Bad Kreuznach – (ots) – Verkehrsunfälle gehören auf den Straßen im Landkreis Bad Kreuznach zur Tagesordnung. Der modernen Fahrzeugtechnik mit aktiven Sicherheitssystemen wie dem Spurhalte- oder Notbremsassistenten und ESP sowie den passiven Sicherheitssystemen wie der Sicherheitsfahrgastzelle, einer stabilen Karosserie, Kopfstützen, Seitenaufprallschutz bis hin zu Airbags und Gurtstraffern verdanken viele Fahrzeuginsassen heute ihr Leben.
Waren schwere Unfälle mit eingeklemmten Personen früher regelmäßig an der Tagesordnung, gehen die meisten Crashs dank der immer besser werdenden Sicherheitssysteme heutzutage glücklicherweise glimpflich aus.
Wenn Insassen dann jedoch bei Unfällen in ihren Fahrzeugen eingeklemmt werden, ist die Schwere der Einklemmung meist heftiger als noch zu Beginn der 1990er Jahre. Dann ist auch heute noch die Freiwillige Feuerwehr mit schwerem Rettungsgerät gefragt. Und der Begriff „schweres Rettungsgerät“ hat seine Berechtigung.
Feuerwehren, die heute mit 20 Jahre alten und älteren hydraulischen Rettungsgeräten auf dem Einsatzfahrzeug anrücken, können bei Unfallwagen der aktuellen Generation gewissermaßen gleich mit der Nagelschere arbeiten. Die Wirkung könnte dieselbe sein. Denn gehärteter Stahl an den Sicherheitsfahrgastzellen erfordert modernste Rettungstechnik.
Das Kreisausbildungsteam „Technische Hilfeleistung“ führte nun an zwei Samstagen ein weiteres Seminar mit dem Themenschwerpunkt „Technische Hilfeleistung bei Verkehrsunfällen“ durch. Die 19 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem gesamten Kreisgebiet erwartete ein umfangreiches Schulungsprogramm, welches Seminarleiter Alexander Roßkopf (Feuerwehr Hüffelsheim und Berufsfeuerwehr Mainz) mit den Kreisausbildern Rouven Ginz (stellvertretender Wehrleiter VG Rüdesheim) und Fabian Trarbach (Feuerwehr Stadt Bad Kreuznach – Löschbezirk Süd und Berufsfeuerwehr Frankfurt am Main) vorbereitet hatte. Das Ziel des praxisorientierten Seminars ist es, den Teilnehmern die Kniffs und Tricks für die Entklemmung der in ihrem Fahrzeugwrack eingeklemmten Patienten sowie den damit verbundenen sicheren Umgang mit den hydraulischen Rettungsgeräten anzueignen. Hierfür hatte die Firma Schumacher unentgeltlich vier Fahrzeuge zur Verfügung gestellt, an denen sich die Teilnehmerin und die Teilnehmer im Umgang mit Schere, Spreizer, Rettungszylinder, Säbelsäge und Halligan-Toll austoben konnten und Sicherheit in der Bedienung der Geräte bekamen.
Bevor die Fahrzeuge fachgerecht filetiert wurden, vermittelte Alexander Roßkopf am ersten Lehrgangstag im theoretischen Teil die Aufgaben der einzelnen Einsatzkräfte und stellte die Standard-Einsatz-Regeln bei Verkehrsunfällen vor.
- Oberstes Ziel bei der Patientenrettung aus Unfallfahrzeugen ist die Einhaltung der sogenannten „Goldenen Stunde“. Diese Zeit sollte maximal vom Unfallgeschehen über die Alarmierung der Feuerwehr sowie des Rettungsdienstes, der Befreiung der Unfallopfer bis zum Transport in ein Krankenhaus vergehen.
Themenschwerpunkte waren die Erkundung des Unfallfahrzeugs und die mit der modernen Fahrzeugtechnik verbundenen Schwierigkeiten bei der Befreiung der Unfallopfer durch die Feuerwehr. So lernten die Retter, dass selbst ein neues Fahrzeug der Kompaktklasse mittlerweile über eine umfangreiche Airbagausstattung und mehrere Batterien verfügt. Sollten sich die Airbags bei einem Aufprall nicht öffnen, stellen diese eine nicht unerhebliche Gefahr für die Einsatzkräfte dar.
- Hier hilft die 90-60-30-Regel. Was wie die Maße von Heidi Klums nächstem „Germanys Next Topmodel“ klingt, sind die Sicherheitsabstände, die alle Rettungskräfte von nicht ausgelösten Airbags einzuhalten haben: 90 Zentimeter von nicht ausgelösten Beifahrer-Airbags, 60 Zentimeter vom Fahrer- und 30 Zentimeter von Kopf- und Seitenairbags.
Um die meist in mehrfacher Anzahl in Fahrzeugen verbauten Batterien kümmert sich die Feuerwehr heute nicht mehr. Sie stellt den Brandschutz sicher, um hier eine Brandgefahr für alle Beteiligten auszuschließen. Zudem schickt die Feuerwehr einen „Inneren Retter“ ins Unfallauto, der das Fahrzeuginnere genau erkundet.
Die Teilnehmer wissen jetzt, dass die Rettungsmaßnahmen zur endgültigen Befreiung der eingeklemmten Person eine regelmäßige Absprache mit dem Notarzt und dem Rettungsdienst erfordern. Weitere Ausbildungsinhalte waren Schneid- und Spreiztechniken sowie die sichere Abstützung verunfallter Fahrzeuge.
Der theoretische Ausbildungspart am zweiten Lehrgangstag widmete sich den alternativen Fahrzeugantrieben. Reine Elektroautos und Hybridfahrzeuge, die sowohl über einen Antrieb über den bewährten Verbrennungsmotor als auch über einen Elektromotor verfügen, sind im Landkreis Bad Kreuznach mittlerweile ebenso regelmäßig anzutreffen wie Fahrzeuge mit Erd- oder Flüssiggasantrieb.
Ist die Karosserie bei diesem Wagen kaum von den konventionell angetriebenen Fahrzeugen zu unterscheiden, so ergeben sich für die Feuerwehren bei einem Unfall oder einem Fahrzeugbrand teilweise gravierende Unterschiede zum „normalen“ Pkw. So verfügen Elektro- und Hybridfahrzeuge über Hochvolt-Batterien und Stromleitungen, von denen für die Einsatzkräfte eine Gefahr ausgehen könnte. Rouven Ginz sensibilisierte die Aktiven für technische Hilfeleistungs- und Brandeinsätze bei Fahrzeugen mit alternativen Antrieben. Als Anschauungsobjekt hatte er ein Dienstfahrzeug mit Hybridantrieb mitgebracht. An dem Kompaktvan wurden die markanten Unterschiede zum Verbrennungsmotor erläutert.
Im praktischen Teil des Seminars setzten die Teilnehmer an den beiden Samstagen das in der Theorie Erlernte selbst um. Zur Ergänzung der persönlichen Schutzausrüstung beschaffte der Landkreis Bad Kreuznach für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer Schutzbrillen und Mundschutzmasken, die sie vor herumfliegenden Glas- und Metallsplittern schützten. Die Ausbilder stellten auf dem Gelände des Feuerwehrgerätehauses in Hüffelsheim vier typische Unfallszenarien dar.
Zu Beginn zeigten die Ausbilder, wie eine Geräteablage mit allen notwendigen Einsatzmitteln für Verkehrsunfälle aufgebaut werden kann. Die richtige Handhabung und die Bedienung der Rettungsgeräte war ein wichtiger Seminarinhalt, um die Geräte im Einsatz sicher bedienen zu können.
Ausbilder Fabian Trarbach leitete die Teilnehmer an der ersten Station an, wie die Rettung eines Unfallopfers aus einem Fahrzeug erfolgen kann, das in einen schweren Seitenaufprall verwickelt wurde. Nach Schaffung einer Zugangsöffnung für den inneren Retter sorgten die Aktiven für eine Versorgungsöffnung. Durch diese können der Notarzt und der Rettungsdienst den Patienten sprichwörtlich versorgen. Befreiung der eingeklemmten Patienten wurde unter anderem durch eine große Seitenöffnung ermöglicht, bei der die vordere Tür mit B-Säule und hinterer Tür zusammen entfernt und der Patient mit einem Rettungsbrett befreit wird. Das Öffnen des Daches und das Hochdrücken des Armaturenbrettes mit dem Spreizer über ein Fußraumfenster wurde als weitere Möglichkeit geübt.
Die zweite Station stellte ein auf die Beifahrerseite umgestürztes Unfallfahrzeug dar. Unter Anleitung von Rouven Ginz sicherten die Einsatzkräfte das auf der Seite liegende Fahrzeug mit Leitern, Spanngurten, Holzblöcken und Schläuchen gegen Umfallen, stabilisierten den Patienten auf einem Rettungsbrett, öffneten mit Halligan- Tool und Säbelsäge das Fahrzeugdach als Versorgungsöffnung und klappten nach Schnitten mit der Schere in die Säulen das Fahrzeugdach zur Seite, um den Patienten aus dem Auto befreien zu können.
Station 3 sah die Entklemmung eines Patienten vor, der in seinem Kleinwagen auf Hilfe wartete. Alexander Roßkopf hatte seine Mannschaft hierzu einen Zugang über die Heckklappe schaffen lassen und die Karosserie für den Patienten durch „Tunnelung“ geweitet. Dabei wurde die Dachpartie im Heckbereich des Unfallwagens mit Schere und Spreizer wie eine Fischdose geöffnet.
Fabian Trarbach demonstrierte den Teilnehmern, wie ein auf dem Dach liegendes Fahrzeug stabilisiert wird. Begeistert waren die Teilnehmer vom Abstützsystem „Stab Fast“, mit dem das auf dem Dach liegende Fahrzeug gegen unbeabsichtigtes Bewegen gesichert wird. Zur Rettung des Verunfallten wurde die Heckklappe mit dem Spreizer entfernt, die eingeklemmten Beine befreit und das Dach abgeschnitten, um den Patienten wie auf einem Schlitten zu befreien.
Die Teilnehmer kamen bei den Rettungsarbeiten bei sommerlichen Temperaturen ordentlich ins Schwitzen und lernten auch, dass Feuerwehr landläufig zwar mit Heldentum verglichen wird, das aber bei der technischen Unfallhilfe nicht angebracht ist, da hier körperlich schwere Arbeit geleistet werden muss und ein regelmäßiger Kräfteaustausch sinnvoll ist. Lehrgangsleiter Alexander Roßkopf und sein Team waren wie die Teilnehmer mit den Seminarinhalten und dem Ablauf sehr zufrieden.