Eingliederung der Verbandsgemeinde Maikammer verfassungswidrig – Grundsätzegesetz hingegen bestätigt

Kommunale Gebietsreform

Koblenz / Edenkoben / Maikammer – Das Landesgesetz über die Eingliederung der Verbandsgemeinde Maikammer in die Verbandsgemeinde Edenkoben ist mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie der Landesverfassung unvereinbar und damit nichtig. Das Landesgesetz über die Grundsätze der Kommunal- und Verwaltungsreform, das die Kriterien für eine Änderung der Gebietsstrukturen festlegt, ist hingegen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies entschied der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz. Es ist die erste Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in einem der insgesamt neun bei ihm anhängigen Verfahren, die die vom Landtag Rheinland-Pfalz im Dezember 2013 beschlossenen kommunalen Gebietsänderungen betreffen.

I.

Die Verbandsgemeinde Maikammer wurde im Rahmen der kommunalen Gebietsreform durch Gesetz zum 1. Juli 2014 in die Verbandsgemeinde Edenkoben eingegliedert. Das Ziel und die Grundsätze der Reform hatte der Gesetzgeber zuvor in einem separaten Gesetz, dem Landesgesetz über die Grundsätze der Kommunal- und Verwaltungsreform (im Folgenden: Grundsätzegesetz) festgelegt. Danach sollen unter anderem die Leistungsfähigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit und die Verwaltungskraft der verbandsfreien Gemeinden und der Verbandsgemeinden durch Gebietsänderungen verbessert werden. Von einer ausreichenden Leistungsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Verwaltungskraft geht das Gesetz in der Regel bei Verbandsgemeinden mit mindestens 12.000 Einwohnern aus. Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 des Grundsätzegesetzes können aus besonderen Gründen Unterschreitungen der Mindestgrößen unbeachtlich sein, wenn die verbandsfreien Gemeinden und die Verbandsgemeinden die Gewähr dafür bieten, langfristig die eigenen und übertragenen Aufgaben in fachlich hoher Qualität, wirtschaftlich sowie bürger-, sach- und ortsnah wahrzunehmen.

Gegen ihre Auflösung und Eingliederung in die Verbandsgemeinde Edenkoben wandte sich die Verbandsgemeinde Maikammer mit einem kommunalen Normenkontrollantrag an den Verfassungsgerichtshof und machte geltend, in ihrer kommunalen Selbstverwaltungsgarantie verletzt zu sein. 

II.

Der Antrag hatte Erfolg.

Das Eingliederungsgesetz verletze die Antragstellerin in ihrer in der Verfassung für Rheinland-Pfalz verankerten kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie verlange bei einer Auflösung und Eingliederung von Verbandsgemeinden und Gemeinden, dass die betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften angehört würden und der Eingriff dem Gemeinwohl diene. Letzteres könne hier nicht festgestellt werden.

1. Zwar sei die Antragstellerin ausreichend angehört worden. Insbesondere sei die ihr eingeräumte Frist zur schriftlichen Stellungnahme von etwa zwei Monaten unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände des Einzelfalls im Ergebnis ausreichend gewesen, auch wenn der überwiegende Teil des Fristenlaufs in die rheinland-pfälzischen Sommerferien gefallen sei. Der Antragstellerin sei nämlich die Absicht der Landesregierung zur Eingliederung ihres Gemeindegebiets in eine andere Verbandsgemeinde bereits seit mehreren Jahren bekannt gewesen. Außerdem habe sie, vertreten durch ihren Bürgermeister, die Möglichkeit gehabt, ihren Standpunkt zum Gesetzesentwurf noch einmal vor dem Innenausschuss des Landtages darzulegen und auf Fragen der Abgeordneten zu antworten. Ein Akteneinsichtsrecht, wie es die Antragstellerin geltend gemacht hatte, werde hingegen von der bei einer Gebietsreform verfassungsrechtlich gebotenen Anhörung nicht umfasst.

2. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass die Auflösung der Antragstellerin dem Gemeinwohl diene.

a) Das Eingliederungsgesetz sei verfassungswidrig. Denn der Gesetzgeber habe gegen das Gebot der Systemgerechtigkeit verstoßen. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass die Antragstellerin die Kriterien erfülle, die im Gutachten zur Überprüfung der Leistungsfähigkeit von verbandsfreien Gemeinden und Verbandsgemeinden gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 des Grundsätzegesetzes zugrunde gelegt worden seien. Er habe ihr ausweislich der Gesetzesbegründung eine dauerhafte Leistungsfähigkeit im Sinne dieser Bestimmung attestiert. Gleichwohl habe er die Antragstellerin im Ergebnis – unter Heranziehung anderer als der ansonsten zugrunde gelegten Kriterien – nicht als dauerhaft leistungsfähig angesehen und anhand dessen für sie einen eigenen Gebietsänderungsbedarf bejaht. Damit habe er sich von seinem Ausnahmesystem, wie es im Grundsätzegesetz und den herangezogenen Kriterien des Gutachtens zum Ausdruck komme, gelöst. Eine hinreichend tragfähige Begründung hierfür fehle jedoch. Der Gesetzgeber bescheinige der Antragstellerin im Landesvergleich vor allem eine gute Wirtschafts- und Finanzkraft sowie eine deutlich unterdurchschnittliche Verschuldung. Diesen guten Werten stelle der Gesetzgeber in erster Linie eine fehlende Sonderstellung der Antragstellerin in der Region Rheinpfalz, innerhalb des Landkreises Südliche Weinstraße und im Vergleich mit den Verbandsgemeinden gleicher Größenklassen gegenüber. Es erschließe sich jedoch nicht, weshalb es sich hierbei um einen geeigneten Vergleichsmaßstab handeln solle. Es sei maßgeblich in Rechnung zu stellen, dass die Neugliederung der verbandsfreien Gemeinden und Verbandsgemeinden landesweit durchgeführt werde. Die Berücksichtigung regionaler oder gar landkreisinterner Verhältnisse bei der Beurteilung der dauerhaften Leistungsfähigkeit einer kommunalen Gebietskörperschaft sei im Grundsätzegesetz nicht angelegt und erscheine im Übrigen bei einer landesweiten Reform auch nicht sachgerecht. Soweit der Gesetzgeber mit dem Eingliederungsgesetz auf das Ziel einer Nivellierung gebietlicher Disparitäten verweise, finde dies im Grundsätzegesetz keine Stütze. Die Angleichung von Einwohnerzahlen oder Flächengrößen von Verbandsgemeinden sei dort nicht als eigenständiges, von der bezweckten Stärkung der Leistungsfähigkeit unabhängiges Ziel ausgewiesen.

b) Allerdings verfolge der Gesetzgeber mit der Gebietsreform ein verfassungsrechtlich legitimes, am öffentlichen Wohl orientiertes Ziel. Auch begegneten das Leitbild und die Leitlinien des Grundsätzegesetzes und damit dieses selbst keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Gebietsreformen unter Zugrundlegung von Mindesteinwohnerzahlen für Verbandsgemeinden seien zur Erreichung des Reformziels nicht offensichtlich ungeeignet. Dies gelte auch, soweit das Grundsätzegesetz eine Regelmindestgröße von 12.000 Einwohnern für Verbandsgemeinden vorsehe. Die Ausnahmeregelung in § 2 Abs. 3 Satz 2 des Grundsätzegesetzes sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass kein eigener Gebietsänderungsbedarf vorliege, wenn der Gesetzgeber die betroffene verbandsfreie Gemeinde bzw. Verbandsgemeinde als dauerhaft leistungsfähig im Sinne dieser Bestimmung beurteile. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei ferner, dass der Gesetzgeber die Gebietsreform in einem ersten Schritt zunächst auf die verbandsfreien Gemeinden und Verbandsgemeinden unter weitgehender Beibehaltung der Kreisgrenzen beschränkt habe. Die Verfassung stehe einem stufenweisen Vorgehen des Gesetzgebers im Rahmen von Gebietsreformen nicht entgegen. Die Grenze gesetzgeberischen Ermessens sei erst dann überschritten, wenn sich die beabsichtigte Gebietsreform als offensichtlich ungeeignet erweise, die Ziele des Gesetzgebers in absehbarer Zeit zu fördern. Dass die hier angestrebte Stärkung der Leistungsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Verwaltungskraft der verbandsfreien Gemeinden und Verbandsgemeinden bereits deswegen ausgeschlossen wäre, weil der Gesetzgeber im Anschluss an die derzeitigen Reformen eine Kreisgebietsreform plane und für die jetzige Reform auf der Ebene der verbandsfreien Gemeinden und Verbandsgemeinden grundsätzlich eine Bindung an die derzeitigen Kreisgrenzen vorsehe, sei nicht ersichtlich und behaupte auch die Antragstellerin nicht.

3. Da die Antragstellerin derzeit über keinen eigenen Verbandsgemeinderat verfügt, hat der Verfassungsgerichtshof angeordnet, dass sie bis zu einer Neuwahl durch den aufgrund der Wahl vom 7. Juni 2009 gewählten Rat verwaltet wird und eine Neuwahl bis spätestens zum 31. Januar 2016 zu erfolgen hat. Das Amt des im Jahr 2009 gewählten hauptamtlichen Bürgermeisters der Antragstellerin lebe automatisch wieder auf, da dessen Amtszeit noch nicht abgelaufen sei. Eine Ungültigerklärung der Wahl des Verbandsgemeinderates und des Bürgermeisters von Edenkoben durch den Verfassungsgerichtshof scheide hingegen aus. Die Ungültigkeit einer Wahl ergebe sich grundsätzlich nicht aus einer in einem Normenkontrollverfahren festgestellten Verfassungswidrigkeit des Wahlgesetzes bzw. der den Wahlvorgang betreffenden Vorschriften, sondern bleibe dem Wahlprüfungsverfahren vorbehalten. Eine Ungültigerklärung der Wahl durch den Verfassungsgerichtshof sei allenfalls dann geboten, wenn der Kreis der Wahlberechtigten zu mehr als einem Drittel fehlerhaft bestimmt worden sei. Da dies hier nicht der Fall gewesen sei, obliege die Entscheidung hinsichtlich einer Neuwahl für den Rat und den Bürgermeister der Verbandsgemeinde Edenkoben vorrangig dem Gesetzgeber.

Urteil vom 8. Juni 2015, Aktenzeichen: VGH N 18/14