Der kurioseste Fall meldete sich am ersten Weihnachtsfeiertag morgens um fünf in der Notaufnahme der Neckar-Odenwald-Kliniken in Buchen. „Da kam ein Mann mittleren Alters, dem nicht die berühmte Fischgräte, dafür aber ein Stück Steak vom Festmahl an Heiligabend in der Speiseröhre stecken geblieben war. Er hatte alles Mögliche ausprobiert, bis der Hals buchstäblich „voll“ war“, erzählt Krankenpfleger Alexander Jabs: „ Immerhin eine halbe Stunde hat es gedauert, bis wir alles raus hatten.“
Einmal mehr erwies sich die Notaufnahme an den Kliniken für diesen und viele andere Patientinnen und Patienten – zwischen 50 und 80 Notfälle suchen innerhalb von 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr die Kliniken auf – als Segen. „Wir nehmen jeden auf. Und jeder wird einem Arzt vorgestellt“, bestätigt Jabs, der schon seit über zehn Jahren Dienst in der „Zentralen Patientenaufnahme“ schiebt. Was er an dieser Arbeit schätzt? „Bei uns gibt es alles, was das Leben zu bieten hat. Es wird nie langweilig“, so der Krankenpfleger aus Überzeugung.
Das gilt nicht nur, aber ganz besonders für die Feiertage. Wenn alle Arztpraxen geschlossen haben und auch der ärztliche Notfalldienst nicht – wie am vergangenen Montag – besetzt oder zu weit weg ist.
„Am 24. Dezember sind wir bis halb eins nachts zu nichts gekommen, so viel war hier los“, erklärt Sergej Archipov, diensthabender Facharzt für Unfallchirurgie.
Sechs Mal war in dieser Zeit der Notarzt im Einsatz, der Krankenwagen brachte noch öfter Patientinnen und Patienten. Von der schweren Erkältung über eine Nasenprellung, Platzwunden und ein Lungenödem bis hin zum schweren Herzinfarkt oder einem lebensbedrohlichen Schädel-Hirn-Trauma als Ergebnis eines Treppensturzes in alkoholisiertem Zustand ist in der Notaufnahme ein breites Spektrum abzudecken.
Dazu kommen Patientinnen und Patienten, die zur Gipskontrolle oder zur regelmäßigen Blutuntersuchung einbestellt wurden. „Wo sollte ich sonst hin? Sowohl die Praxis meines Arztes als auch das Labor haben geschlossen. Meine Blutwert müssen aber dringend und in kurzen Abständen kontrolliert werden, das könnte für mich sonst lebensbedrohlich werden“, so eine junge Frau. Ist wenigstens die Stimmung an diesen Tagen „weihnachtlich friedlich“?
Auch da gäbe es eine große Bandbreite, erklären alle übereinstimmend. Ältere alleinstehende Menschen seien oft regelrecht dankbar, dass sie gerade an diesen Tagen Hilfe fänden und nicht allein sein müssten. Andere zeigten sich genervt. „Die sitzen mit dem Blick auf die Uhr da und verweisen auf irgendwelche Pflichten. Aber davon lassen wir uns nicht beeindrucken“, so Archipov achselzuckend.
Nicht jeder ist hier im Übrigen „richtig“ im eigentlichen Sinn. Kerstin Halbaur vom Pflegepersonal erzählt von Gästen einer großen Diskothek in Buchen, denen der Nachhauseweg in ihrem Zustand manchmal schlicht zu lang ist: „ Die schlagen dann hier auf und würden am liebsten in ein warmes Krankenhausbett kriechen.“
Endlose Telefonate mit Angehörigen oder auch der Polizei sind die Folge, Dinge, die das Personal von seiner eigentlichen Arbeit abhält. Oder Patienten, die die Frage nach dem Hausarzt nicht beantworten können. „Die haben keinen. Da macht sich der Mangel an Hausärzten schon bemerkbar. Außerdem ist das für manche einfach bequemer: kürzere Wartezeiten als beim Hausarzt und Fachärzte samt medizinischem Gerät sind auch gleich vor Ort“, weiß Kerstin Halbaur. Weggeschickt wird trotzdem niemand.
„Das dürfen wir gar nicht. Und das wollen wir auch nicht“, so die Pflegekraft: „Für uns sind alle gleich.“
Tatsächlich ist die Zahl der Notaufnahmen vom rund 9.000 im Jahr 2003 auf über 23.000 in 2013 gestiegen. Ein „lohnendes Geschäft“ im betriebswirtschaftlichen Sinn ist das nicht, weil mit den Krankenkassen pauschal abgerechnet wird, erklärt Landrat Dr. Achim Brötel: „Aber eine funktionierende Notaufnahme rund um die Uhr ist eine wichtige Komponente die Sicherstellung der medizinischen Grundversorgung, die wir für absolut unverzichtbar halten. Beileibe nicht nur, aber auch dafür brauchen wir die Neckar-Odenwald-Kliniken. Private Häuser, die ausschließlich gewinnorientiert arbeiten, legen da ganz andere Schwerpunkte.“ Der Landrat prophezeit weiter steigende Zahlen: „Die Präsenz des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes im Mittelbereich Buchen wird sich 2014 bekanntermaßen deutlich verschlechtern. Diese Tatsache wird den Kliniken noch mehr Notfälle bescheren.“
In Buchen ist man darauf eingestellt. Die neue Zentrale Patientenaufnahme, die im Frühjahr in Betrieb genommen werden wird, erleichtert die Abläufe und damit die Arbeit der engagierten Teams, die ihr Feiertagsdienst nicht weiter stört: „Das weiß man, wenn man diese Berufe ergreift. Und außerdem kriegen wir hier auch ganz viel zurück an Freundlichkeit und Dankbarkeit. Das kann nicht jeder von seinem Job sagen, “ so Alexander Jabs.