Mannheim – Der Gewinner des Hauptpreises in San Sebastián, heiß ersehnte Filme aus Italien, Frankreich und Großbritannien sowie zwei Weltpremieren aus Brasilien und Argentinien: Das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg (IFFMH) verkündet erste Filme der Hauptsektionen seiner 70. Ausgabe.
Die Opening Night bestreitet Dina Amer mit dem offiziellen Eröffnungsfilm ›You resemble me‹ (›Tu me ressembles‹). In der ägyptisch-französisch-US-amerikanischen Koproduktion spürt sie dem Traum vom selbstbestimmten Leben nach. Ein Mädchen flieht von zu Hause, wird erwachsen, droht sich zu verlieren.
Dina Amer hat als Journalistin für CNN, The New York Times und Vice gearbeitet. 2011 zog sie nach Ägypten, erlebte dort den Arabischen Frühling und produzierte den Oscar-nominierten Dokumentarfilm ›Al Midan‹. Spike Lee und Spike Jonze gehören zu den Produzenten ihres Spielfilmdebüts ›You Resemble Me‹, einem fulminanten Plädoyer gegen Vorurteile.
Der Wettbewerb ON THE RISE ist das traditionelle Herzstück des Festivals und präsentiert erste bis dritte Werke herausragender Filmtalente. In dem mit über 50.000 Euro dotierten Wettbewerb konkurrieren insgesamt 16 Filme aus 21 Ländern.
Darunter ›Blue Moon‹ (›Crai Nou‹), das gerade in San Sebastián mit der goldenen Muschel ausgezeichnete Regiedebüt der rumänischen Schauspielerin Alina Grigore. Im Zentrum des Films steht die mit ihrer Großfamilie auf dem Land lebende Irina. Sie träumt vom Studium in Bukarest und plant den Ausbruch aus der patriarchalen Familienstruktur. Nach Dea Kulumbegashvilis ›Beginning‹ 2020 läuft nun das zweite Jahr in Folge der Gewinner des Hauptpreises von San Sebastián in Mannheim und Heidelberg.
›The Sleeping Negro‹ des Fotografen und Dozenten Skinner Myers ist ein weiteres Regiedebüt. Angelehnt an James Baldwin inszeniert Myers sich selbst in der Hauptrolle einer durch Alltagsrassismus ausgelösten 24-stündigen Existenzkrise.
›To kill the beast‹ (›Matar al la bestia‹) von Agustina San Martín feierte gerade seine Weltpremiere in Toronto. Als Tropical Gothic inszeniert San Martín in ihrem Langfilmdebüt diese visuell überragende Geschichte über weibliches Begehren.
Mit ›Il Buco‹ präsentiert das IFFMH den lange ersehnten neuen Film von Michelangelo Frammartino (›Vier Leben‹, 2010) über eine Expedition von Höhlenforschern in Kalabrien 1961. Irgendwo zwischen dokumentarischer Beobachtung und fiktiver Inszenierung, steigt der Film hinab in ein Reich voller Sinnlichkeit.
Die Produktion von Oleh Sentsovs ›Rhino‹ (›Nosorih‹) musste mehrere Jahre wegen dessen Inhaftierung durch das Putin-Regime aufgeschoben werden, so dass der Film erst kürzlich in Venedig Weltpemiere feierte. In seinem schonungslosen Porträt der Ukraine in den neunziger Jahren blickt Sentsov aus Perspektive eines skrupellosen Verbrechers auf eine in Orientierungslosigkeit und Gewalt versinkende Gesellschaft.
Mit der Weltpremiere von ›The First Fallen‹ präsentiert das IFFMH einen Film über namenlose Helden in einem Krieg, von dem die Welt zu lange nichts wissen wollte. „Trans“ bedeutet im zweiten Spielfilm des Brasilianers Rodrigo de Oliveira ganz wörtlich das Überwinden von Grenzen: zwischen Geschlechtern, zwischen Zeiten, zwischen Fantasie und Wirklichkeit.
In der zweiten Hauptsektion PUSHING THE BOUNDARIES legt das Festival einen Fokus auf innovative Kinovisionen und ergänzt den Wettbewerb um Werke von etablierten Filmschaffenden.
Mit Martín Farias ›El Fulgor‹ läuft eine weitere Weltpremiere: Wie in seinen früheren Filmen inszeniert Faria männliche Körper und queere Gefühle im Grenzbereich von Dokumentarfilm und Fiktion. Als rauschhafte Komposition aus Wirklichkeit und Wahn zelebriert ›El Fulgor‹ lokale Traditionen und menschliche Begierden im argentinischen Karneval.
›Another World‹ (›Un autre monde‹) von Stéphane Brizé gehört zu den meist antizipierten Filmen des Festivalherbstes. Vincent Lindon befindet sich als Top-Manager im moralischen Konflikt: Als er das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit Entlassungen durchsetzen soll, gerät er zwischen die Fronten. In dieser schmerzhaft genauen und eindringlichen Beobachtung eines unmenschlichen Systems brilliert Lindon an der Seite von Sandrine Kiberlain.
Nicht weniger leidenschaftlich erwartet wird Lucile Hadžihalilovićs erster englischsprachiger Film ›Earwig‹, der in San Sebastián den Spezialpreis der Jury erhalten hat und ebenfalls als Deutschland-Premiere auf dem IFFMH zu sehen ist. Das surreale Schauermärchen nach einer Romanvorlage von Fantasyautor und Künstler Brian Catling fühlt sich an wie ein halluzinatorisch-hypnotischer Fiebertraum.
›The Tsugua Diaries‹ (›Diários de Otsoga‹) vereint Maureen Fazendeiro und Miguel Gomes auf dem Regiestuhl. Gemeinsam stellen sie sich die Frage: Wer küsst wen im Corona-Sommer 2020? Dieses filmische Tagebuch folgt einem Trio rückwärts durch die Zeit.
Auch das diesjährige Centre Piece ›Shen Kong‹ von Autor, Regisseur und Schauspieler Chen Guan ist während der Pandemie entstanden und spürt dem Lockdown als Lebensgefühl nach. Dabei folgt er einer leidenschaftlichen Liebesaffäre auf den gespenstisch leeren Straßen einer chinesischen Metropole.
Alle genannten Filme werden beim IFFMH erstmals in Deutschland gezeigt.