Ein Händedruck und ein von Herzen kommender Dank, Anni Reuter verabschiedete sich im Kreiskrankenhaus Bergstraße in Heppenheim von Dr. Mike Soehendra . Die Geste scheint selbstverständlich. Ist sie aber nicht. Eine Woche zuvor war die 76-Jährige aus Laudenbach in die Klinik eingeliefert worden, die Diagnose: Schwerer Schlaganfall.
Anni Reuter hätte, soweit es ihre Wahrnehmung in diese Moment zugelassen hat, nicht gedacht, dass sie so schnell wieder in ein normales Leben zurückfinden würde. Ähnliches hat ihr Mann Christian Reuter empfunden. Da fällt schon mal das Wort vom Wunder. Der Neurologe Dr. Soehendra, Leiter der speziell für die Behandlung von Schlaganfallpatienten eingerichtete Stroke Unit am Kreiskrankenhaus, sieht es fachlich. Er weiß, der Fall zeigt, was mit schneller und bestmöglicher Hilfe bei einem Schlaganfall erreicht werden kann. Anders wäre Anni Reuter wahrscheinlich ein Pflegefall geworden.
Rückblick: Anni Reuter ist eine dynamische, eine sportliche Frau. Früher hatte sie als Kauffrau im familieneigenen Möbelgeschäft gearbeitet. Nun war sie unterwegs gewesen, nichts Außergewöhnliches, ein ganz normaler Tag in einer bis dahin ganz normalen Woche. Als sie heim kam, bracht sie wie aus heiterem Himmel zusammen. Ihr Mann alarmierte sofort über die Notrufnummer 112 den Rettungsdienst. Schnell kam die Patientin ins Kreiskrankenhaus nach Heppenheim. Die Ärzte diagnostizierten eine Lähmung der gesamten rechten Körperseite und eine schwere Störung des Sprachzentrums. Hinzu kam, dass sie zwar hören, das Gehörte aber nicht verstehen konnte. „Das ist eine der schlimmsten Formen eines Schlaganfalls, die einen treffen kann“, sagt Dr. Soehendra. Im Krankenhaus griff sofort das Notfallprogramm. Blutentnahme, EKG, Computertomographie, erfassen der Vitaldaten. Die Untersuchung zeigte, dass in Anni Reuters Gehirn ein Blutgerinnsel ein Gefäß verstopfte. Die Patientin bekam ein stark blutverdünnendes Medikament, das nur in einem Zeitfenster bis maximal 4,5 Stunden nach dem Schlaganfall gegeben werden darf. Bei der Laudenbacherin waren es nur zwanzig Minuten. Auch an dieser Stelle verweist Dr. Soehendra auf den Faktor Zeit, um Folgeschäden zu vermeiden. Parallel standen die Heppenheimer Ärzte im Kontakt zu ihren Kollegen im Universitätsklinikum Heidelberg. Schon zehn Minuten später wurde Anni Reuter in die Uniklinik verlegt. Dort folgte ein Kathetereingriff. Schon am nächsten Tag kam Anni Reuter nach Heppenheim zurück, sie konnte das Haus auf eigenen Füßen betreten. Ein Paradebeispiel für optimale Versorgung.
In Folge der Übernahme des Kreiskrankenhauses durch das Universitätsklinikum ist die Hilfe für Schlaganfallpatienten in der Region Bergstraße weiter gestärkt worden. Die Stroke Unit, des Kreiskrankenhauses arbeitet neuerdings unmittelbar mit der Neurologie an der Uniklinik und damit Europas größter Schlaganfallstation zusammen. Das heißt auch: Das Leistungsspektrum ist erweitert, und im Ernstfall ist wichtiger Zeitgewinn gesichert. Der Ärztliche Direktor der Neuroradiologie der Uniklinik, Professor Dr. Martin Bendszus, sieht die Verzahnung regionaler Einrichtungen wie in Heppenheim und nationaler oder sogar internationaler Zentren wie in Heidelberg als wegweisend für Deutschland, er sagt: „Das ist wie eine Blaupause für das Gesundheitswesen der Zukunft“.
Zentrale Bedeutung hat die Teleradiologie, so Professor Dr. Bendszus. Der renommierte Mediziner erklärt: Bei Verdacht auf einen Schlaganfall wird der Patient in Heppenheim unverzüglich von einem auf die Schlaganfallbehandlung spezialisierten Neurologen untersucht und eine Computertomographie vorgenommen. Die Aufnahmen werden in besonders schwerwiegenden Fällen umgehend nach Heidelberg übermittelt. Gemeinsam entscheiden Spezialisten im Uniklinikum und im Kreiskrankenhaus dann, ob eine Weiterbehandlung in Heppenheim sinnvoll ist oder ob eine Verlegung nach Heidelberg notwendig wird. Zum Tragen kommt dort auch, wie im Fall von Anni Reuter, ein neuartiges Verfahren, um Blutgerinnsel im Gehirn des Patienten zu entfernen: Von der Leiste kommend, wird ein Katheter durch die Halsschlagader bis in das betroffene Hirngefäß geführt, um den Blutpfropfen zu entfernen. Ein kurzer aber höchst komplizierter Eingriff. Er kann Leben retten und helfen, schwerwiegende Folgenschäden eines Schlaganfalls deutlich zu begrenzen oder sogar gegen Null zu reduzieren.
HINTERGRUND
Teleneurologie am Kreiskrankenhaus
Dank Hightech ist die Versorgung eines Schlaganfallpatienten auch außerhalb der Dienstzeiten der Neurologen am Kreiskrankenhaus kein Problem: Schnelle Datenleitungen sowie computergestützt hoch moderne Aufnahme- und Wiedergabetechnologie ermöglichen eine intensive Zusammenarbeit zwischen den Häusern. Dafür steht die Teleneurologie. Dabei ist am Kreiskrankenhaus die Liveübertragung von Videobilder, aufgenommen mit einer hochauflösenden Kamera, neuerdings Standard bei Untersuchungen der Schlaganfallpatienten außerhalb der Dienstzeiten. So ist es möglich, dass Spezialisten in Heidelberg den Patienten in Heppenheim in Augenschein nehmen können und ein präzises Bild von seinem Gesundheitszustand bekommen. Infolge kann über die bestmögliche individuelle Therapie entschieden werden.
Teleradiologie am Kreiskrankenhaus
Auch an anderer Stelle machen sich das Kreiskrankenhaus und das Uniklinikum den schnellen Datentransfer zunutze. Neben Teleneurologie wird Teleradiologie betrieben, ebenfalls zu bestimmten Zeiten: Bei Nacht und an Wochenenden werden nach Unfällen sowie bei internistischen Erkrankungen und neurologischen Notfällen, nicht nur bei Schlaganfällen, Aufnahme aus dem Computertomographen nach Heidelberg geschickt. Dort befunden Spezialisten die Bilder. Im Dialog mit Ärzten in Heppenheim wird anschließend die weitere Therapie der Patienten beraten.
Der Computertomograph erstellt Bilderserien, die sehr schnell eine sehr genaue Diagnose und damit eine präzise Therapie ermöglichen. Die Zahl der Bilder je Patient, die übermittelt werden, ist unterschiedlich: Bei Kopfverletzungen sind es rund 120, bei Bauchuntersuchungen weit mehr als 400, beim so genannten Trauma-Scan, bei dem der gesamte Körper untersucht wird, etwa 1.000.
Um die Teleneurologie und die Teleradiologie einführen zu können, haben medizinische Bereiche sowie die EDV-Abteilungen des Universitätsklinikums und des Kreiskrankenhauses eng zusammengearbeitet. Der Betrieb unterliegt strengen technischen und datenschutzrechtlichen Auflagen.