Lange Zeit bestimmten Handwerkszünfte, was in Frankfurt hergestellt werden durfte und was nicht. Erst mit der preußischen Annexion entwickelte sich die Industrie in Frankfurt. Thomas Bauer stellt 15 zentrale Unternehmen und ihre Historie im Institut für Stadtgeschichte vor.
Frankfurt ist seit dem Hochmittelalter eine Stadt des Handels und des Gewerbes. Sichtbar wird das heute allein schon durch die vielen Bankenhochhäuser, die der Mainmetropole ihr Gesicht geben. Wolkenkratzer kennzeichnen ihr Bild allerdings erst seit der Nachkriegszeit. Eine neue Ausstellung des Instituts für Stadtgeschichte ruft jetzt in Erinnerung, wie sehr Frankfurt im Verlauf des 19. Jahrhunderts von der Industrialisierung geprägt wurde.
Recht und regionale Voraussetzungen
„Mit Dampf in die Zukunft“ ist seit langer Zeit die erste stadthistorische Ausstellung zum Thema. Kurator Thomas Bauer stellt 15 zentrale Unternehmen anhand von Fotos und auch einige Produkte „made in Frankfurt“ vor. „Frankfurts Weg in die Industrialisierung war ein Besonderer“, erklärt er. Zum einen verfügte es nicht über Bodenschätze wie Städte im Ruhrgebiet. Auch gab es in der eher wohlhabenden Rhein-Main-Region kein riesiges Reservoir günstiger Arbeitskräften, was etwa das Entstehen von Textilindustrie hätte begünstigen können. So bildeten sich nur wenige Schlüsselbranchen heraus: Elektrotechnik, Maschinenbau und Chemie.
Zweiter Faktor, der den Prozess hemmte, waren Bauer zufolge die rechtlichen Rahmenbedingungen. Sie sorgten dafür, dass moderne Massenproduktion in Frankfurt erst ab den 1870er Jahren in Schwung kam. Im Jahr 1864 fiel die alte, von Handwerkszünften dominierte Gewerbeordnung. Sie hatte im Wesentlichen einen regionalen Markt geregelt und Konkurrenz von außen ausgeschlossen. So blieben für Gründer nur wenige neue Nischenbranchen übrig. Oder sie wichen auf Nachbarstädte aus. Bockenheim, Rödelheim, Höchst oder Fechenheim gehörten damals noch nicht zu Frankfurt. Erst nach der Annexion durch Preußen 1866 und der Reichsgründung 1871 erlebte die Stadt das große Wachstum: Zwischen 1875 und 1900 stieg die Einwohnerzahl durch Zuzug und Eingemeindungen von 103.000 auf 289.000 an.
Seifen und Schleifpapiere
Wer die Spuren der im 19. Jahrhundert entstandenen Großbetriebe heute in den inneren Stadtteilen nachvollziehen will, muss sich auskennen. Er muss zum Beispiel wissen, dass der heute als Künstlerhaus genutzte Mousonturm im Ostend das letzte sichtbare Wahrzeichen eines bis Anfang der 1970er Jahre für den Weltmarkt produzierenden Seifen- und Parfümherstellers ist. J. G. Mouson & Co. war bis zu seinem Verkauf 1972 eines der ältesten Traditionsunternehmen der Stadt. Anfang der 1880er Jahre stellten dort 130 Arbeiter täglich etwa 20.000 Stück Seife sowie 3.000 Cremes und Parfums her. Direkt gegenüber haben heute ein Theaterensemble und ein Kabarett ihr Zuhause. Ab 1871 hatte hier der gebürtige Mainzer Julius Pfungst den Schleifscheiben- und Schmirgelpapierhersteller Naxos-Union aufgebaut. Den Namen des Unternehmens verdankte er der gleichnamigen griechischen Insel, wo er sich das Monopol für rohen Schmirgel gesichert hatte.
Gold und Silber
Zentral am nördlichen Mainufer, unweit des Karmeliterklosters, lag früher das Werksgelände der Degussa (Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt). An gleicher Stelle entsteht heute unter dem Namen Maintor-Areal ein neues Mischquartier. 1837 war die Stadt Frankfurt dem süddeutschen Münzverein beigetreten. Plötzlich sah sie sich gezwungen, ihre alte Münzprägeanstalt zu renovieren. Diese Aufgabe übertrug sie dem Darmstädter Friedrich Ernst Roessler, der auch eine Scheideanstalt an die Seite gestellt bekam. Mit der Reichsgründung 1871 sahen sich Roesslers Söhne plötzlich einem gewaltigen Auftragsboom gegenüber, auch weil die außer Kurs gesetzten Münzen der Kleinstaaten plötzlich alle eingeschmolzen, die Metalle geschieden werden mussten. Das Unternehmen wuchs sprunghaft, das Tätigkeitsfeld wurde später auf weitere Edelmetalle und Chemikalien ausgedehnt. Derweil entstanden in Griesheim und Hoechst die Vorläufer der späteren Hoechst AG, in Fechenheim nahm Leopold Casella die Fabrikation von Anilinfarben auf.
Fahrrad und Schreibmaschine
Auch die heute noch am markanten Schriftzug erkennbare alte Konzernzentrale der Adler-Werke im Stadtteil Gallus beherbergt heute Büros, ein Theater und eine Eventagentur. Die von Heinrich Kleyer 1885 gegründete Firma gilt als Wegbereiter der deutschen Fahrrad-, später auch der Autoindustrie. Kleyers unter dem Namen „Adler“ auf den Markt gebrachtes Fahrrad wurde zum Verkaufsschlager. Der Maschinenbauer war seiner Zeit ebenfalls voraus, als er um die Jahrhundertwende als erste Deutscher Schreibmaschinen bauen ließ.
Das sind nur einige Beispiele, die aber zeigen, was ideenreiche Einzelpersonen in dieser Zeit bewegen konnten und wie wenig zum Teil heute an sie erinnert. In der Ausstellung des Instituts für Stadtgeschichte werden diese und weitere Unternehmen vorgestellt: der Landmaschinen-Hersteller Ph. Mayfarth & Co. in Fechenheim, die Kompressoren-Fertigung bei Pokorny & Wittekind Maschinenfabrik oder die Farbwerke vorm. Meister, Lucius & Brüning.
Vorbehalte und Ängste
Der Geist des Neuen erfasste damals breite Massen. Zu einer Leistungsschau der Elektrotechnik-Unternehmen kamen 1891 weit über eine Million Besucher. Damals wie heute war Neuansiedlung von Industrie aber auch mit Vorbehalten und Ängsten der Bevölkerung konfrontiert. Schon die erste Dampfmaschine, 1835 von der Druckerei Heller & Rohm zum Betrieb von Schnelldruckpressen in die Stadt gebracht, sorgte für Unmut wegen zu erwartender Lärmbelästigungen und Feuergefahr. Früh begann der Senat der Stadt deshalb bestimmte Industriegebiete auszuweisen. Sachsenhausen wurde zu einem ersten Kern. Von der Schulstraße aus, wieder fast direkt am Main, schuf der Maschinenbauer Johann Simon Fries den ersten Frankfurter Schwerindustriebetrieb überhaupt. Auch hier waren die Nachbarn besorgt wegen der von der Kesselschmiede hervorgerufenen „Ohrenplage“. Weitere Zentren bildeten sich darauf an der Darmstädter und an der Offenbacher Landstraße. Weil die Brauereien auf dem Sachsenhäuser Berg ideale Lagerbedingungen für ihr Bier fanden, gab es ab Anfang der 1870er Jahre einen wahren Exodus dorthin. So entstand zwischen Grethen- und Wendelsweg sowie von der Geleitstraße bis fast zur Sachsenhäuser Warte Frankfurts größtes Industriegebiet.
Eisenbahn und Schifffahrt
Später wurden neue Fabrikviertel bevorzugt im Westen der Stadt angelegt, in der Nähe des 1888 eröffneten Hauptbahnhofs und in Bockenheim. Früh hatte man in Frankfurt die Bedeutung der Eisenbahn erkannt. Ein Kreis von Bankiers um Simon Moritz von Bethmann hatte schon 1835 eine Eisenbahngesellschaft gegründet. 1840 verknüpfte eine Taunusbahn als erste Linie Frankfurt mit Mainz und dem wichtigen Rheinhafen Wiesbaden-Biebrich. In der Folge entstanden drei Kopfbahnhöfe, die wenig später zugunsten des neuen Hauptbahnhofs verschwanden. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts bildete Frankfurt einen Hauptknotenpunkt des Eisenbahnverkehrs. Auch die Binnenschifffahrt erfuhr einen Schub. Zwischen 1883 und 1886 bekam der Main fünf neue Staustufen und wurde damit auch für große Schiffe befahrbar. Der Osthafen wurde ab 1907 für die Lagerung und Fertigung von Industriegütern erschlossen.
Dampfmaschine und Elektrizität
Als weitere Katalysatoren der Entwicklung wirkten – wie überall im Lande – zunächst die Dampfmaschine, später dann die Elektrizität. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich ein beachtlicher Ring von Fabrikvierteln um die Stadt gelegt, und die Handelskammer stellte befriedigt fest: „Die moderne Entwicklung hat aber jedenfalls gezeigt, dass Frankfurt durch die Hilfe von Kapital und wissenschaftlicher Arbeit eine Industrie von Qualitätswaren zu schaffen vermochte, die weit über das Maß hinausgeht, was man in Frankfurt je für möglich gehalten hat.“
Heute kämpft die Industrie mit Unterstützung der Politik darum, wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein zu kommen. Immer wieder weisen die Verbände darauf hin, dass ein Drittel der Frankfurter Gewerbesteuereinnahmen von Betrieben des produzierenden Gewerbes entrichtet werden. Die Stadt Frankfurt wächst derzeit wieder einmal in beträchtlicher Geschwindigkeit. Wohnungsbau ist zu einem großen Thema geworden. In solchen Zeiten verschärft sich auch wieder die Konkurrenz im Kampf um die verfügbaren Flächen.
„Mit Dampf in die Zukunft. Frankfurts Weg in die Industrialisierung“, 11. November bis 7. Juni im Institut für Stadtgeschichte. Parallel zur Ausstellung ist das gleichnamige Buch von Konrad Schneider erschienen, der für seine frühe Bestandsaufnahme der Industrialisierung in Frankfurt erstmals Aktenbestände aus der 1844 verfügbaren Gewerbestatistik des Deutschen Zollvereins auswertete.