Auf den Bäumen vor der Haustür wimmelt es nur so von Getier. Die Kreaturen sind zwar lediglich 4 bis 6 mm groß und schwarz-rot gefärbt, ihre Flügel schimmern silbern – allein die schiere Masse erzeugt ein gewisses Unwohlsein. Was sind das für „Käfer“?
Es sind gar keine Käfer, sondern Linden- oder Malvenwanzen – streng wissenschaftlich auch „Oxycarenus lavaterae“ benannt. Ursprünglich kommt die Art im westlichen Mittelmeergebiet vor: In Marokko, Portugal, Spanien und Frankreich findet man sie auf Malvengewächsen. Die Vorliebe für die Besiedlung von Strauchpappeln oder Strauchmalven der Gattung Lavatera brachte ihr den Artnamen „lavaterae“ ein. Man kann sie auch an Stockrosen der Gattung Alcea finden. Bei uns in Deutschland besiedelt sie jedoch vor allem junge Bäume der Winterlinde was ihr den deutschen Namen Lindenwanze eingebracht hat.
Seit Anfang 2000 breitet sich die Art zunehmend in nördlicher Richtung aus. 2001 wurde sie in Mitteleuropa erstmals aus Österreich gemeldet, 2004 erfolgte der Erstnachweis für Deutschland in Baden-Württemberg. Aus Lörrach und Weil am Rhein wurden erste Massenvorkommen gemeldet. „In Biergärten mit großen alten Linden regnete es regelrecht Wanzen ins Bierglas oder auf das Essen.“ Hiermit sind zumindest die Voraussetzungen erfüllt, um die Tiere als Lästlinge einzustufen – schädlich sind sie allerdings nicht. So richtig lästig können sie allerdings nochmal werden, wenn sie zum Winter hin versuchen durch offene Fenster in unsere Wohnungen einzudringen um dem herannahenden Kältetod zu entgehen.
Im Jahre 2008 konnten erste Massenvorkommen der Art im südlichen Rheinland-Pfalz nachgewiesen werden. Beobachtungen wurden aus Maikammer, Neustadt an der Weinstraße und Jockgrim gemeldet. Eine Nachsuche an klimatisch begünstigten Orten im Bereich des Nördlichen Oberrheingrabens in Bad Dürkheim, Worms und Mainz blieb damals erfolglos. Aufgrund der vorliegenden Daten wurde für Deutschland eine durchschnittliche Ausbreitungsgeschwindigkeit von 30 bis 50 km pro Jahr gen Norden errechnet. Nun ist die Art auch in Bingen am Rhein angekommen. Nach sechs Jahren also etwa 70 km nördlich der 2008 erbrachten Nachweise. Was hat die Lindenwanze auf ihrem Vormarsch ausgebremst?
Der Winter 2007/2008 lag mit Durchschnittstemperaturen von 3,7°C etwa 1,5°C über dem langjährigen Mittel, bezogen auf die Periode von 1981 bis 2010. Dann folgten einige kalte Jahreswechsel. Der diesjährige Winter lag dann mit Durchschnittstemperaturen um 5,0°C sogar 2,8°C über dem langjährigen Mittel. In der Regel entwickeln sich die Lindenwanzen in den Baumkronen und saugen dort an Blättern und unverholzten Teilen ihrer Wirtspflanze. Die Eiablage erfolgt in Rindenritzen. Mit dem Wachstum einer Population spalten sich immer neue Kolonien ab, was während der Vegetationszeit in der Baumkrone weitgehend unbemerkt bleibt.
Erst im Herbst versammeln sich die Tiere zu riesigen Kolonien an dicken Ästen und Baumstämmen, wo sie auf der Baumrinde im Freien überwintern. Wird es im Winter dann richtig kalt – haben wir also einen „normalen“ Winter – sterben große Teile dieser Kolonien ab. Bleibt der Winter jedoch, wie in diesem Jahr, aus, kommt es insbesondere im Frühjahr zu auffälligen Massenansammlungen, da die Tiere überwintern konnten. Nun gilt es abzuwarten, ob es in diesem Jahr wieder zu einem Vormarsch der Tiere gen Norden kommt. Das enge Mittelrheintal hat sich jedoch schon oft als effektive Barriere bei der Ausbreitung von Neubürgern in unserer Fauna erwiesen.
Das Naturhistorische Museum Mainz versucht die Ausbreitung des mediterranen Exoten in Rheinland-Pfalz zu dokumentieren. Nachweise, am besten in Form von Fotos oder auch durch Übersendung der Tiere, nimmt Dr. Carsten Renker (E-Mail: dr.carsten.renker@stadt.mainz.de) entgegen.