Heidelberg: Todesermittlungsverfahren wegen der Amoktat im Neuenheimer Feld vom 24.01.2022 weitgehend abgeschlossen

Symbolbild, Polizeistern Baden-Würtemberg

Staatsanwaltschaft Heidelberg leitet Ermittlungsverfahren gegen Wiener
Waffenhändler und dessen Mitarbeiter ein. Das Todesermittlungsverfahren der
Staatsanwaltschaft Heidelberg auf Grund der Amoktat vom 24.01.2022, bei der ein
18 Jahre alter Student in einem Hörsaal der Universität Heidelberg im
Neuenheimer Feld mit zwei Langwaffen eine 23 Jahre alte Studentin getötet,
insgesamt acht weitere Studierende leicht verletzt und sich anschließend selbst
erschossen hatte (vgl. erste Pressemitteilung vom 24.01.2022), nähert sich dem
Abschluss.

Mit den umfangreichen, akribischen und aufwändigen Ermittlungen der noch am
selben Tag eingerichteten 32-köpfigen Ermittlungsgruppe „Botanik“ der
Kriminalpolizeidirektion Heidelberg und der Staatsanwaltschaft Heidelberg (vgl.
zu den ersten Ergebnissen dieser Ermittlungen die zweite Pressemitteilung vom
26.01.2022) wurden die Amoktat und ihre Hintergründe so weit wie möglich
aufgeklärt.

Die Ermittlungsergebnisse erlauben nunmehr die Feststellung, dass der
verstorbene 18 Jahre alte Mann, ein Einzelgänger ohne soziale Bindungen zu
seinen Mitstudierenden, am Tattag mit zwei Langwaffen in einer Sporttasche in
einem Taxi von seiner Wohnung in Mannheim ins Neuenheimer Feld in Heidelberg
fuhr. Er handelte bei der Amoktat allein. Es gab keine Mittäter, bewussten
Helfer oder Anstifter. Hinweise für sonstige Mitwisser, die der Verstorbene in
seinen Tatplan eingeweiht hätte, fanden sich ebenfalls keine.

Das Tatmotiv konnte nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden. Indes spricht
einiges dafür, dass der Täter sich mit der Amoktat für eine in seiner
Vorstellungwelt erlittene Kränkung hatte rächen wollen:

Im Zeitraum 2018 bis Anfang 2020 hatte sich der verstorbene Täter in ambulanter
psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung befunden. In der zweiten
Hälfte des Jahres 2018 war er für mehrere Wochen und Anfang 2019 für einige Tage
stationär psychiatrisch behandelt worden. Für die Aufnahme in das Krankenhaus
hatten jeweils akute Suizidvorstellungen oder sogar -versuche des Täters eine
Rolle gespielt. Bei den Entlassungen waren dem Täter unterschiedliche
psychiatrische Störungen bescheinigt worden. Zu diesen hatte – unter anderem –
eine narzisstische Persönlichkeitsstörung gehört, die nach Einschätzung seiner
Behandler mit starker Verminderung des Selbstwertgefühls und der Fähigkeit,
Kritik zu akzeptieren, und folglich starker Steigerung der Kränkbarkeit des
damals 15-jährigen Jugendlichen einhergegangen war.

Nach der ersten Einschätzung eines durch die Staatsanwaltschaft hinzugezogenen
erfahrenen forensischen Psychiaters spricht vieles dafür, dass diese
narzisstische Persönlichkeitsproblematik, die mit einer gesteigerten
Kränkbarkeit, einem „Hass gegen sich selbst“ sowie einem sich hieraus
entwickelndem Hass gegen beliebige andere Personen einhergehen kann, überdauerte
und als maßgeblicher Grund für die Tat angesehen werden kann.

Es erscheint den Ermittlerinnen und Ermittlern plausibel, dass sich der Täter im
Verlauf seines ersten Studiensemesters der Biowissenschaften an der Universität
Heidelberg ab Herbst 2021, für das er im Juli 2021 nach Mannheim gezogen war,
stark gekränkt und grundlegend missverstanden gefühlt haben könnte.
Möglicherweise könnte in dieser – krankheitsbedingt übersteigert wahrgenommenen – Kränkung ein Motiv für die spätere Amoktat zu sehen sein.

Eine persönliche Vorbeziehung des Täters zu der getöteten Studentin, zu den
verletzten oder zu den übrigen bei der Tat im Hörsaal anwesenden Studierenden
konnte ebenso wenig festgestellt werden wie ein konkret durch diese Personen
vermittelter Tatanlass.

Beweismittel, die bei der Durchsuchung der Wohnung des Täters aufgefunden
wurden, lassen auf dessen intensive Befassung mit Videospielen des Typs
„Egoshooter“ schließen. In den Monaten vor der Amoktat fertigte er zunehmend
Screenshots aus seinen Videospielen an, die realistisch aussehende getötete
Menschen zeigen.

Bis zuletzt keine belastbaren Anhaltspunkte haben sich für ein politisches,
namentlich rechtsradikales Tatmotiv ergeben. Nach Abschluss der Ermittlungen ist
davon auszugehen, dass sich der Täter im Jahr 2019 einmalig für eine
Fördermitgliedschaft in der Partei „Der III. Weg“ interessiert, eine solche aber
nie erhalten hatte, und darüber hinaus weder zu dieser Partei noch sonst in die
rechtsradikale Szene Kontakte pflegte. Auch wenn sich noch weitere Hinweise
dafür ergeben haben, dass der Täter als 15- bis 16-Jähriger zeitweilig mit
rechtsextremen Ideologien sympathisiert haben könnte, sind keine Tatsachen
bekannt geworden, die für die Annahme sprächen, dass diese Sympathie Anlass der
Amoktat gewesen sein könnte.

Verschiedene Indizien legen nahe, dass der Mann seine Tat spätestens seit
Dezember 2021 geplant hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach stand bereits am
Beginn der Planungen der Entschluss, sich zur Tatausführung Schusswaffen zu
beschaffen.

Zunächst erwog der Täter wohl, einen Jagdschein zu erwerben, und erkundigte sich
Mitte Dezember im Internet bei einem Anbieter von Jagdausbildung nach dessen
Konditionen. Inwieweit dieses Interesse tatsächlich zeitweise bestand oder
ausschließlich vorgetäuscht wurde, um Waffen zu erwerben, lässt sich nicht mit
letzter Sicherheit sagen.

Ende Dezember 2021 beantragte der Täter einen Studienkredit in Höhe von rund EUR
7.500, der ihm in der Folge auch gewährt wurde. Mit diesen Mitteln bestritt er
später alle für den Erwerb der Schusswaffen erforderlichen Aufwendungen.

Auf den Erwerb von konkreten Waffen gerichtete Bemühungen unternahm der Täter
erstmals Anfang Januar 2022, als er einen privaten Waffenverkäufer aus Wien per
E-Mail kontaktierte. Dieser hatte im Internet eine Jagdwaffe zum Verkauf
inseriert, teilte dem Täter allerdings mit, dass diese längst verkauft sei.
Gleichzeitig bot er ihm eine andere Jagdwaffe aus seinem Bestand zum Kauf an. Im
Verlauf der ersten Januarhälfte wurden die Beteiligten handelseinig. Vereinbart
wurde auf Betreiben des Verkäufers, dass die Übergabe der Waffe in den
Geschäftsräumen eines Waffengeschäfts in Wien erfolgen sollte, in dem der
Privatverkäufer Stammkunde war.

Auch gegenüber den Personen in Österreich, die der Täter wegen des Erwerbes von
Waffen kontaktierte, verschleierte er seine wahren Absichten dadurch, dass er
sich als angehender Jäger ausgab, der Jagdwaffen erwerben wolle.

Zur vereinbarten Übergabe der von dem Privatverkäufer erworbenen Waffe an den
Täter kam es am Nachmittag des 18.01.2022 in den Räumen des von dem Verkäufer
vorgeschlagenen Waffengeschäfts in Wien. Dort hatte der Täter am Mittag
desselben Tags – unmittelbar von dem Waffenhändler – noch eine weitere Waffe
erworben, nämlich die Schrotflinte, mit der der Täter im Anschluss an die Tat
Suizid beging. Diese Schrotflinte wurde ihm am 21.01.2022 in den Räumen des
Waffengeschäfts übergeben. An jenem Tag erwarb er schließlich noch das
Unterhebelrepetiergewehr, mit dem die Schüsse im Hörsaal abgegeben wurden.
Dieses Gewehr wurde ihm zusätzlich zu der Schrotflinte dann sofort ausgehändigt.
Die von dem Privatverkäufer erworbene Waffe beließ der Täter in dem von ihm
angemieteten Hotelzimmer in Wien.

Der Erwerb von Schusswaffen der waffenrechtlichen Kategorie C, welcher alle drei
der vom Täter erworbenen Waffen angehören, ist in Österreich unter einfacheren
Voraussetzungen möglich als in Deutschland. Die nach österreichischem
Waffenrecht geltenden formalen persönlichen Voraussetzungen des Erwerbers wurden
vom Täter erfüllt. Bei der Durchführung des Waffengeschäftes selbst verlangt das
österreichische Recht allerdings auch den Ablauf einer sogenannten „Abkühlphase“
von drei Tagen, die zwischen dem Abschluss des Kaufvertrages über die Waffe und
deren Übergabe an den Käufer liegen muss.

Die Staatsanwaltschaft Heidelberg geht davon aus, dass diese „Abkühlphase“ in
Bezug auf das Unterhebelrepetiergewehr nicht und in Bezug auf die Schrotflinte
nicht vollständig eingehalten wurde. Das österreichische Waffenrecht sieht
allerdings keine Sanktion im Falle eines solchen Verstoßes vor.

Die Staatsanwaltschaft Heidelberg sieht hingegen einen strafrechtlichen
Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung
gegen den Inhaber des Wiener Waffengeschäftes und seinen Mitarbeiter, der den
Täter bediente. Denn bei korrekter Einhaltung der „Abkühlphase“ wäre der Täter
zum Tatzeitpunkt noch nicht im Besitz der beiden Waffen gewesen und hätte die
Amoktat – jedenfalls zur gegebenen Zeit und in der gegebenen Art und Weise –
nicht ausführen können. Die Staatsanwaltschaft Heidelberg hat daher förmliche
Ermittlungsverfahren gegen diese beiden in Österreich wohnhaften Personen
eingeleitet. Ob die insoweit noch andauernden Ermittlungen zu einem für eine
Anklageerhebung hinreichenden Straftatverdacht führen werden, erscheint derzeit
offen. Derzeit gelten die beiden Personen als unschuldig.

Rund um die Amoktat und die möglichen Tatabläufe kursierten in verschiedenen
sozialen Medien falsche Nachrichten. Insgesamt wurden elf dieser „Fakenews“
registriert. Keine dieser Nachrichten ist dem Phänomen „Hate-Speech“ zuzuordnen.
Es wurde lediglich ein Verfahren wegen des Verdachts der Verleumdung
eingeleitet, nachdem eine Person des öffentlichen Lebens als Amokläufer
denunziert wurde.