Welchen Blick auf Deutschland hat man von Brasilien aus? Antworten auf diese Frage vorzuschlagen, haben am Mittwochabend im Deutschordensaal der Kreissparkasse Professor Norbert Wehn, Vizepräsident der Technischen Universität (TU) Kaiserslautern, brasilianische Juniorprofessor an der TU, Fabio J.P. Sousa, und TU-Student Caetano Sauer versucht.
Im Rahmen der derzeitigen Veranstaltungsreihe der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft, die mit Fotoausstellung, Konzerten, Vorträgen und Filmen über Brasilien informiert, beleuchteten die Vortragenden nun den Aspekt der Wissenschaft. Auf die wachsende Bedeutung des Verhältnisses der beiden Länder in Bezug auf Politik, Wirtschaft, Kunst und Kultur wies Gastgeber Franz Link, Vorsitzender des Vorstands der Kreissparkasse, in seiner Begrüßung hin.
„Wir sind immer angewiesen auf die Welt“ sagte TU-Vizepräsident Wehn mit Blick auf die demografische Entwicklung zum einen und der Herkunft seiner Studenten aus dem „Waschmaschinenradius“ zum anderen, der bis 100 Kilometer um Kaiserslautern gezogen werden könne und die weiteste Entfernung von der elterlichen Wohnung bezeichnet. Nicht nur die Wirtschaft sondern auch die Wissenschaft spiele sich in einer globalisierten Welt ab, erläuterte Wehn und zählte acht bestehende Kooperationen der TU mit brasilianischen Universitäten auf, wobei die Aktivitäten der so genannten An-Institute wie Fraunhofer, DFKI und andere noch hinzu gerechnet dürften. Insbesondere verbinde die TU und die Universität des brasilianischen Bundesstaates Rio Grande do Sul seit den 1980er Jahren ein Austausch der universitären Lehre. Seit die brasilianische Regierung 2011 ein neues Stipendien-Programm mit dem Ziel, internationalen Austausch der Life Science- und Ingenieurwissenschaften zu fördern, aufgelegt hat, so Wehn, seien an der TU allein im letzten Wintersemester 66 Studienplätze für Studenten aus Brasilien ermöglicht worden.
Es seien „zwei Länder, die sich sehr gut ergänzen, auch wenn sie rund siebentausend Kilometer auseinander liegen“, resümierte der Wissenschaftler Fabio Sousa, der seit 2008 Juniorprofessor im Fachbereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik an der TU ist. „Die Zukunft ist kooperativ“, erwartet Sousa für das Verhältnis beider Länder. Sein Heimatland sei attraktiv, denn es sei, bezogen auf den Altersdurchschnitt, ein junges Volk, das in einem gesicherten politischen System lebe, autonom bei Energieversorgung und innovativ bei industriellen Fertigungen sei, begründete er. Etwa 1,1 Prozent des Bruttoinlandprodukts werde jährlich in Forschung und Entwicklung investiert. Als ein Gradmesser für den Rang der Wissenschaft im internationalen Vergleich wird die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen herangezogen. Danach habe Brasilien in den letzten 30 Jahren enorm aufgeholt und belege mittlerweile den 13. Rang. Gründe seien in der Etablierung von 63 Universitäten modernen Zuschnitts ab den 1950er und 1960er Jahren zu finden, an denen das Studium kostenlos sei.
Des Weiteren wurden staatliche Forschungsförderungsinstitutionen gegründet, ein gebührenfreier Bibliothekenzugang und mit derzeit über 87.000 Plätzen ein umfassendes Stipendiensystem eingeführt. Seit etwa 150 Jahren gebe es deutsch-brasilianische Beziehungen, etwa 1300 deutsche Unternehmen seien derzeit in Brasilien mit eigenen Niederlassungen vor Ort. Aufgrund von Auswanderungswellen weisen heute rund acht Millionen Brasilianer deutsche Vorfahren vor, zirka eine Million sprechen die deutsche Sprache und geschätzte 200.000 Brasilianer haben Deutsch als Muttersprache. Sousa verschwieg aber auch nicht die Schwächen des Bildungssystems. So gebe es ein starkes regionales Gefälle der Hochschulen in qualitativer und quantitativer Hinsicht, große Unterschiede beim Eingangswissen der Studienanfänger, geringe Fremdsprachenkenntnisse und geringe Mobilität der Studierenden. Außerdem sei die rasante Entwicklung stark von den Stipendien getrieben.
Humorvoll berichtete der brasilianische Austauschstudent Caetano Sauer von seinen Eindrücken bei seiner Ankunft 2008 in Kaiserslautern. Er beschrieb die kulturell bedingten Unterschiede beispielsweise in der Gewichtung von Pünktlichkeit und versuchte den Zuhörern den aus dem portugiesisch-brasilianischen Kulturkreis stammenden Begriff der Saudade näher zubringen, mit dem eine unbestimmte Sehnsucht, Heimweh und Verlangen verbunden ist.
Die Musikgruppe Igapó öffnete mit ihrer brasilianische Popularmusik ein Fenster zur „brasilianischen Seele“, so der Titel der musikalischen Umrahmung. Sängerin Sandrinha Barbosa und Gitarrist Hubert Groß ließen südamerikanisches Flair im Deutschordensaal der Kreissparkasse entstehen. Barbosa ist Angehörige des Indigenvolkes Xocó, das im Amazonasgebiet lebt, und eng mit den indianischen musikalischen Traditionen Brasiliens verbunden.