Mannheim. Die Retrospektive der 71. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg (IFFMH) ist komplett. Kern des IFFMH ist die Entdeckung neuer Regietalente aus der ganzen Welt. Seit 2020 wagt das Festival aber überdies mit einer regelmäßigen Retrospektive einen jährlich wechselnden Blick in die Geschichte des Kinos. Denn auch durch die Wieder- oder gar Neuentdeckung historischer Filme lassen sich die Möglichkeiten des Mediums erkunden. Die Vorgänger rücken die Werke der Gegenwart in einen Kontext.
Für das diesjährige Festival vom 17. bis zum 27. November haben Kurator Hannes Brühwiler und Festivaldirektor Dr. Sascha Keilholz nun ein vermeintlich alltägliches Thema gewählt: die Mode. »Cinema of Splendour – Fashion im Film« lautet 2022 der Titel der Retrospektive des IFFMH. Dieses Thema findet sich auch im neuen zentralen Plakatmotiv des IFFMH wieder, einem im Profil fotografierten weiblichen Model. Ein ikonisches Bild der Filmgeschichte wird hier aufgegriffen, die beobachtete weibliche Gestalt, die in diesem Fall zugleich selbst aktiv zur Beobachterin wird und die Welt aufmerksam und interessiert betrachtet.
Mode im Film Die Mode hat die Filmgeschichte geprägt und zu einigen ihrer schönsten Momenten geführt. Das Kino seinerseits dient seit seinen Anfängen als ein Schaufenster, in dem Kleidung nicht nur als Massenware, sondern auch als Kunstform einem Millionenpublikum präsentiert wird. Generell haben Film und Mode einige Gemeinsamkeiten. Nicht zuletzt sind es die zwei populärsten kommerziellen Industrien, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Bis heute sind sie Ausdruck des modernen Lebens par excellence. Mit Blick auf die ältesten ausgewählten Filme und ihre US-amerikanische Herkunft bemerkenswert ist, dass die frühen Studiobosse Hollywoods nicht selten selbst aus der Bekleidungsindustrie stammten und dort ihr Vermögen verdient hatten. So verwundert es nicht, dass sie der Mode in ihren Filmen große Bedeutung zumaßen. Kino der Attraktionen Eines der zentralen Momente von Filmen, in denen die Mode eine herausragende Rolle spielt, ist die Lust an Exzess und Spektakel. Verbunden ist diese Lust häufig mit einer Unterwanderung der üblichen Rollenbilder. Beobachten lässt sich das schon am historischen Startpunkt der diesjährigen Retrospektive: ›Salomé‹ von Charles Bryant und Alla Nazimova aus dem Jahr 1922, einer rauschhaften Verfilmung von Oscar Wildes gleichnamiger Tragödie. Ohne Rücksicht auf jegliche Form eines erzählerischen Realismus findet das Medium Film hier ganz zu sich: zu einem Kino der Attraktionen. Mit seinen von Natascha Rambova entworfenen Kostümen wirkte ›Salomé‹ für Generationen von Regisseur*innen stilbildend. Die damit einhergehende Extravaganz zeigt sich entsprechend in ›The Women‹ (1939) von George Cukor, u.a. mit Joan Crawford. Schluss- und Höhepunkt ist hier eine Modenschau, die im Unterschied zum restlichen Film in knallbuntem Technicolor gedreht ist. Aber die Verbindungslinien reichen weiter bis zu ›Pink Narcissus‹ (1971), einem Meisterstück des queeren Kinos von Fotograf James Bidgood. Oder auch zu Sally Potters ›Orlando‹ (1992), einem Film über einen androgynen Dichter und Edelmann im frühen 17. Jahrhundert.
Filmübersicht in chronologischer Reihenfolge: Salomé (Charles Bryant und Alla Nazimova, USA 1922) The Women (George Cukor, USA 1939) Falbalas (Jacques Becker, Frankreich 1945) Puzzle of a Downfall Child (Jerry Schatzberg, USA 1970) Pink Narcissus (James Bidgood, USA 1971) Die bitteren Tränen der Petra von Kant (Rainer Werner Fassbinder, BRD 1972) Ludwig (Luchino Visconti, Italien/Deutschland/Frankreich 1973) Picnic at Hanging Rock (Peter Weir, Australien 1975) Orlando (Sally Potter, Vereinigtes Königreich 1992) The Virgin Suicides (Sofia Coppola, USA 1999) Bande de filles (Céline Sciamma, Frankreich 2014) The Handmaiden (Park Chan-wook, Südkorea 2016) Das gesamte Festivalprogramm des IFFMH 2022 wird Ende Oktober veröffentlicht. (Quelle: IFFMH – Filmfestival Mannheim gGmbH / Foto: Hannes Blank) |