzen. Immerhin sollen sich die Tiere nicht gegenseitig Konkurrenz machen, sondern sich mehr oder weniger gleichmäßig entlang des Rheinabschnitts verteilen. Gegen 16 Uhr zählte die Fischfamilie des Rheins dank des beherzten Eingreifens der Zollverwaltung rund 170.000 Mitglieder mehr. Nun besteht die Hoffnung, dass sich in einigen Jahren ein großer Teil dieser Schmuggelware stromab auf den Weg in Richtung Sargassosee machen kann, um für weiteren Nachwuchs zu sorgen. Mit dieser gemeinsamen Aktion wurde ein bedeutender Beitrag zum Aalschutz geleistet, damit der viele Jahrmillionen währende, beeindruckende und sensible Lebenszyklus einer ganz besonderen Fischart niemals unterbrochen wird.