Der Zoo Heidelberg beherbergt seit Kurzem zwei neue Vogelarten mit außergewöhnlichen Namen. In das ehemalige Gehege der Hermeline gegenüber dem Flamingosee sind ein Pärchen Neuntöter und zwei männliche Wachtelkönige eingezogen, die es sich in ihrem neuen Zuhause jetzt gemütlich machen. Im Zoo leben nicht nur exotische Tiere aus fernen Ländern sondern auch Tiere aus unserem direkten Umfeld, über die wir viel lernen können.
Mit den vier Neuzugängen erweitert der Zoo Heidelberg seinen Bestand an Tieren, die in unseren heimischen Lebensräumen angesiedelt sind. Deshalb sind das Neuntöter-Pärchen und die beiden Wachtelkönige in dem Themenbereich „Tiere vor unserer Haustür“ untergebracht. In unmittelbarer Nähe befinden sich unter anderem die Feldhamsterzuchtstation des Zoo und der Bienenstand, außerdem leben dort Kolkraben und Uhus. „In naher Zukunft würden wir gerne eine schöne, begehbare Voliere für Bienenfresser einrichten, vielleicht auch in Gemeinschaft mit heimischen Reptilien“, hofft Simon Bruslund, Leiter des Vogelreviers.
Besucher sollten sich in den nächsten Wochen nicht über die schlecht geputzten Scheiben der Vogelvoliere wundern, denn die vorübergehend mit Lehm beschmierten Scheiben haben einen guten Grund. Die Vögel sollen sich an die Glasbarriere gewöhnen und nicht dagegen fliegen. Später dann werden die Pfleger die Scheiben mit einer für Menschen nicht sichtbaren UV-Schicht bestreichen – so können die Zoobesucher die Vögel bei ihrem Treiben ungestört beobachten, während Neuntöter und Wachtelkönig die Scheibe als Barriere wahrnehmen.
Seinen martialisch klingenden Namen erhielt der Neuntöter aufgrund seines Beuteverhaltens. Der Neuntöter ist der hierzulande am stärksten verbreitete Vertreter der Familie der Würger und lebt in halboffenen Kulturlandschaften mit Hecken, Dornenbüschen und Wildrosenbüschen. Um schlechtes Wetter wie beispielsweise mehrere Regentage oder feuchtkalte Morgenstunden zu überbrücken, spießen die Vögel zum Anlegen von Vorräten ihre Beutetiere – vor allem Insekten, kleine Vögel oder Mäuse – auf Dornen, spitze Zweige oder auch auf Stacheldraht von Weidezäunen. Die Zahl „neun“ in ihrem Namen bezieht sich allerdings auf den irrtümlichen Volksglauben, dass die Vögel erst neun Beutetiere aufspießen, bevor sie sie verspeisen. Dies ist natürlich nicht der Fall. Auch wird häufig beobachtet, dass sie das Aufspießen zum Zerteilen größerer Beutestücke nutzen. Männchen und Weibchen unterscheiden sich – wie häufig in der Vogelwelt anzutreffen – deutlich in der Färbung. Das Männchen kann man leicht an seiner Kombination von rostrotbraunem Rücken, rosafarbenen Bauch, blaugrauem Kopf und der gewagten schwarzen „Banditenmaske“ um die Augen erkennen. Das Weibchen hingegen ist eher unscheinbar braun gefärbt.
Neuntöter leben in der Natur getrennt und brüten nur in der Zeit von Mai bis Juli. „Im Zoo muss dieser Zeitpunkt von uns Tierpflegern beeinflusst werden“, schmunzelt Bruslund. „Wir müssen warten, bis das Männchen mit dem Balzgesang beginnt und dann sofort das Weibchen zu ihm lassen. Der Moment des Aufeinandertreffens ist ungeheuer wichtig“.
Beim Wachtelkönig handelt es sich übrigens nicht um einen Hühnervogel, sondern um eine Ralle, er wird auch Wiesenralle genannt. Sein Vorkommen erstreckt sich von Westeuropa bis zu Westchina, er lebt auf Feldern, Äckern und Wiesen. In Deutschland ist er seit Jahrhunderten mit volkstümlichen Namen belegt, wie Wiesenschnarcher, Knarrer, Schnarker oder Schnarf. Dies ist nicht nur ein Hinweis auf sein ehemals häufiges Vorkommen, sondern auch auf den charakteristischen Ruf des Männchens, welcher im wissenschaftlichen Namen „Crex Crex“ lautmalerisch festgehalten ist. Der Wachtelkönig ist eine von mehr als 20 europäischen Vogelarten, deren Bestand weltweit bedroht ist. Nach der Roten Liste gilt er als vom Aussterben bedroht. In den meisten Ländern seines Verbreitungsgebietes gehen die Bestände deutlich zurück. Wie alle Rallen brütet er am Boden und da die Küken spät schlüpfen und deswegen auch spät flügge werden, werden sie leider sehr häufig auf frühzeitig gemähten Wiesen totgemäht.
Beide Vogelarten sind Zugvögel, die in Afrika überwintern. Auf dem Weg dorthin und wieder zurück lauern viele Gefahren. Die lange Reise ist anstrengend, die Tiere können unterwegs verdursten, verhungern oder an Erschöpfung sterben. Leider jedoch ist es der Mensch, der den Zugvögeln die Reise am schwersten macht. In Nordamerika sterben jährlich ungefähr 100 Millionen Vögel beim Zusammenstoß mit Gebäuden. Daneben gilt der Vogeltod durch den elektrischen Schlag an Hochspannungsleitungen als häufige Todesursache besonders für große Zugvögel. Problematisch ist außerdem die Zerstörung von geeigneten Rastplätzen entlang der Wanderrouten und Brutgebieten an den Zielorten durch Landwirtschaft und Zersiedelung. Eine starke Bedrohung für Zugvögel ist außerdem die Jagd. Zwar stehen die meisten Singvögel in den EU-Ländern seit Jahren unter Schutz, dennoch werden sie weiterhin stark bejagt. In vielen Ländern ist die Jagd auf Vögel ein weit verbreitetes Hobby. Gejagt wird mit Netzen, mit dem Gewehr oder es wird Klebstoff auf die Äste gestrichen, auf die sich die von der Reise erschöpften Vögel niederlassen und nicht mehr entkommen können.
Der Hauptgrund für den Vogelzug bei vielen Vögeln wie zum Beispiel auch bei dem Neuntöter sind übrigens weniger klimatische Gründe – vielmehr liegt es an der Nahrungssituation. Da viele Zugvogelarten sich überwiegend von Insekten ernähren, ziehen sie im Winter dem Nahrungsangebot sozusagen hinterher.