„Nicht einfach zuhause bleiben“ – Arbeitsrecht in Zeiten von Corona

Prof. Dr. Wedde von der Frankfurt UAS nimmt Stellung zu aktuellen Fragen von Beschäftigten

Frankfurt am Main – Die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben unmittelbaren Einfluss auf die Arbeitswelt und die Beschäftigten. Die Anordnung von Home-Office (wo möglich), die Ausdünnung von Belegschaften und sogar die Einstellung der Produktion wie in der Automobilindustrie verändern derzeit das Arbeitsleben.

Eltern, die weiterhin im Betrieb arbeiten müssen, haben ein Betreuungsproblem, weil Kitas und Schulen geschlossen sind. In dieser Situation stellen sich viele Fragen aus arbeitsrechtlicher Sicht – wie etwa der nach der Fortzahlung des Entgelts, wenn Arbeitgeber die Einstellung der Arbeit verfügen. Der Arbeitsrechtler Prof. Dr. Peter Wedde von der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) ordnet die Fakten.

„Die Frage nach der Fortzahlung des Entgelts bei einer Beschränkung der Arbeit oder einer Schließung des Betriebs für Arbeitnehmer lässt sich aus juristischer Sicht relativ einfach bearbeiten“, sagt Wedde. „Entscheidet ein Arbeitgeber, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund der Corona-Krise weniger oder gar nicht mehr arbeiten sollen, ist der entsprechende Arbeitsausfall Teil des von ihm nach § 615 BGB zu tragenden Betriebsrisikos. Deshalb muss er seinen Beschäftigten das Gehalt weiterhin bezahlen. Etwas anderes gilt, wenn er Kurzarbeit anmeldet. Dann können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld nach den Regeln der §§ 95 ff. SGB III erhalten. Allerdings bleibt das deutlich hinter dem normalen Gehalt zurück.“ Entscheidet nicht der Arbeitgeber über eine Einstellung der Arbeit, sondern müssen erkrankte Beschäftigte in Quarantäne, erhalten sie laut Wedde für diese Zeit nach den Regeln des § 56 Bundesinfektionsschutzgesetz eine staatliche Entschädigung, die über ihren Arbeitgeber ausgezahlt wird. Diesem werden die entsprechenden Aufwendungen von der öffentlichen Hand erstattet. „Dies setzt jedoch eine staatliche Anordnung der Quarantäne voraus“, betont Wedde.

Sind Arbeitnehmer/-innen mit dem Corona-Virus infiziert, ist die Frage der Fortzahlung des Gehalts juristisch eindeutig. „Wird eine akute Corona-Infektion und damit eine Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt, haben die Betroffenen für die Dauer von sechs Wochen nach den Regeln des Entgeltfortzahlungsgesetzes einen Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung gegen ihren Arbeitgeber. Ab der siebten Krankheitswoche besteht ein Anspruch auf Krankengeld gegenüber der Krankenkasse.“ Erfolgt Arbeit auf Bitte des Arbeitgebers aus der privaten Wohnung, sind Arbeitnehmer/-innen dabei genauso gestellt und versichert wie bei betrieblicher Tätigkeit. „Die sogenannte Telearbeit ist arbeits- und sozialrechtlich wie betriebliche Arbeit zu behandeln. Das bedeutet insbesondere, dass die Beschäftigten im Fall von Arbeitsunfällen genauso versichert sind wie im Betrieb. Entstehen ihnen durch die häusliche Arbeit Kosten, etwa aufgrund einer höheren Energierechnung, muss der Arbeitgeber diese erstatten. Hier sind pauschale Regelungen sinnvoll.“

Viele Beschäftigte müssen weiterhin an ihren Arbeitsplatz in Betrieb oder Dienststelle kommen. Haben sie Kinder, ist deren Betreuung nach der Schließung von Kindergärten und Schulen vielfach ein Problem. Zahlreichen Eltern bleibt nichts anderes übrig, als ebenfalls zu Hause zu bleiben. Werden sie dennoch weiterbezahlt? „Kinderbetreuung fällt in die persönliche Risikosphäre von Beschäftigten. Arbeitgeber müssen für diese Zeiten im Regelfall das Gehalt nicht weiterzahlen, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deswegen keine Arbeit leisten können. Für die Erstattung zusätzlich anfallender Betreuungskosten gibt es ebenfalls keine gesetzliche Grundlage“, stellt Wedde klar. „Etwas anderes kann nach den Regeln des § 616 BGB gelten, wenn ein Kind krank ist und deshalb von einem Elternteil betreut werden muss. Dieses kann dann bis zu zehn Tage im Jahr bezahlt der Arbeit fernbleiben. Liegt keine Erkrankung vor, scheidet die Anwendung von § 616 BGB auf die Fälle notwendiger Kinderbetreuung schon deshalb aus, weil es sich nicht um einen persönlichen Grund handelt, sondern eine Ursache, die alle Berufstätigen mit Erziehungspflichten gleichermaßen trifft.“

Für viele Beschäftigte entsteht dadurch eine sehr schwierige Situation: „Betroffene Eltern können versuchen, entsprechende Abwesenheiten durch Urlaubstage oder ein eventuell vorhandenes Plus in der persönlichen Gleitzeitbilanz auszugleichen. Gibt es diese Möglichkeiten nicht, können Beschäftigte mit dem Arbeitgeber über eine unbezahlte Freistellung verhandeln“, rät Wedde. Er warnt: „Keine gute Idee wäre es, einfach nicht mehr zur Arbeit zu erscheinen. Das würde den Arbeitgeber zur Kündigung wegen Arbeitsverweigerung berechtigten. Gleiches gilt für eine individuelle Krankmeldung, obwohl gar keine Erkrankung vorliegt.“


Zur Person:

Prof. Dr. Peter Wedde ist Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört das individuelle und kollektive Arbeitsrecht sowie Daten- und Beschäftigtendatenschutz. Er ist Herausgeber von juristischen Fachkommentaren zum gesamten Individualarbeitsrecht, zum Betriebsverfassungs- und zum Datenschutzrecht sowie Autor zahlreicher Buch- und Zeitschriftenbeiträge und Onlinepublikationen. Als Referent vertritt er seine Schwerpunktthemen regelmäßig auf Fachkonferenzen und in Praxisforen.