„Herzstück der anstehenden Novelle des Schulgesetzes ist die Stärkung der Rechte der Eltern von Kindern mit Behinderungen, wenn es um die Entscheidung über den besten schulischen Förderort für ihre Kinder geht. Wir wollen ein vorbehaltloses Wahlrecht zwischen einem inklusiven Angebot in einer Schwerpunktschule und einem sich an der Art der Behinderung orientierenden Schulangebot in einer Förderschule verankern. Die bisherigen rechtlichen Einschränkungen dieser Wahl fallen damit weg“, sagte Bildungsministerin Doris Ahnen heute bei der Vorstellung der zentralen Inhalte des Regierungsentwurfs für eine Änderung des Schulgesetzes. Der Entwurf ist – nach der Zustimmung durch das Kabinett – jetzt in die Anhörung gegangen.
Die schrittweise Schaffung eines inklusiven Schulangebots sei die aktuell größte bil-dungspolitische Herausforderung, betonte die Bildungsministerin und ergänzte: „Die Zielsetzungen der 2009 in Deutschland ratifizierten Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen betrachten wir als Landesregierung nicht nur als rechtliche, sondern auch als eine gesellschaftspolitische Verpflichtung. Wir wollen Menschen mit Behinderungen optimale Teilhabechancen eröffnen. Und dies gilt in besonderem Maße im Bildungsbereich.“ Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet Bund, Länder und Gemeinden gleichermaßen, die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen zu verbessern.
Dieses Ziel erfordere gemeinsame Anstrengungen aller Beteiligten. So gelte es die weitere Entwicklung von Schwerpunktschulen sowie von Förder- und Beratungszentren in enger Abstimmung mit den Schulen und den Schulträgern voranzutreiben. Über Dienstbesprechungen mit Schulleiterinnen und Schulleitern, Informationsveranstaltungen für Lehrkräfte und für die Verantwortlichen bei den Schulträgern werde das Inklusionskonzept des Landes in den Regionen bekanntgemacht. Zudem werde an einem Lehrerbildungsgesetz gearbeitet, in dem die Stärkung der Kompetenzen für die Umsetzung eines inklusiven Unterrichts eine herausgehobene Rolle spiele. Ein breit gefächertes Informationsangebot für Eltern mit einer eigenen Homepage sei in der Entwicklung.
Gute Ausgangslage, große Herausforderungen
Durch den bereits vor mehr als zehn Jahren gestarteten, bedarfsgerechten Ausbau des Netzes von Schwerpunktschulen werde sichergestellt, dass inklusiver Unterricht in allen Regionen des Landes in der Primarstufe und in der Sekundarstufe I angeboten werden könne, hielt Bildungsministerin Ahnen weiter fest. Aktuell gebe es landesweit 150 Schwerpunktschulen im Grundschulbereich und 112 weiterführende Schulen, die mit zusätzlich bereitgestellter förderpädagogischer Unterstützung Kinder mit und ohne Behinderung nach einem die ganze Schule umfassenden Konzept gemeinsam unterrichteten. Auf diese Weise sowie durch Einzelintegrationsmaßnahmen in anderen Regelschulen hätten im vergangenen Schuljahr rund 4.900 Kinder und Jugendliche inklusiv unterrichtet werden können. Das war rund ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf.
Zugleich seien rund 14.800 Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen in den 138 Förderschulen landesweit unterrichtet worden, ergänzte Doris Ahnen. Das entspreche einer Quote von rund 3,8 Prozent aller Schülerinnen und Schüler im Land und sei der bundesweit zweitniedrigste Anteil. Das Angebot der Förderschulen im Land ist differenziert in neun Förderschwerpunkte: Lernen, Sprache, ganzheitliche Entwicklung, motorische Entwicklung, sozial-emotionale Entwicklung, Gehörlose, Schwerhörige sowie Blinde und Sehbehinderte.
„Für den weiteren Ausbau der Inklusion benötigen wir unbedingt das sehr ausgeprägte Fachwissen der Förderschullehrerinnen und Förderschullehrer sowie der speziell ausgebildeten pädagogischen Fachkräfte. Die Expertise und das Engagement dieser Fachleute kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden“, sagte die Bildungsministerin weiter. Daher werde in der Novelle des Schulgesetzes auch noch deutlicher als bisher formuliert, dass die Förderschulen durch ihre sonderpädagogische Fachkompetenz inklusiven Unterricht unterstützen. „Das heißt: Neben der Rolle als gleichberechtigtes, alternatives schulisches Angebot für Kinder mit Behinderungen wird die unterstützende Funktion der Förderschulen für die Inklusion noch stärker herausgestellt. Ausgewählte Förderschulen – so sieht die Gesetzesnovelle weiter vor – sollen zu regionalen Förder- und Beratungszentren für die Inklusion ausgebaut werden können“, erläuterte Doris Ahnen.
Um den bestehenden und noch zu bildenden Schwerpunktschulen den notwendigen sonderpädagogischen Sachverstand zur Verfügung zu stellen, sei in der Personalplanung bereits Vorsorge getroffen, so die Ministerin weiter: „Im vergangenen Schuljahr standen dafür bereits 640 Vollzeitstellenäquivalente zur Verfügung. In der Lehrerbedarfsplanung sind zudem bis 2016 weitere 200 Vollzeitstellen vorgesehen.“
Inklusion sei ein dauerhafter Prozess und müsse immer für Innovationen offen sein, so die Ministerin weiter. Deshalb eröffne die Schulgesetznovelle im Rahmen einer Experimentierklausel Schulen und Schulträgern die Chance, innovative Konzepte zu entwickeln und – mit Zustimmung der Schulbehörde – umzusetzen, insbesondere wenn es um inklusive Angebote für die berufliche Bildung und für die Gestaltung des Übergangs von der Schule in den Beruf gehe.0
Mehr Partizipation von Eltern, Schülerinnen und Schülern
Mit dem Entwurf des vierten Landesgesetzes zur Änderung des Schulgesetzes wolle die Landesregierung neben einem zentralen Beitrag zur Inklusion – wie bereits im Koalitionsvertrag vereinbart und wie von der Enquete-Kommission „Bürgerbeteiligung“ gefordert – die Mitbestimmung von Elternbeiräten und Schülervertretungen weiter stärken, kündigte Bildungsministerin Ahnen an. Bei grundsätzlichen Entscheidungen über Maßnahmen der Schulentwicklung und der Qualitätssicherung solle daher künftig die Zustimmung des Schulausschusses, in dem Lehrkräfte, Eltern- und Schülervertreterinnen und -vertreter paritätisch vertreten sind, vorgesehen werden. Die Mitglieder des Schulausschusses sollten künftig in der Gesamtkonferenz einer Schule nicht nur beratend teilnehmen, sondern das volle Stimmrecht haben. Zudem soll in der Zusammenarbeit die Rolle des Schulelternbeirats weiter gestärkt werden.
Mit dem Landesrat, der sich aus Delegierten aller 36 Kreis- und Stadtschülervertretungen zusammensetzt, werde zudem im Schulgesetz ein Gremium geschaffen, das zwischen den Landeskonferenzen für Schülerinnen und Schüler als höchstes beschlussfassendes Gremium agieren kann. Dies ist ein langgehegter Wunsch der Landesschülervertretung. Die Bildung von Schülervertretungen im Grundschulbereich werde mit der Gesetzesnovelle verbindlicher als bisher.
„Außerdem wollen wir auch auf dem Feld der Vertretung von Schülerinteressen Beiträge zum Ausbau der Inklusion leisten“, hielt die Bildungsministerin abschließend fest. So würden Förderschulen dazu verpflichtet, auch in den Fällen, in denen nicht formal eine Schülervertretung gebildet werden könne, entsprechende Beteiligungsmöglichkeiten für die Schülerinnen und Schüler zu eröffnen. Dabei erhielten die Förderschülerinnen und -schüler einen Anspruch darauf, dass ihnen altersgemäße und behinderungsgerechte Hilfen angeboten würden, damit sie ihre Mitbestimmungsrechte wahrnehmen könnten. „Hier schließt sich der Kreis, denn dieser Anspruch und diese Verpflichtung sollen – ganz im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention – in Zukunft für Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen an allen Schulen gelten“, sagte Doris Ahnen.