Mainz – Auch die traditionelle Geburtstagsfeier des Landes Rheinland-Pfalz und seiner Verfassung am 18. Mai musste in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie in einem gänzlich anderen Rahmen stattfinden.
In diesem Jahr lud Landtagspräsident Hendrik Hering zu einer Talkrunde mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer, dem Politikwissenschaftler Professor Karl-Rudolf Korte, dem Historiker Dr. Maximilian Kutzner und der Zeitzeugin Barbara Große ein. Die Veranstaltung wurde live aus der Steinhalle des Mainzer Landesmuseums über die Homepage www.landtag.rlp.de gestreamt und ist als Aufzeichnung abrufbar.
Der diesjährige Verfassungstag stand im Zeichen des 30-jährigen Jubiläums der Wiedervereinigung Deutschlands. „Aus einem geteilten Deutschland wurde wieder eins, es ging um die Wiedererlangung der Freiheit und demokratische Grundwerte sind erstritten worden. Diese Diskussion bleibt aktuell“, sagte Landtagspräsident Hendrik Hering. „Wir haben in den vergangenen 30 Jahren unglaublich viel gemeinsam erreicht. Ost- und Westdeutschland sind zusammengewachsen und tun es weiterhin. Gleichwohl müssen wir gemeinsam neue Aufgaben bewältigen. Das geht nur miteinander und nicht gegeneinander“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer. In der Talkrunde ging es um einen Rückblick auf die Vergangenheit, um Solidarität und Besonnenheit, um die Äußerung von Kritik und Protest und um die Lehren, die die Politik aus Vergangenheit und Gegenwart ziehen muss. Moderiert wurde der Talk von Daniela Schick vom SWR. Die Veranstaltung wurde von einer szenischen Lesung des Theaterstücks „wie viel mensch …? -Gedanken und Briefe aus dem Jahr 1989“ des Autors Mathias Wienecke, dargestellt von dem Schauspieler Martin Bertram, umrahmt.
Teils leere Regale, lange Schlangen vor Geschäften, keine Reisefreiheit – was viele Menschen in der Corona-Krise erstmals als Entbehrung erlebten, sei Alltag für Millionen Menschen in der früheren DDR gewesen, sagte Hendrik Hering. Die gegenwärtigen Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die tief in die Grundrechte jedes einzelnen eingriffen, aber auch die Diskussion um Lockerungen unterstreiche, dass die Politik täglich die Notwendigkeit derartiger Maßnahmen begründen müsse. „Die Vergleiche jedoch, die teilweise aktuell angestellt werden und die darauf abzielen, dass wir durch die Einschränkung unserer Grundrechte in eine Diktatur abgleiten, sind für mich absurd“, betonte der Landtagspräsident. Die Einschränkungen beruhten nicht auf Willkür oder zum staatlichen Machterhalt, sondern dienten dem Schutz der Bürgerinnen und Bürgern. Sie seien temporär und müssten der gerichtlichen wie auch der parlamentarischen Kontrolle standhalten. Die Menschen zeigten in dieser Krise Verantwortungsbewusstsein und Solidarität: „Werte, die eine freiheitliche Verfassungsordnung tragen“, so der Landtagspräsident. Gerade in einer Krisensituation sei es wichtig, sich auf die Grundprinzipien der Verfassung zu besinnen.
„Die Gesellschaft braucht ihre Grundfreiheiten wie die Luft zum Atmen“, betonte Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Bei allen Entscheidungen stehe der Gesundheitsschutz der Menschen für die Landesregierung an erster Stelle. Nur dieses hohe Gute rechtfertige die massiven Eingriffe in Grundrechte, in das wirtschaftliche und soziale Leben. „Meines Erachtens ist es uns gemeinsam gut gelungen, die Balance zwischen dem Schutz der Bevölkerung, den massiven Einschränkungen der Freiheitsrechte sowie den nun möglichen Lockerungen zu finden“, so die Ministerpräsidentin. In der Krise werde deutlich, wie wichtig Zusammenhalt und Solidarität für ein gutes Leben und ein starkes Land seien. Das sei die Grunderfahrung von Rheinland-Pfalz seit seiner Gründung vor 73 Jahren.
Professor Dr. Karl-Rudolf Korte bewertete die Zeit zwischen dem Mauerfall und der Wiedervereinigung aus politikwissenschaftlicher Sicht, erläuterte was in dieser Zeit sowohl im Osten als auch im Westen geschehen ist und wer in den vergangenen 30 Jahren seine Interessen durchsetzen konnte. Historiker Maximilian Kutzner legte seinen Fokus auf die Generationen, die nach der Wiedervereinigung geboren wurden und für die im Rahmen einer funktionierenden Erinnerungskultur ein Bewusstsein für die DDR und das während der DDR-Zeit geschehene Unrecht geschaffen werden sollte. In einem aufgezeichneten Interview berichtete die Zeitzeugin Barbara Große über ihre Erfahrungen als frühere DDR-Bürgerin in der SED-Diktatur und die Repressalien und Bürden, die sie aufnehmen musste, um die DDR verlassen und in Freiheit leben zu können. Sie wohnt mittlerweile in Mainz.